Club-Transmediale

Klangfantasien aus dem Off der Geschichte

Von Martin Böttcher · 30.01.2014
Unter dem Motto "Dis Continuity" bringt das CTM-Festival, einst Club Transmediale genannt, die verborgenen Kapitel experimenteller und elektronischer Musikgeschichte zum Schwingen. Die blinden Flecken klingen gut, findet Martin Böttcher.
Laut, monoton, minimalistisch dröhnen die flächigen Sounds des amerikanischen Klangkünstlers Phill Niblock durchs Berliner HAU2. Der Saal ist voll, vielleicht 150 Menschen sind gekommen, um den 80-jährigen New Yorker in Aktion zu sehen. Niblock sitzt an einem Tisch, vor sich ein Laptop und ein Mischpult, von dort steuert er seine Kompositionen. Auch als der experimentelle Schlagzeuger Eli Keslzer dazukommt und sein Instrument mit einem Streicherbogen bearbeitet, bewegt sich Niblock kaum. Und beim gemeinsamen Auftritt mit der vierköpfigen Bläsergruppe „Zinc & Copper Works“ sieht es so aus, als sei er kurz eingenickt. Aber nein – da dreht er wieder an einem seiner Knöpfe und leitet eine minimale, aber wirkungsvolle Soundverschiebung ein.
"Wir sitzen in einem Raum voller Leute und hören dem vermutlich einzigen mikrotonalen Blechbläserensemble der Welt zu. Und einfach dieser Fokus auf ein Thema, das sowohl musikalisch sehr relevant ist, aber nichtsdestotrotz noch nicht in diesem Detail in Berlin oder Deutschland oder in Europa betrachtet worden ist, das ist auch das, was das Thema und auch das Festival ausmacht."
Mit im Publikum sitzt Michail Stangl. Er ist einer der Organisatoren des CTM-Festivals, das in diesem Jahr unter dem Motto „Dis Continuity“ steht – ein theoretischer Überbau, der dem CTM als herausragendem Festival für experimentelle elektronische Musik gut steht. Der Blick geht weg von den etablierten Künstlern, von denen, die im Lauf der Jahre und Jahrzehnte in einen Kanon aufgenommen wurden und die sowieso immer wieder ihre Öffentlichkeit bekommen.
"Das hinterfragen wir nicht, aber was wir machen, ist einfach: zu gucken, welche Phänomene, welche Akteure, welche Pioniere, welche Musiker, welche Narrative sind noch nicht en detail betrachtet worden oder sind vielleicht bewusst irgendwann unterbrochen worden ... oder sind aus verschiedensten Gründen einfach nicht bisher hervorgehoben worden."
Generation Z
Am deutlichsten wird diese „Dis Continuity“ wohl in der Ausstellung „Generation Z“ – sie widmet sich russischen Musikmaschinenerfindern und Klangkünstlern, deren Arbeiten in Stalins Sowjetunion keinen Platz mehr hatten und deren Vermächtnis ab den späten 30er-Jahren aus der Geschichte gelöscht wurde.
Zehn Tage lang widmet sich das CTM also den Vergessenen, den Verhinderten, aber auch den Gestandenen wie eben Drone-Altmeister Phill Niblock und denen, die zur Zeit besonders spannend erscheinen.
Auf den Bühnen herrscht das gleiche Sprachengewirr wie davor, Besucher aus aller Welt sind gekommen, um Konzerte, Workshops und Ausstellungen zu sehen – oder auch bei bestimmten Soundexperimenten mitzumachen. Wie bei dem von Lukatoyboy:
„I don’t know how to call it, it’s something in between a performance and an installation. It’s called 'Walk That Sound''“.
Walkie-Talkie-Experimente
Lukatoboy, ein 33-jähriger Klangkünstler aus Belgrad, ist zum zweiten Mal aktiver Teil des CTM-Festivals. Diesmal hat er sich kleine Funkgeräte vorgenommen. „Walk that Sound“ ist halb Performance, halb Installation – der Serbe schickt Interessierte wie Martha rund um das wuselige Kottbusser Tor im Bezirk Kreuzberg auf die Straße
"Ja, wir hatten diese Walkie-Talkies dabei und wir sollten einfach rumlaufen und sie anmachen oder die Übertragung einschalten, wenn es interessante Klänge gab."
Ein halbes Dutzend Funkgeräte hat Lukatoyboy verteilt, er selbst sitzt vor Publikum im Club „Westgermany“ an seinem Mischpult und verteilt die eingehenden Funksprüche und Geräusche auf Lautsprecher. Seine Versuchspersonen setzen Ortsbeschreibungen ab, eine Polizeisirene erklingt, türkischer Gesang ist zu hören, Geschrei, Störgeräusche. Wenn alle Walkie-Talkie-Scouts gleichzeitig senden, entsteht ein ganz eigenes Mit- und Gegeneinander der ebenso abrupt einsetzenden wie abreißenden Töne.
"Das ist das Schöne an Walkie Talkies: man weiß, dass sie ganz nah sind, aber es wirkt sehr entfernt und seltsam. Manchmal weiß ich gar nicht, was ich da höre, besonders, wenn sehr schnell Deutsch gesprochen wird!“
Abreißende Übertragungen, das Ende vom Verstehen - auch Lukatoyboy spielt also in seinem Klangexperiment mit Formen von „Dis Continuity“. Das CTM-Festival bietet viele solcher überraschenden Begegnungen. Man kann versuchen, sie mit dem Kopf zu begreifen oder mit dem Bauch zu spüren – beides funktioniert.

Programmtipp: Hören Sie dazu unsere Sendung Klangkunst "Walk that Sound" von Lukatoyboy am Freitag, den 14.2.2014, um 0.05 Uhr

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