Tourismus in Zeiten des Terrors

Deutsche Urlauber meiden Nordafrika

Die Oase von Nefta fotografiert am 4.10.2013 in Nafta (Tunesien).
Trotz wunderschöner Touristenziele wie der Oase von Nefta trauen sich immer weniger Deutsche, einen Urlaub in Tunesien zu buchen © picture alliance / dpa / Oliver Berg
Volker Böttcher im Gespräch mit Nana Brink · 09.02.2016
Wegen der Terroranschläge der jüngsten Zeit ändern die Deutschen ihr Urlaubsverhalten: Sie meiden Ziele in Nordafrika und der Türkei und weichen nach Spanien aus. Einen generellen Rückgang in der Reiselust sieht der Tourismusexperte Volker Böttcher jedoch nicht.
Nach den Terroranschlägen der jüngsten Zeit sagt der Tourismusexperte Volker Böttcher von der Hochschule Harz den nordafrikanischen Ländern touristisch ein schlechtes Jahr voraus: Die Urlauber mieden Ägypten, Tunesien und Marokko bereits seit längerer Zeit. Es sei derzeit nichts erkennbar, was die Lage grundsätzlich verändere.
Buchungsrückgänge auch bei der Türkei
Auch die Türkei ha nicht erst seit den Anschlägen von Istanbul "deutliche Rückgänge aufzuweisen", sagt der frühere Deutschland-Chef von TUI. Allerdings habe sich das Bild von der Türkei als unsicherem Reiseziel in den Köpfen der Verbraucher noch nicht so verfestigt wie im Fall Nordafrikas: "Da besteht vielleicht durchaus noch die realistische Chance, dass sich im Laufe der Frühjahrs oder des Sommers da das Bild etwas wandelt und das Geschäft wieder in Gang kommt."
Von dem Buchungsrückgang bei Reisezielen in der Türkei und Nordafrika profitieren nach Einschätzung Böttchers vor allem Spanien, aber auch Fernziele in Asien und Nordamerika.
Ungebrochene Reiselust der Deutschen
Insgesamt reisen die Deutschen allerdings nach wie vor gern: "Urlaub wird dauerhaft gemacht, weil das einfach etwas ist, was der Deutsche nun mal gern tut. Und es geht uns ja wirtschaftlich auch immer noch sehr, sehr gut, sodass viele Menschen auch das Geld haben und das Geld auch gern für Urlaub ausgeben."

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Wer ist nicht schon mit ihr gereist? Die Tui, der weltweit größte Touristikkonzern, hält gerade seine Hauptversammlung in Hannover ab, und eines treibt die Anleger besonders um, nämlich der Einbruch bei den Buchungen im Januar und Februar – nicht nur bei der Tui, sondern eigentlich bei allen Reiseunternehmen. Womit das zusammenhängt, das kann man sich ja leicht erklären, oder wer will schon gerne nach Ägypten reisen oder nach Tunesien, wenn von dort regelmäßig Anschläge auf Touristenzentren gemeldet werden. Professor Volker Böttcher ist Direktor des Instituts für Tourismusforschung, war selbst viele Jahre für die Tui tätig und lehrt jetzt Tourismusmanagement an der Hochschule Harz. Guten Morgen hier in "Studio 9"!
Volker Böttcher: Guten Morgen, Frau Brink!
Das Bild von Nordafrika hat sich verfestigt
Brink: Bislang groß nachgefragte Reiseländer – ich hab's schon angeführt: Ägypten, Tunesien, Marokko, aber auch die Türkei – verzeichnen ja signifikante Einbrüche. Ist das ein Trend?
Böttcher: Man muss schon sagen, dass für die Urlaubsländer in Nordafrika, also Ägypten, Tunesien und Marokko, sich die Situation schon etwas verfestigt hat. Die Urlauber meiden ja diese Zielgebiete aus den schon von Ihnen genannten Gründen seit längerer Zeit, und ich würde auch sagen, im Moment ist dort nichts erkennbar, was die Situation grundsätzlich ändert.
In der Türkei ist das vielleicht ein wenig anders. Die Türkei hat natürlich seit den Anschlägen in Istanbul, aber auch schon seit einiger Zeit davor so eine gewisse Schwächephase, aber ich würde mal sagen, das Bild der Türkei in den Köpfen der Verbraucher hat sich da sicherlich noch nicht so verfestigt, und da besteht vielleicht durchaus noch die realistische Chance, dass sich im Laufe des Frühjahrs oder des Sommers da das Bild etwas wandelt und das Geschäft wieder in Gang kommt.
