Tragödie mit Bankern

Hans-Peter Burghof im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 12.01.2013
Die Fehler im System würden in "Das Himbeerreich" gezeigt und die Banker als Getriebene ohne jedes Privatleben, lobt der Professor für Bankenwirtschaft Hans-Peter Burghof. Allerdings mache Andres Veiels Stück "zu viele Fässer auf", um die Finanzkrise zu erklären.
Jörg Degenhardt: "Black Box BRD" oder die Theaterinszenierung "Der Kick" über den Mord an einem Jugendlichen im brandenburgischen Potzlow – Andres Veiel gilt als einer der wichtigsten deutschen Regisseure der Gegenwart. Für seine Filme gab es national wie international Preise. Jetzt hat er doch tatsächlich die Finanzkrise auf die Bühne gebracht, in einer Koproduktion zwischen dem Stuttgarter Schauspielhaus und dem Deutschen Theater in Berlin: "Das Himbeerreich" heißt das Stück, in dem es um Gier und die Machenschaften der Banken geht.

Gestern fand die Premiere in Stuttgart statt, und für uns hat sich das als Kritiker Hans-Peter Burghof angeschaut, Professor für Bankenwirtschaft an der Universität Hohenheim. Guten Morgen, Herr Burghof.

Hans-Peter Burghof: Guten Morgen.

Degenhardt: Für Sie noch mal zur Auffrischung und für unsere Hörer als kleiner Eindruck hier ein kurzer Ausschnitt aus den Proben:

Schauspieler 1: "Wie kommen wir raus aus diesen Millionen von Schulden, Inflation? Wen trifft es? Die, die keine Häuser haben, keine Goldbarren im Safe, den kleinen Sparer, der sein Vermögen verliert."
Schauspieler 2: "Warum wird da keiner wütend!?"

Degenhardt: Herr Burghof, das war ein kleiner Ausschnitt. Nun, was ist das überhaupt für eine Geschichte, die Andres Veiel da erzählt? Ist das die, die wir schon gehört haben, die vom gierigen und gewissenlosen Investmentbanker, der Otto Normalsparer über den Tisch zieht, oder sind die Banker gar nicht so böse?

Burghof: Nein, er zeigt natürlich Menschen, und das ist der große Vorzug einer solchen Konstruktion aus tatsächlich Gesagtem, von Bankern tatsächlich Gesagtem, dass man sie in einer gewissen Weise als Menschen entlarvt, aber auch als Menschen versteht. Er zeigt halt, wie die auch teilweise Getriebene waren, und dass das keineswegs der geizige, der gierige Banker ist, der das möchte, sondern er zeigt halt, wie dem auch die Karotte vorgehalten wird und wie die dann im Grunde genommen durch ein System gesteuert werden. Das einfache Zuordnen – es gibt halt Gut und Böse –, das hilft meistens in der Realität eben nicht so viel.

Degenhardt: Und das kommt richtig als Theaterstück rüber, oder wirkt das doch teilweise eher wie Kabarett?

Burghof: Ja, das ist eher das Schwierige, nein, wie Kabarett wirkt es nicht, dafür sind die Texte zu ernst, auch zu böse, vor dem, was tatsächlich passiert ist, also wie Kabarett wirkt das gar nicht. Man hätte sich halt im Theater mehr Geschichte gewünscht. Es ist halt orientiert von dem Aufbau her an der griechischen Tragödie, sie haben also die Texte gesprochen und dazwischen dann haben wir so eingespielte Chorstücke, das ist wie bei den alten Griechen gemacht. Aber dafür wird dann zu wenig an der Geschichte erzählt. Das ist halt … kommt aus der Montagetechnik, ist aber schade, weil man wünschte sich, dass diese Personen dann auch noch ein bisschen mehr Leben bekämen. So bekommen sie halt viel Text.

Degenhardt: Das heißt, das Stück ist nicht wirklich unterhaltsam?

Burghof: Doch, das ist es schon, aber es ist natürlich unterhaltsam vor allem deswegen, weil wir alle davon ganz massiv betroffen sind, was da passiert ist. Und da ist natürlich, ich glaube, für viele das ein Blick in diese Welt, die uns jetzt doch massiv in dem, was wir an Rente kriegen werden, in dem, was wir an Zinsen kriegen werden auf unser Gespartes, ganz massiv betreffen wird. Also von daher glaube ich schon, dass die meisten unterhalten waren, es war halt so, dass manche sich gewünscht hätten, dass das auch mehr Geschichte wäre. Eine Tragödie muss halt auch eine gewisse … Da braucht man auch Persönlichkeiten.

Und die Schauspieler waren durchaus darauf angelegt, das zu sein. Die waren schon sehr stark, da war ich schon sehr beeindruckt, so der alte Banker, der diesen Kulturwandel erlebt und von diesem Kulturwandel überfahren wird, oder die junge ehrgeizige Bankerin, die das Ganze vorantreibt mit ihrer Karriere, gegen das, dass ja sonst Frauen gar nicht diese Rolle spielen würden – das war sehr, sehr gut gemacht. Und man hätte sich halt gewünscht, dass die dann wirklich auch eine Geschichte erzählen dürfen. Die Montagetechnik aus den tatsächlichen Aussagen von Bankern aus den Interviews hat das wahrscheinlich aber nicht zugelassen.

