Training für den Kniehöcker

Von Thomas Doktor · 29.04.2013
Etwa fünf Prozent der Schulkinder leiden an LRS. Einer Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut in Leipzig gelang der Nachweis, dass wohl Störungen in einer Region im Zwischenhirn für die vielen Varianten des Krankheitsbildes verantwortlich sind.
Vier Probanden sitzen in einem großen Seminarraum des Max-Planck-Instituts für Neuro- und Kognitionswissenschaften in Leipzig vor Bildschirmen. Sie hören kurze Silben über Kopfhörer, klicken dann mit der Maus auf Buchstabengruppen auf dem Monitor. Ihre Aufgabe:

"Die Probanden hören Silben, das kann bis zu neun Silben gehen, die auch unterschiedlich lang sind und sie müssen sich die Silben merken und wiederholen."

Erklärt die Logopädin Maria Schäfer, Mitglied der Arbeitsgruppe, die den Ursachen der Lese-Rechtschreib-Schwäche, kurz LRS, auf die Spur kommen will.

Probandin Stefanie Ratz unterbricht ihre Übung kurz, nimmt den Kopfhörer ab:

"Also manche Sachen finde ich immer noch extrem schwer, weil ich kann mir Sachen schlecht merken. Und da ging es ja teilweise darum, sich Silben zu merken und da verzweifele ich immer noch dran, weil ich mir einfach nicht mehr als drei Sachen gleichzeitig merken kann. Aber manche Sachen haben auch total Spaß gemacht: Dieses Silben-Memory ist meine Lieblinssequenz ..."

Die Studentin wendet sich wieder dem Bildschirm zu. Ein zentrales Problem für von Lese- und Rechtschreib-Schwäche-Betroffene liegt darin, sagt Maria Schäfer, Sprachsignale und Schrift in die richtige Beziehung zu bringen. Auch hätten sie oft Probleme damit, bestimmte Laute voneinander zu unterscheiden:

"Bei Legasthenikern gibt es nach meiner Erfahrung vier bis sechs Laute, die besonders schwierig sind, zu unterscheiden. Das ist G und K, D und T und P und B. Deswegen werden diese in dem Computerprogramm besonders häufig benutzt."

Die Frage der Leipziger Forscher lautet also: Kann man durch die Trainingsprogramme die Spracherfassung und Sprachverarbeitung verbessern? Die aktuelle Untersuchungsreihe wird zunächst an gesunden Probanden durchgeführt. Prof. Dr. Katharina von Kriegstein, die Leiterin der Arbeitsgruppe, erklärt warum:

"Bevor man das anhand einer Störung untersucht, muss man vorher immer sogenannte Grundlagenforschung machen, wie läuft das eigentlich ab, bei Probanden, die das nicht haben."

Aber wie will man denn einen möglichen Fortschritt durch das Training messen? Die Antwort führt in den ersten Stock des Instituts.

Besonderes Augenmerk auf das menschliche Zwischenhirn
Der Raum gleicht einer Mischung aus Arztpraxis und Raumschiffbrücke: Desinfektionsspender an den Wänden und auf einem der Tische eine beeindruckende Ansammlung von Monitoren und Displays.

Probandin Ina Beier bereitet sich auf die Abschlussuntersuchung vor. Vier Wochen hat sie nun täglich eine Stunde am Computer trainiert. Um herauszufinden, ob das ihr Sprachvermögen verbessert hat, legt sie sich im Nachbarraum auf eine Liege, auf der sie in das Innere einer tunnelartigen Metallröhre geschoben wird, in einen sogenannten Magnetresonanztomographen. Nun wird der Raum geschlossen und abgedunkelt.

MRT 2: "Hast Du das gut gehört und auf beiden Ohren gleichmäßig? OK-Super: Dann machen wir jetzt einen kurzen Vortest und beginnen dann das Experiment ..."

Über Kopfhörer hört Ina Beier nun Silbenreihen. Je nach Vorgabe auf dem Monitor sollen sie nun entweder auf den Wechsel des Sprechers oder auf einen Wechsel der Silben mit einem Druck auf einen Schalter in ihrer Hand reagieren.

Auf den zahlreichen Bildschirmen im Kontrollraum wird jetzt das Gehirn der Probandin dargestellt: Die Grafik erinnert an die Bilder einer Wärmebildkamera: nur dass die gelben und orangefarbenen Flecken hier die Aktivität des Gehirns sichtbar machen. Da sich Ina Beier auch zu Beginn des Trainings, einem solchen Scan unterzogen hat, gibt es nun Vergleichsdaten. Ein besonderes Augenmerk richten die Forscher auf das menschliche Zwischenhirn, genauer auf den sogenannten medialen Kniehöcker:

"Es gab vor einiger Zeit in den 80er-Jahren eine Publikation, die gesagt hat, der mediale Kniehöcker hat einen anderen Zelltyp in Leuten mit Legasthenie, als in anderen Leuten. Das hat man herausgefunden, in dem man Gehirne untersucht hat, von Legasthenikern, die gestorben waren."

Erst das neue Verfahren mit Hilfe des MRT erlaubt es den Forscherinnen des Max-Planck-Instituts dem lebenden Gehirn bei der Arbeit zuzuschauen. So konnten sie im letzten Jahr nachweisen, dass von LRS Betroffene in der Tat eine geringere Aktivität in der fraglichen Zwischenhirnregion aufweisen. Kann aber nun diese Region durch das neue Training stimuliert werden, bedeutet das auch neue Hoffnung für die betroffenen Kinder:

"Dieses Programm wird teilweise auch schon angewendet für Therapien. Also es ist jetzt nicht so, dass man warten muss bis wir die Ursachen gefunden haben in den Gehirnmechanismen, bis man Therapien anwenden kann."

Denn auch wenn ein Teilerfolg erreicht ist, die Frage nach den genauen Abläufen im Gehirn wird die Forscher sicher noch lange beschäftigen.
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