Traditionsverein

Darmstadt 98 ist wieder erstklassig

Darmstadts Tobias Kempe (l) und Jerome Gondorf jubeln nach dem Tor zum 1:0.
Tobias Kempe ist Darmstadts Mann des Tages mit seinem 1:0-Siegtreffer. © picture alliance/dpa/Arne Dedert
Von Ludger Fittkau · 24.05.2015
Mit einem Minibudget und einem einmaligen Teamgeist hat Darmstadt 98 den Durchmarsch aus der 3. Liga in die Bundesliga geschafft. Die Geschichte des Vereins klingt wie ein hessisches Fußball-Märchen.
Da ist es wieder, das ewig schöne Epos vom mittellosen Underdog, der es dem großen Kapital zeigt. Die immer wieder gern gehörte Geschichte von den armen, aber ehrlichen Malochern anstelle der gelangweilten Superreichen, die sich den Fußball als teures Spielzeug leisten.
Harte Abwehrarbeit bis zum Umfallen. Vorne Standards verwandeln. Bisweilen ein schneller Sprint, eine überfallartige Einzelaktion. Darmstadt bietet keinen Zauberfußball – sondern eine schweißtriefende Kollektivleistung. Mit Spielern, die woanders längst ausgemustert waren. Die ohne Ablösesumme ins antiquierte Stadion am Böllenfalltor kamen. Mit einem Trainer, der von den Teamgeist-Tugenden redet, die er noch in DDR-Zeiten mitbekommen habe. Das alte Stadion - nichts für Warmduscher, weil in den Umkleidekabinen manchmal der Warmwasser-Boiler ausfällt. Neben einer zerkratzten Metalltür auf der Tribüne war noch vor kurzem ein Schild aus den 70er Jahren montiert: "Bitte Auslasskarte geben lassen."
10.000 nagelneue Sitzplätze sollen her
Jetzt hat Darmstadt die Einlasskarte für die erste Liga gelöst. Das Stadion soll in den nächsten Jahren komplett modernisiert werden. Nicht nur rostige Schilder werden abmontiert. Auch 10.000 nagelneue, teure Sitzplätze sollen entstehen. Dort, wo es heute noch viele billige Stehplätze gibt. Ein "Fanbündnis" will nach dem letzten Spiel gegen St. Pauli eine Demo vom Böllenfalltor in die Darmstädter Innenstadt organisieren, um die Stehplätze zu retten. Dieser Konflikt mit der Vereinsführung zeigt: Der Underdog-Charme, den Darmstadt 98 jetzt noch hat, kann schon bald verschwunden sein. Die Bundesliga bietet nur wenig Raum für Fußball-Romantik.
Doch jetzt werden die "Lilien", wie die Darmstädter ihre Kicker nennen, erst einmal gefeiert. Die Lilie ziert das Vereinswappen des Erstliga-Aufsteigers aus Südhessen. Lilien –so verrät das Internet-Lexikon – sind ausdauernde, aufrecht wachsende Zwiebelpflanzen mit auffälligen Blüten.
Auffällig und vor allem ausdauernd – ja. Das war das Erfolgsrezept der Kicker auf dem Platz. Aufrecht – bisher ja. Doch eine Zwiebel hat die Eigenschaft, dass sie sich häuten lässt. Hoffentlich bleibt im Kern mehr übrig als das übliche Big Business der Bundesliga. Den Fans und der Liga wäre es zu wünschen.
nsonsten sollte man das rostige Schild wieder an die Tribünentür schrauben und auf die 1. Liga münzen: "Bitte Auslasskarte geben". Doch daran wird heute Abend in Darmstadt erst einmal niemand denken. Denn aus der blühenden Lilien-Phantasie ist Wirklichkeit geworden!
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