Tourismus

Reich und reif für die Insel

Phoenix Island in Sanya.
Neue Spielwiese für reiche Chinesen: Phoenix Island in Sanya. © picture alliance / dpa
Von Markus Rimmele · 02.01.2014
Hainan hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Art Luxus-Mallorca Chinas entwickelt. Auf Kosten der Umwelt und des traditionellen Lebens ethnischer Minderheiten entstanden Hunderte Hotelanlagen. Mit der Mischung aus chinesischer Medizin und tropischen Stränden werden vor allem russische Touristen angelockt.
Hellgrün leuchtet das Wasser in der Nachmittagssonne. Die Wellen des Südchinesischen Meeres schieben sich gemächlich den Sandstrand hinauf. Im Rücken üppig grüne Berge, am Horizont ein paar Inseln, dahinter nichts mehr. In Sanya hört China auf. Südlicher geht es nicht mehr. Der Wind macht die Sonne erträglich, ein perfekter Badetag. Doch der Strand ist fast leer. Ein russischer Vater tobt mit seiner kleinen Tochter im Wasser. Die Chinesen, sie sind nicht hier. 200 Meter hinter dem Strand drängen sie sich durch eine Shopping-Mall.
"Wir waren heute Morgen am Strand, und vielleicht gehen wir heute Abend wieder. Tagsüber gehen wir nicht. Das ist zu viel Sonne!"
Sagt diese Touristin aus der Provinz Guangdong, dem Hongkonger Hinterland. Eine andere aus Hunan in Zentralchina pflichtet bei. Sie trägt goldene Schuhe mit Pfennigabsatz und einen breitkrämpigen Hut. Ihre schwarze Sonnenbrille verdeckt das halbe Gesicht.
"Wir cremen uns mit Sonnenmilch ein, tragen am Strand Anti-Sonnen-Jacken und Sonnenschirme. Die Jacken sind sehr dünn und langärmelig. Sie bedecken den ganzen Oberkörper. Ich gehe nur früh morgens und nach 16 oder 17 Uhr an den Strand. Dazwischen machen wir etwas anderes. Es ist doch hässlich, wenn man so braun wird!"
Chinesen wollen nicht braun werden. Vor allem die Frauen fürchten um das mühsam erarbeitete, strahlende Weiß ihrer Haut. Im tropischen Sanya führen sie so etwas wie einen Dauerkrieg gegen die UV-Strahlung. Trotzdem reisen sie in Scharen in Chinas südlichste Provinz. Hainans Tourismus-Industrie ist auf die Bedürfnisse des chinesischen Publikums ausgerichtet.
Ein Strand auf der Insel Hainan.
Tropische Strände gibt es in China fast gar nicht. Hainan ist die Ausnahme und deshalb so beliebt.© picture alliance / Xu jingbai - Imaginechina
Die großen Ressort-Hotels bieten genug Abwechslung während der sonnigen Stunden: Shopping, Massagen, Pediküre, überquellende Büffets für ausgiebige Mahlzeiten. Nach Einbruch der Dunkelheit dann erhellt weißes Flutlicht den Strand – für die sonnenscheuen Badegäste.
Hainan ist Chinas einzige Provinz mit tropischem Klima und eine der wenigen Gegenden im Land mit schönen Sandstränden. Der Winterurlaub im immer warmen Sanya ist zu einem Statussymbol geworden. Außer dem Meer bietet Hainan Berge im Inselinneren, heiße Quellen, Minderheitenkultur, tropischen Regenwald, ein Affenreservat und diverse neu geschaffene Touristenattraktionen, etwa eine 108 Meter hohe buddhistische Statue der Göttin Guanyin aus dem Jahr 2005. Die beiden Touristinnen aus Guangdong und Hunan finden die Insel wunderbar.
"Hainan ist ein Geschenk der Natur, ein Naturschatz mit einem solchen Reichtum an Früchten."