2016 könnte ein sehr gutes Jahr für die Touristikbranche werden
Brink: Sie sagen aber, bei den Ländern in Nordafrika wie Ägypten und Marokko, Tunesien wird das so bleiben?
Böttcher: Für dieses Jahr bin ich mir da relativ sicher, weil wir einfach aus einer Kundenperspektive ein Bild wahrnehmen, was sich im Grunde genommen schon seit Monaten verfestigt. Und dann muss man ja auch eins ganz realistisch sehen aus der Perspektive eines Urlaubers: Es gibt ja viele Alternativen als Urlaubsländer, und dann kann man sich ja auch in diesem Jahr durchaus mal wieder für ein anderes Land entscheiden.
Brink: Wie stellen sich denn die Unternehmen darauf ein? Also wenn man schon etwas gebucht hat, kann man dann leichter umbuchen oder wie verhält sich das?
Böttcher: Ja, das gibt es zum Teil schon. Nun muss man grundsätzlich erst mal sagen, es wird durchaus viel gereist, das vergangene Jahr war wieder ein Rekordjahr, und es spricht eigentlich auch nicht so viel dagegen, dass dieses Jahr wieder ein sehr gutes Jahr wird. Die Unternehmen machen es sich recht einfach – wenn ich das mal so sagen darf. Sie versuchen, ihr Angebot dort auszuweiten, wo die Nachfrage hingeht, das betrifft jetzt vor allen Dingen spanische Urlaubsgebiete, aber auch in den ferntouristischen Zielen wie Asien, Nordamerika, aber auch in Deutschland selbst.
Von der Krise Nordafrikas profitiert vor allem Spanien
Brink: Sind das die Profiteure, ganz kurz dazwischengefragt?
Böttcher: Ja, das kann man eindeutig sagen. Während die Türkei im Moment im gesamten Reisemarkt deutliche Rückgänge aufzuweisen hat, wächst Spanien sehr stark an, und das kann man in der Tat genauso formulieren, wie Sie das eben gesagt haben. Die Frage ist eben, wie lange die Kapazität dort anhält, damit sozusagen dieser Ausgleich dort stattfinden kann.
Brink: Ich wollte auf dieses Umbuchungsrecht doch noch mal zurückkommen, wie sich die Unternehmen darauf einstellen, das ist ja das eine. Auf der anderen Seite haben wir diese Unruhen in den gängigen Tourismusländern ja schon öfters. Gibt es da irgendwelche anderen Reaktionen vonseiten der Unternehmen? Also ich gehe in Richtung mehr Sicherheit in den Hotelanlagen und so weiter.
Böttcher: Ja, grundsätzlich muss man mal sagen, es gibt einige Unternehmen, die bieten im Moment für bestimmte Urlaubsländer – und das sind dann vor allen Dingen die in Nordafrika, teilweise auch in der Türkei – sogenannte kostenlose Umbuchungsmöglichkeiten an. Das heißt, die Gäste, wenn sie dort schon ihren Urlaub gebucht haben, können innerhalb des Angebots dieser Veranstalter sich kostenfrei eine andere Reise aussuchen. Das tun aber nicht alle. Das ist sozusagen mal das eine, was dort sozusagen passiert. Und das Zweite ist, dass natürlich die Unternehmen wie gesagt versuchen, Kapazitäten dort aufzubauen, wo die Nachfrage hingeht, um ihren Urlaubern einfach Alternativangebote machen zu können.
Keine Kalaschnikows am Strand
Brink: Also apropos mehr Sicherheit: Ich versuche mich gerade sozusagen jetzt da reinzuversetzen, einen Urlaub zu buchen und dann in ein Hotel zu reisen, wo dann die Sicherheitsanlagen meinetwegen verstärkt werden. Das klingt ja irgendwie erst mal plausibel, aber möchte ich das im Urlaub?
Böttcher: Ja, das ist die große Frage. Es gibt dort zwei Probleme: Das eine ist, Sie können schlecht als Reiseunternehmen im Vorhinein damit werben, denn welcher Kunde möchte schon ...
Brink: Ich wollte gerade sagen ...
Böttcher: ... wenn er sich für Urlaub interessiert, sich darüber Gedanken machen ...
