"Tradition kann auch was Erneuerndes haben"

Rebekka Großmann im Gespräch mit Thorsten Jabs · 12.02.2011
Theologieprofessoren fordern in dem Memorandum "Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch" die katholische Kirche zu Reformen auf. Unterstützt werden sie vom Vorstand der studierenden Cusanerinnen und Cusanern. Vorstandsmitglied Rebekka Großmann fordert vor allem mehr Mitbestimmung für Gemeindemitglieder.
Thorsten Jabs: Muss die katholische Kirche reformiert werden? Diese Frage beschäftigt die Kirche seit Jahrhunderten. Seitdem die Missbrauchsfälle bekannt wurden, wird sie von immer mehr Menschen eindeutig mit Ja beantwortet, so auch von knapp 150 Theologieprofessoren an deutschsprachigen Universitäten. Sie haben in der letzten Woche ein Memorandum veröffentlicht, der Titel lautet "Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch". Sie fordern zum Beispiel offene Kommunikation, mehr Mitsprache der Mitglieder, verheiratete Priester und Frauen im kirchlichen Amt, die Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und kulturelle Vielfalt in den Gottesdiensten. Unterstützt werden sie vom Vorstand der studierenden Cusanerinnen und Cusanern, das sind Studenten, die der bischöflichen Studienförderung, dem Cusanuswerk verbunden sind. Zum Vorstand gehört Rebekka Großmann, sie studiert Politikwissenschaften und Geschichte, guten Tag, Frau Großmann!

Rebekka Großmann: Hallo, guten Tag!

Jabs: Warum haben Sie sich entschieden, das Memorandum zu unterstützen?

Großmann: Wir haben uns entschieden, das Memorandum zu unterstützen, weil wir für einen offenen, kritischen und konstruktiven Diskurs ohne Schranken sind. Das haben wir uns als Vorstand überlegt der Studierenden, das heißt einerseits, dass wir für die, vor allem für die studierenden Cusanerinnen und Cusaner sprechen, aber eben nicht nur. Da ist ganz klar zu betonen, dass es innerhalb dieser Gemeinschaft viele verschiedene Meinungen gibt und dass wir eben schon fühlen, dass wir einen Großteil dieser Stipendiaten hinter uns haben. Wir sind einfach froh, dass es eine Initiative gab, dieser großen Zahl – mittlerweile sind es glaube ich 224 – glaubwürdigen Theologen, die sich aus Sorge zur Kirche zu Wort gemeldet haben. Und das in einer Situation, in der wir eigentlich nicht mehr daran geglaubt haben. Sie haben Wege aufgezeigt, wie die Kirche aus dieser momentanen Krise, in der sie sich befindet, wieder herauskommen kann. Das finden wir notwendig und unterstützenswert, und deswegen haben wir uns mit dieser Pressemitteilung eben auch für die Reformen ausgesprochen.

Jabs: Was läuft denn aus Ihrer Sicht schief in der katholischen Kirche?

Großmann: Wir finden, es gibt einige Probleme, die die Professoren eben auch angesprochen haben, und dabei weist die Sammlung dieser Professoren eben in eine bestimmte Richtung. Die Themen sind nämlich nicht neu, immer wieder wurden sie erwähnt und vor allem seit dem Zweiten Vatikanum diskutiert. Dazu zählt zum Beispiel das Leben in der Gemeinde. Eine Gemeinde ist ein Zusammenkommen, und zwar in einem Raum mit sozialen Interaktionen und im Namen Christi. Eine Gemeinde sollte Identität verleihen und Gemeinschaft geben und vor allem auch Heimat. Im Moment gibt es da aber drängende Probleme, denn im Moment werden immer mehr Kirchen zu sehr großen Gemeinden zusammengelegt und viele kennen sich gar nicht mehr untereinander. Die Geborgenheit schwindet und letztlich bleibt man als Gemeindemitglied weg, weil man sich nicht wiederfindet. So zum Beispiel auch junge Christen, die sehen, dass die Gemeindearbeit, die sie aufgebaut haben, zerstört wird oder bröckelt zumindest, weil eben die großen, diese sogenannten XXL-Gemeinden diese ganze Arbeit nicht mehr stemmen können. Und wichtig ist uns eben, dass es Möglichkeiten einer neuen Mitbestimmung gibt. Dass Entscheidungen, die momentan getroffen werden und die auch getroffen werden müssen, gemeinsam entschieden werden. Es geht dabei überhaupt nicht darum Strukturen zu zerbrechen oder ganz zu erneuern, es geht auf keinen Fall um eine Revolution, aber es geht darum die verschiedenen Gemeindemitglieder der Gemeinde an einen Tisch zu setzen und zu überlegen, wie man konstruktiv etwas verändern kann.

Jabs: Wie geht es Ihnen da persönlich? Fühlen Sie sich mitgenommen, mit einbezogen in Ihrer Gemeinde?