"Wir sind so stolz darauf, dass wir diese Insel haben. Wir sollten sie gut bewahren, aber auch mehr Werbung machen, damit noch mehr Leute kommen können."
Die wohlhabenden Touristen wohnen an der Yalong-Bucht östlich vom Stadtzentrum von Sanya. Der Sandstrand hier ist fünf Kilometer lang. Ein internationales Luxus-Ressort reiht sich ans nächste: Sheraton, Hilton, Marriot, Ritz-Carlton. Jedes ist umgeben von üppigen Palmengärten und Poollandschaften. Zur Hochsaison rund ums chinesische Neujahrsfest kostet ein Doppelzimmer in der Yalong-Bucht 600 Euro.
Von seinem Wohnhaus oben am Berg zeigt Mao Jianfeng hinab auf die Bucht mit den Hotelklötzen:
"Die meisten Touristen kommen aus den reichen Regionen Chinas. Vor allem aus dem Norden und aus Shanghai. Der Großteil gehört zur Mittelklasse. Die Reichen wohnen in den großen Hotels: Unternehmer oder Regierungsbeamte. Chinesische Luxustouristen sind sehr eigen. Die geben grenzenlos Geld aus. Beim Essen wollen sie nur das Allerteuerste – zum Beispiel Wildtiere."
Waldfläche schrumpfte um ein Drittel
Mao Jianfeng ist ein Mann der ersten Stunde auf Hainan. Mit seiner Baufirma verdiente er seit den 90ern kräftig mit am Tourismus. An der Hälfte der Luxushotels auf Hainan habe er mitgebaut, erzählt er. Heute setzt er auf eine sanftere Art des Tourismus. Hoch über der Bucht hat er das exklusive so genannte Vogelnest-Ressort errichtet.
Die Gäste wohnen in Holzhäusern, die über die Baumkronen des Bergurwalds hinausragen. Mao betreibt auch den 15 Quadratkilomter großen kostenpflichtigen Dschungelpark um sein Ressort herum. Touristen laufen dort über Hängebrücken, erfahren etwas über tropische Vegetation. Mao Jianfeng, der Hotel-Tycoon, gibt sich heute geläutert.
"Bevor das mit dem Tourismus losging, war Hainan ein Naturparadies. Es war alles unberührt und intakt, wenn auch etwas rückständig. In den letzten zwanzig Jahren hat sich Hainan parallel zur chinesischen Wirtschaft entwickelt. Die Yalong-Bucht ist jetzt voller internationaler Hotels. Das ist jetzt genauso wie an jedem anderen berühmten Urlaubsort auf der Welt."
Unberührt ist Hainan lange nicht mehr. Wie schon an anderen Orten des Massentourismus entwickelt sich das Urlaubsgeschäft auf Kosten der Natur. Die Waldfläche entlang der Südküste ist seit Anfang der Neunzigerjahre um ein Drittel geschrumpft. Obstplantagen fressen sich in den Urwald vor.
Sie stillen den immer größeren Hunger der Besucher auf Südfrüchte. Erosion ist die Folge, so eine Studie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. Die Baulandfläche hat sich verdreifacht. Immer mehr Hotel- und Wohnanlagen enstehen auf dem schmalen Küstenstreifen. Dort befindet sich aber auch das fruchtbarste Land der Insel. Äcker verschwinden unter Beton und Swimmingpools.
Der Tourismus greift nicht nur massiv in die Natur ein, sondern auch in das ethnische Gefüge der Insel. Traditionell ist Hainan von ethnischen Minderheiten bewohnt, den Li und den Miao. Chen Haizhou kam vor dreißig Jahren aus der nordchinesischen Provinz Henan als Marinesoldat nach Sanya. Die Stadt ist ein wichtiger Stützpunkt der chinesischen Südmeerflotte.
"Als ich hier ankam, war das alles noch arm und rückständig. Hier lebten vor allem Li und Miao, hingegen kaum Han-Chinesen. Die Stadt Sanya hatte nur 100.000 Einwohner, und es gab keinen einzigen Touristen."