Degenhardt: Herr Burghof, zeigt die Inszenierung nun vor allem die Macken der Macher oder auch die Fehler im System?

Burghof: Sie zeigt stärker die Fehler im System, weil die Macher wie gesagt ja aus ihren eigenen Aussagen sehr menschlich da wieder rüberkommen – wobei das Menschliche tatsächlich sich aus ihrer Stellung zum System ergibt. Diese Menschen, die dort geschildert werden, haben kein Privatleben – was auch nicht ganz falsch ist in der Beobachtung. Ich kenne es ja von Bankvorständen, dass die häufig halt von ihrem Job einfach aufgefressen werden, das heißt, die haben dann keinen Resonanzboden, den ein normaler Mensch mehr hat. Das kam eigentlich ganz realistisch rüber. Für mich war es halt an einigen Punkten nicht so überraschend, weil ich halt viele dieser Aussagen in irgendeiner Variation natürlich schon kenne. Wenn man viel mit Bankern redet, hört man die natürlich auch.

Degenhardt: Wie kommen denn eigentlich die Politiker in diesem Stück weg, die, so scheint es ja immer, nur den Schaden reparieren müssen, den die Banken anrichten?

Burghof: Nein, das ist nicht so, also da kommen dann Aussagen dazu, wie die Politiker eigentlich die Banker da reingetrieben haben. Wobei, das ist auch so ein gewisser Punkt, wo ich ein bisschen Schwierigkeiten mit hatte: Meiner Ansicht nach machte das Stück dann, anstatt so eine Tragödienstruktur zu spielen, auch konsequent durchzuspielen, was die Spannung erhöht hätte, zu viele Fässer auf. Das ist einerseits die Rolle der Politik, die natürlich … Die Politiker haben durchaus die Banker in dieses Verhalten hineingetrieben, weil man wollte auch, dass das Bankensystem erfolgreich ist, man hat sich von den Amerikanern blenden lassen, ganz massiv, das ist auch den Politikern unterlaufen. Aber das andere Thema ist zum Beispiel, wie marktwirtschaftlich war dieses System? Das dritte Thema ist dann, was hat Marx schon darüber gesagt – was also vollkommen überflüssig ist, Marx in dem Kontext zu erwähnen, das führt zu so einer leicht theoretischen Überhöhung, die überhaupt nicht notwendig ist.

Degenhardt: Kommt denn auch Medienkritik drin vor in dem Stück? Denn die Medien sind ja auch involviert in diese ganze Geschichte: Es ist nicht alles geschrieben worden, was man hätte vielleicht schreiben müssen.

Burghof: Generell, dass sich Journalisten natürlich missbrauchen lassen in dem Kontext, dass sie bestechlich sind, dass dann große Medienteams von den Banken eingesetzt werden, um in ihrem Sinne die Dinge zu bewegen – das war ein weiteres Fass, das aufgemacht wurde. Und Sie sehen also, es gab ganz viele Fässer, und das ist so eine gewisse Schwäche in dem Stück, dass halt zu viele Fässer aufgemacht werden müssen. Weil die Krise halt insgesamt ein sehr umfassendes Thema ist, da wäre vielleicht eine Konzentration auf einen kleineren Ausschnitt vielleicht für den Zuhörer als Theater... wenn man nicht jetzt eine Gesamterklärung der Krise haben möchte, und das kann ja so ein Stück gar nicht leisten, sondern für den Zuhörer wäre das als Theaterstück schöner gewesen, wenn man da eine Konzentration hätte.

Degenhardt: Welchen Gewinn haben Sie denn ganz persönlich aus dieser Inszenierung gezogen, um welche Erkenntnis waren Sie am Ende reicher?

Burghof: Also ich habe noch mal sehr schön dieses – ja, er nennt das ja "Das Himbeerreich" –, ich habe noch mal sehr schön die Situation dieser abgehalfterten Vorstände empfunden, ja, wie das denn ist, wenn man da draußen ist, wenn man nur noch hinterher … Es ist eine Situation alter Männer, aber häufig auch schon relativ junger Männer und Frauen inzwischen, weil ja man mit dem Feuern dann teilweise sehr schnell ist – diese Perspektivlos... dieses Rausfallen als emotionales Gefühl, das war für mich sehr interessant, das hat mir sehr gefallen. Natürlich, zu den Mechaniken der Finanzkrise – gut, das ist mein Thema, da brauchte das Stück jetzt mich nicht drüber aufzuklären. Trotzdem habe ich … Diese emotionale Dimension fand ich also sehr interessant für mich.

Degenhardt: Hans-Peter Burghof, Professor für Bankenwirtschaft an der Universität Hohenheim, hat sich für uns das Theaterstück "Das Himbeerreich" angesehen, die Inszenierung von Andres Veiel hat gestern in Stuttgart Premiere gehabt. Sie bringt die Finanzkrise auf die Bühne. Vielen Dank, Herr Burghof, für das Gespräch und dass Sie für uns ins Theater gegangen sind.

Burghof: Bitte, sehr gerne.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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