Großmann: Ich fühle mich teilweise mit einbezogen, es gibt aber durchaus auch Probleme, wo man sagen könnte, es könnte noch mehr gemeinsam entschieden werden. Ich persönlich finde schon, dass es an verschiedenen Ecken und Enden eben gerade hapert, dass Probleme festgestellt werden können in einer Kirche, der teilweise vielleicht auch Weltferne vorgeworfen werden kann momentan. Die Frage ist eben, ob in der Gemeinde die Gottesbeziehung, die da sein soll, noch gelingt, ob Gottesdienste an die verschiedenen Wünsche angepasst werden können. Und da kann man sicherlich auch neue Formen der Gemeindearbeit zusammenfinden. Es geht eben darum, und das fällt mir schon auf, dass teilweise die Verantwortung den Gemeindemitgliedern nicht zugesprochen wird, dass gedacht wird, dass sie die Verantwortung nicht übernehmen wollen oder können. Und das ist eben nicht der Fall, denn es gibt durchaus engagierte Christen, junge Christen, aber auch ältere, die sich einsetzen wollen für ihre Gemeinde. Das sehe ich bei mir auch in der Gemeinde. Ich sehe allerdings auch, dass es da Probleme gibt insofern als eben gesagt wird, dass es bestimmte Aufgaben gibt, die sie einfach nicht übernehmen können als engagierte Christen und auch als Laien. Und da bin ich eben nicht einverstanden. Da finde ich schon, dass man sich auch zusammensetzen könnte, etwas besprechen könnte und darüber sprechen könnte, dass es eben Formen gibt, die erneuert werden könnten. Auch, was die Gottesdienste betrifft, aber auch was die Gemeindeleitung betrifft.

Jabs: Glauben Sie tatsächlich, dass die katholische Kirche zu mehr Kommunikation, zu mehr Transparenz und auch zu mehr Beteiligung der Mitglieder bereit ist?

Großmann: Ja, das glaube ich durchaus, und es ist eigentlich auch nicht neu. Und es ist vor allem auch kein rein deutsches Problem. Es gibt auf jeden Fall Kirchen, in denen das bereits funktioniert, es gibt Überlegungen, die nicht schwer sind. Es gibt Möglichkeiten die verschiedenen Ebenen an einen Tisch zu bringen, und da geht es gar nicht darum die Hierarchien abzubauen, sondern es geht eben darum, Kommunikation zu bestärken und den Dialog zu suchen. Und da gibt es auf jeden Fall Strukturen und auch Überlegungen, wie man diese Strukturen schaffen kann. Nicht Altes zerbrechen, aber eben sich über Neues Gedanken machen. Und da gibt es neue Formen, deren Idee nicht neu ist, aber die man eben einführen könnte und wozu es auch keine großen Schritte bedürfte. Und ich kann da schon Begriffe nennen wie Viri probati oder das Diakonat der Frau, und die Kirchenleitungen sehen ja auch, dass vieles so nicht läuft und dass sich vieles verbessern muss.

Jabs: Größte Streitpunkte sind natürlich der Zölibat und die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Warum sollte sich die katholische Kirche von diesen Urprinzipien lösen?

Großmann: Ich denke nicht, dass sie sich lösen sollte. Es sollte einfach eine Möglichkeit zum Dialog geschaffen werden. Es gibt eben Gruppen, mit denen sich die Kirche schwertut, und das sind eben teilweise auch Menschen wie wiederverheiratete Geschiedene oder Homosexuelle. Aber hier könnte eben ein Dialog weiterhelfen. Wenn Jesus mit den Benachteiligten und denen, denen im Leben etwas misslingt, ist und für sie da ist, dann kann die Kirche diese Menschen eben auch nicht ausschließen. Die Ehe ist sehr hoch zu schätzen, aber wenn zwei Menschen gleichen Geschlechts sich lieben und das eben auch in einer Verantwortung füreinander tun, dann ist das auch eine Form von echter Liebe und Verantwortung, und die Kirche sollte diese Menschen dann auch nicht ausschließen und verurteilen.

Jabs: Und wie sieht das mit dem Zölibat aus?

Großmann: Der Zölibat ist eine Lebensform, die auf jeden Fall respektierbar ist. Und es geht bei dem Memorandum der Professoren nicht darum, den Zölibat abzuschaffen. Es geht einfach um neue Formen, die eben zum Zölibat und zum Priesteramt dazukommen können, auch um die eben erwähnte Gemeindearbeit zu stärken.

Jabs: Also das heißt, man braucht auch verheiratete Priester, steht im Memorandum.

Großmann: Verheiratete Priester sind ein ganz kleiner Teil des Memorandums. Es geht viel, viel mehr um diese neuen Formen. Und da ist das, worauf eben die Presse sich gerade konzentriert – und da ist auch der Zölibat mit gemeint –, eben eigentlich nachrangig.

Jabs: Papst Benedikt XVI. hat kürzlich gesagt, der Hirte darf kein Schilfrohr sein, das sich mit dem Winde dreht, kein Diener des Zeitgeistes. Haben Sie das Gefühl, dass das Memorandum ein wenig zu viel Zeitgeist ist?

Großmann: Nein, ich finde, mit dem Memorandum haben die Professoren, die es formuliert haben, genau die Zeichen der Zeit erkannt und verstanden und neue Ideen formuliert für Wege, die man gemeinsam gehen kann.