Chen Haizhou blieb in Sanya hängen, fährt seit Jahren Taxi. Sanya hat heute etwa eine Million Einwohner, die allermeisten sind zugezogene Han-Chinesen, die Hälfte allein aus dem sibirisch kalten Nordosten Chinas. Sie arbeiten in der Tourismusindustrie.
"Der Zuzug hat die traditionelle Kultur verändert, das Leben der Fischer. Hier gab es viele Li- und Miao-Dörfer. Deren Kultur ist fast ausgelöscht. Die Einheimischen verdienen nicht viel Geld. Nur die Regierung und die Immobilienentwickler werden reich. Die cleveren Leute sind reich, die Fischer leben weiter in Armut."
80 Kilometer westlich von Sanya. Im Fischerdorf Longxiwan herrscht Müßiggang. Wegen des hohen Seegangs können die Männer heute nicht aufs Meer hinaus. Alle sitzen in Gruppen zusammen, rauchen, spielen Mahjong. Hinter ihren niedrigen Häusern ragen neue Wohntürme in den Himmel. Sie sind dem Dorf gefährlich nahe gerückt.
Eine Gruppe von Golf-Caddies, die davor in der Fischerei gearbeitet haben.
Umschulung für den Tourismus: eine Gruppe von Golf-Caddies, die davor in der Fischerei gearbeitet haben.© picture-alliance / dpa/dpaweb
Hainans Südküste ist nicht mehr nur bei Hotelurlaubern beliebt. Immer mehr Chinesen kaufen sich dort eine Ferienwohnung oder einfach nur ein Anlageobjekt in der Hoffnung auf steigende Preise. Die Baubranche boomt, Experten warnen vor einer Immobilienblase. Im Jahr 2013 flossen auf Hainan zehn Milliarden Euro in den Bausektor, ein Plus von 30 Prozent.
Das Ergebnis ist entlang der gesamten Südküste zu besichtigen. Der Weg von Sanya nach Longxiwan führt an zahlreichen Apartmentblocks vorbei. Viele sehen komplett leer aus. Die Dorfbewohner machen sich Sorgen, der 50-jährige Wu Zhonghua zum Beispiel.
"Als Küstenbewohner ärgere ich mich darüber, dass so viele von außen herziehen, unser Land nehmen und uns vertreiben. Wir fischen hier seit Hunderten von Jahren. Wenn wir wegziehen müssen, verlieren wir unsere Einnahmequelle. Die sagen uns dann wahrscheinlich, wir sollen anderswo arbeiten. Aber kümmern wird sich dann keiner um uns. Wir werden schon eine Entschädigung kriegen, aber die hält doch nicht lange vor. Junge Leute können leicht eine neue Arbeit finden, aber wir Älteren?"
Immobilienprojekte statt Fischfang
Die Jungen sehen die Zukunft nicht ganz so düster. So wie bisher wollen sie auch nicht weiterleben. Die Fischerei wird immer mühsamer, erzählen sie. Früher sei das Südchinesische Meer voller Fisch gewesen, doch jetzt nicht mehr. Die großen modernen Fangnetze räumten den Ozean komplett aus. Da bleibe für die kleinen Fischer nicht viel übrig. Der 25 Jahre alte Wu Yumin:
"Mit den Immobilienprojekten kann es für uns besser werden, auch wirtschaftlich. Es kommt ganz darauf an, wie uns die Immobilienentwickler behandeln. Wenn sie hier ein Fünf-Sterne-Hotel bauen wollen, müssen sie sich halt überlegen, womit wir unseren Unterhalt verdienen können. Wenn unser Dorf neu bebaut wird, würden wir bleiben und in ein Hochhaus ziehen. Wir könnten dann ja immer noch fischen oder Meeresfrüchte verkaufen."
