Transitstation in den Tod

Von Jochen Stöckmann · 24.11.2006
In der Festung Theresienstadt, 60 Kilometer nördlich von Prag, begann die SS am 24. November 1941 mit der Errichtung eines Internierungslagers für 70.000 Juden aus Böhmen und Mähren. Bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 8. Mai 1945 starben dort etwa 33.500 Menschen, 88.000 wurden ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert.
"SS-Obersturmführer Dr. Seidl ordnet an, dass am Montag den 24. November 1941, 12 Uhr mittags, das Aufbaukommando in Theresienstadt bereitgestellt sein soll. Die jüdische Kultusgemeinde hat die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die Abfertigung durchzuführen."

Bauhandwerker und Mediziner, Verwaltungsfachleute und Wirtschaftsexperten - insgesamt 342 Männer - musste die Jüdische Kultusgemeinde im Herbst 1941 auf Anweisung der deutschen Besatzungsbehörden von Prag aus in das 60 Kilometer entfernte Theresienstadt schicken. Die Formulierung "Aufbaukommando" entpuppte sich als blanker Zynismus, denn hinter den alten Festungsmauern des gerade einmal 7000 Einwohner großen Garnisonsstädtchens sollten über 70.000 Juden aus Böhmen und Mähren regelrecht zusammengepfercht werden. Von Juli 1942 an diente Theresienstadt außerdem als Altersgetto, in das auch hochdekorierte Veteranen des Ersten Weltkriegs oder jüdische Ehegatten aus so genannten Mischehen deportiert wurden. Zuvor mussten die künftigen Lagerinsassen ihr gesamtes Vermögen auf das Konto eines "Auswanderungsfonds für Böhmen und Mähren" einzahlen. Damit, so gaukelten ihnen die deutschen Behörden vor, werde eine umfassende "Betreuung und Pflege" finanziert. Vojtech Blodig, Historiker der Gedenkstätte Theresienstadt, hat die Details recherchiert:

"Das waren so genannte Heimeinkaufsverträge - und sie haben erwartet, dass es sich um ein Bad handelt, die fuhren nach Bad Theresienstadt und wollten ein Zimmer mit Aussicht auf den See. Aber sie kamen in eine verlauste Stadt, in der sie kein Bett bekommen haben, sie mussten auf dem Boden liegen."

Die tschechische Cembalistin Zuzana Ruzickova, die als junges Mädchen einem Landwirtschaftsbetrieb des Gettos zugeteilt worden war, versuchte außerhalb dieser Zwangsarbeit zusammen mit einigen Freundinnen die Pflege der Gebrechlichen zu organisieren:

"Und dort waren die Bedingungen natürlich ganz schrecklich. Die alten Leute, die Kranken und Siechen waren zum Teil ganz resigniert, zum Teil verzweifelt, in Schmutz und Krankheit. Dort habe ich sehr viel Elend gesehen."

Neben all dem Drangsal aber war der Alltag in Theresienstadt auch durch ein reges Kulturleben geprägt. Es wurden Malkurse organisiert, regelmäßig übte ein Jugendchor, und die von Hans Krasa komponierte Kinderoper "Brundibar" wurde in Theresienstadt uraufgeführt. Und nicht nur für Zuzana Ruzickova war so etwas lebenswichtig:

"Es gibt manchmal Situationen, wo die Kunst und Kultur mehr sein kann als ein Stück Brot."

Um andererseits jeder Legendenbildung vorzubeugen, hat die Schriftstellerin Gerty Spies schon früh darauf hingewiesen, dass Theresienstadt ein zweideutiger Ort war: Dort, wo bedeutende Wissenschaftler lehrten wie Leo Baeck, der Vorsitzende des deutschen Rabbinerverbandes, dort hatte die SS unter dem Reichsprotektor Reinhard Heydrich eine Transitstation in den Tod installiert:

"Die meisten Menschen sind ja dadurch umgekommen, dass sie dann später auch nach Auschwitz transportiert wurden. Theresienstadt war ein Sammelbecken, das Lager hatte zu Zeiten 60.000 Einwohner. Und es wurde dann immer wieder geleert, indem man die Menschen in den Tod schickte - und dann kamen wieder neue heran."

Um über das tägliche Elend und die allgegenwärtige Todesdrohung hinwegzutäuschen, wurde für den Besuch einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes im Sommer 1944 in Theresienstadt ein Café nebst allerlei Läden eingerichtet. Der in Theresienstadt inhaftierte Kurt Gerron wurde gezwungen, vor dieser Kulisse einen Propagandafilm zu drehen mit dem Titel "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt". Alle Gettoinsassen waren Teil einer zynischen Inszenierung, erinnert sich Zuzana Ruzickova:

"Die Nazis haben es dann ja so eingerichtet, dass vier Wochen vor der Vergasung Briefe geschrieben wurden, in denen wir schreiben mussten, es geht uns gut. Und wir mussten dann als Datum einen Monat später schreiben. Und das sollte wahrscheinlich den Gerüchten entgegenwirken."