Jabs: Widerstand regt sich gegen Ihre Unterstützung des Memorandums auch bei Ihnen in Ihren Reihen. Eine Gruppe von Stipendiaten des Cusanuswerks wehrt sich unter anderem gegen das Memorandum, aber auch gegen die Position des Vorstands der studierenden Cusanerinnen und Cusaner. Hätten Sie mit diesem Widerstand gerechnet?

Großmann: Wir haben als Vorstand und als legitim gwähltes Gremium agiert. Wir wussten, dass wir damit nicht die Gesamtmeinung aller Cusaner hinter uns haben. Wir glauben, immer noch, dass wir viele Cusaner mit unserer Meinung vertreten. Ich kann aber auch hier sagen, dass ich mit allem, was ich sage und denke, vor allem für mich spreche. Ich weiß, dass meine Vorstandskollegen genau so denken und genau so handeln würden. Wir wissen aber auch, dass das auf keinen Fall die Gesamtmeinung widerspiegelt. Und das ist ja eigentlich auch das Spannende, denn wir wollen ja offen in den konstruktiven Dialog treten, den wir angeboten haben, und wir sind eben auch mit diesen Kritikern im Dialog. Und darum geht es ja gerade auch.

Jabs: Und warum haben Sie nicht vorher zum Beispiel in einer Vollversammlung um Einverständnis geworben, wie es jetzt von den Kritikern gefordert wird?

Großmann: Wir wurden zu dritt in einer Vollversammlung eben auch gewählt. Damit sind wir legitime Vertreter, damit haben wir auch gespürt gerade letzten Freitag, dass wir offen sprechen können und haben das gewagt. Und wie gesagt, haben wir gewusst, dass wir nicht die Gesamtmeinung vertreten, das ist aber als gewählte Vertreter meistens so. Man kann nicht für alle sprechen, man kann aber alle ins Boot holen. Und das haben wir eben mit unserer Pressemitteilung eigentlich auch gemacht. Wir haben immer wieder betont, dass hier nur der Vorstand spricht in seiner Meinung, dass keinesfalls alle Stipendiaten diese Meinung haben und dass wir offen sind für den Dialog, dass wir konstruktiv mit den Kritikern ins Gespräch kommen wollen. Und das ist ja auch das, was das Memorandum der Professoren fordert, eben den Dialog.

Jabs: Sie sagen immer wieder Dialog. Aber es sind auf der einen Seite natürlich die katholischen Traditionen, die in diesem Memorandum erwähnt werden, die vielleicht zum Teil aufgebrochen werden sollen. Aber sind es nicht vielleicht die katholischen Traditionen, die auch vielleicht eine Art Alleinstellungsmerkmal der katholischen Kirche sind?

Großmann: Tradition ist ja nicht, dass man die Asche in der Hand hält, sondern dass man die Flamme weitergibt. Und insofern kann ja die Tradition eigentlich auch was Erneuerndes haben. Und dass wir uns als Cusaner jetzt zu Wort gemeldet haben als einige von uns, ist eben auch im Auftrag, oder geschieht auch im cusanischen Auftrag ein innovatives Element der Kirche zu sein. Das ist ein stehender Ausdruck bei uns und dieser Herausforderung haben wir uns gestellt und haben sie angenommen. Und insofern kann man eben mit der Tradition auch in die Zukunft schauen.

Jabs: Was halten Sie von Stimmen, die jetzt zum Beispiel in den Medien zu hören sind, die sagen, wenn man schon dieses Memorandum unterstützt, warum bleibt man dann katholisch und wird nicht gleich evangelisch?

Großmann: Weil es eben beim Katholischsein auch um die Eucharistie geht. Es geht nicht darum die Kirche zu wechseln, es geht nicht darum zu konvertieren oder sich neue Formen des Glaubens zu suchen, sondern wir fühlen und wollen uns in unserer Kirche, in der katholischen Kirche, als junge Christen und als junge Katholiken geborgen fühlen und sehen einfach, dass es Reformen braucht um das Leben zu verbessern, aber auch, dass wir zum Beispiel an der Eucharistie festhalten wollen, weil es ein eminent wichtiger Teil unseres gemeinsamen katholischen Lebens ist und natürlich unseres Glaubens.

Jabs: Und was glauben Sie persönlich, welche Reformen könnten in den nächsten zehn Jahren tatsächlich umgesetzt werden?

Großmann: Was ich sicherlich denke, ist, dass man sofort, morgen anfangen könnte, den Gemeindemitgliedern mehr Mitbestimmung zu gewähren. Dass man ihnen mehr Verantwortung übertragen könnte und mehr mit ihnen gemeinsam entscheiden könnte.

Jabs: Könnte. Aber glauben Sie auch wirklich daran?

Großmann: Ja, daran glaube ich.

Jabs: Frau Großmann, vielen Dank für das Gespräch!

Großmann: Ich danke Ihnen auch!

Jabs: Einschätzungen von Rebekka Großmann, Vorstandsmitglied der studierenden Cusanerinnen und Cusaner, über das Memorandum "Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch", zu Reformen in der katholischen Kirche.