Bis 2020, so die offizielle Losung, soll Hainan eine internationale Touristendestination werden. Erfolgreich ist die Insel Hainan bislang vor allem auf einem ausländischen Markt: in Russland. Russen machen etwa die Hälfte aller internationalen Besucher in Sanya aus.
Im jahr 2012 kamen knapp 200.000. Charterflüge aus dem ganzen Land, von Moskau bis Irkutsk bringen russische Gäste. Kyrillische Buchstaben sind allgegenwärtig in Sanya. Viele Chinesen in den Geschäften verstehen und sprechen ein paar russische Brocken. Die Dolphins-Bar im Stadtzentrum von Sanya. Hier treffen sich abends junge Russen. Die 28-jährige Sascha lebt seit sechs Jahren auf Hainan. Sie dolmetscht in einer Klinik für chinesische Medizin.
"Viele Russen kommen in unser Medizinzentrum, um sich behandeln zu lassen: Akupunktur etcetera. Chinesische Medizin ist sehr beliebt. Und deshalb kommen sie nach Sanya."
Der 24-jährige Ilias aus Kirgisistan arbeitet im Hotelbusiness in Sanya. Er bestätigt: 80 Prozent der Russen kämen wegen der Kombination aus chinesischer Medizin und tropischem Strand. Doch nicht nur das.
"Da ist eine kulturelle Nähe zwischen Chinesen und Russen. Unsere Politiker stehen sich nahe. Das spielt eine Rolle. Und das geht ja zurück bis in die Zeiten der Sowjetunion. Wir sehen hier chinesische Zeichen neben russischen Buchstaben. Das ist völig normal hier."
Russische Touristen unterscheiden sich in ihrem Verhalten durchaus von den chinesischen, sagt er. Die Russen verbrächten viel mehr Zeit am Strand und sie tränken mehr Alkohol. Die ausländischen Touristen sind durchaus beliebt bei den Einheimischen. Der 19-jährige Li Feng arbeitet als Concierge in einem Luxushotel, organisiert dort Taxis für die Gäste.
"Die Ausländer sind in Ordnung. Aber die Chinesen sind nicht so nett. Die sind laut. Die meisten sind Neureiche. Sie sind sehr unfreundlich und zeigen keinen Respekt. Sie folgen nur einem Gesetz: Ich bin Kunde, also bin ich Gott. Die kümmern sich gar nicht darum, was Du ihnen sagst. Sie machen, was sie wollen."
Hainan zieht bereits heute dreimal so viele Touristen an wie Mallorca. Doch das Wachstum ist ungebrochen. Es wird eng an der Südküste. Die Tourismusmagnaten schauen schon über Hainans Ufer hinaus, tief ins Südchinesische Meer hinein. Der Hotelunternehmer Mao Jianfeng.
"Es gibt noch so viele Orte rund um Hainan, die man entwickeln kann, die Paracel- und die Spratly-Inseln. Die Regierung will jetzt den Tourismus dort im Südchinesischen Meer entwickeln. Mit diesen Inselgruppen wird China seine eigenen Malediven haben.
Die Zukunft ist glänzend, auch wenn es zu Problemen mit unseren Nachbarstaaten kommen kann. Aber das ist nur Diplomatie. Klar ist, dass die Entwicklung Hainans erst begonnen hat."
China beansprucht die Paracel- und Spratly-Inseln für sich, hat sie administrativ in die Provinz Hainan eingegliedert. Tatsächlich kontrolliert Peking nur einen Teil der Inseln. Mehrere Nachbarstaaten erheben ebenfalls Ansprüche. Das Südchinesische Meer gilt als asiatisches Pulverfass. Lange Zeit galt Hainans Südspitze in China als das "Ende der Erde". In der neuen, aggressiver auftretenden Volksrepublik gilt das nicht mehr. Wenn die chinesischen Urlauber heute am Strand von Sanya aufs Wasser schauen, ist der Horizont nicht mehr die Grenze. Dahinter geht ihr China einfach weiter. Die ersten Schiffstouren können schon gebucht werden.
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