Brink: Die Kalaschnikow irgendwie im Anschlag am Strand haben, ja ...
Böttcher: Genau ... ob dort ein Strandwächter mehr oder weniger ist, das ist sicherlich ein nicht ganz einfach zu lösendes Problem. Und das Zweite ist, das muss man auch einfach ganz realistisch sehen: Die Nachricht oder die Botschaft dieser Anschläge, wie zum Beispiel in Istanbul, die lauten ja ganz eindeutig, es kann überall passieren. Wenn wir an diesen furchtbaren Anschlag in Tunesien denken, der davor stattgefunden hat, da kam der Täter vom Strand. Man kann nun auch keine Sicherheitsburgen sozusagen aufbauen, dann kommt ja auch kein Urlaubsgefühl auf.
Eine letztendliche absolute Sicherheit gibt es nicht. Man kann dort punktuell etwas tun, gerade auch vielleicht im Vorwege, indem man versucht, sorgfältig zu recherchieren, welche Urlaubsländer sind wirklich sicher, auch langfristig, aber am Ende muss man sagen, eine letztlich hundertprozentige Sicherheit gibt es nirgendwo auf der Welt, die gibt's auch nicht in Berlin, in Hamburg oder in London.
Austausch mit dem Auswärtigen Amt über die Sicherheitslage
Brink: Gut, aber Sie waren ja selber mal als Manager tätig, bevor Sie jetzt in der Forschung und auch in der Lehre tätig sind. Das ist doch für Sie als jemand, der dann in einem Unternehmen, einem Tourismusunternehmen tätig ist, eigentlich die größte anzunehmende Katastrophe, oder?
Böttcher: Ja, es ist schon in der Tat eine sehr schwierige Situation, denn man lebt ja nun davon, dass man Urlaubsreisen verkauft, und nicht davon, dass man ständig sozusagen Gäste umbucht. Man muss auch sagen, dass diese Problematik gerade von Terroranschlägen in den letzten Monaten eher noch zugenommen hat, aber – das muss man auch ganz deutlich in Richtung Urlauber sagen – das sind alles hoch professionelle Urlaubsorganisationen, wie jetzt zum Beispiel eine Tui, dort wird sehr sorgfältig auch im Austausch mit dem Auswärtigen Amt die Sicherheitslage geprüft. Und wenn Reisen angeboten werden in Urlaubsländer, kann man vom Grundsatz schon davon ausgehen, dass diese Ziele erst einmal sicher sind, wie gesagt mit dem Hinweis, eine letzte Sicherheit gibt es natürlich nirgendwo.
Brink: Wie wird das den Tourismus in diesen Zeiten verändern, was ist Ihre Einschätzung?
Böttcher: Ich glaube, in erster Linie werden die Urlauber nicht so reagieren, dass sie nicht mehr reisen, sondern ich glaube einfach, bestimmte Urlaubsgebiete werden unter Druck kommen – Nordafrika haben wir schon drüber gesprochen, bei der Türkei muss man mal abwarten, wie die Entwicklung ist.
Die Deutschen geben ihr Geld auch weiterhin gern für Urlaub aus
Ich glaube, die Urlauber werden sich weiterhin für Urlaub entscheiden, aber sie werden ausweichen und die anderen Länder – wir hatten sie anfangs schon angesprochen – werden davon ein Stück profitieren, aber Urlaub wird dauerhaft gemacht, weil das einfach sozusagen etwas ist, was der Deutsche nun gerne mal tut. Es geht uns ja wirtschaftlich auch immer noch sehr, sehr gut, sodass viele Menschen auch das Geld haben und dieses Geld auch gerne für Urlaub ausgeben.
Brink: Und wo fahren Sie hin?
Böttcher: Ich persönlich fahre nach Mallorca, aber schon viele Jahre, war aber jetzt ...
Brink: Oh, das war jetzt eine einfache Antwort.
Böttcher: Ja, ich war jetzt Anfang Januar auf einer Segelkreuzfahrt in der Karibik, also es gibt da durchaus Ausweichziele, würde jetzt im Moment auch wahrscheinlich meinen Urlaub nicht in Tunesien verbringen.
Brink: Wenn man sich das leisten kann, ist das natürlich ein tolles Ziel. Herzlichen Dank! Der Tourismusforscher Volker Böttcher, danke für das Gespräch hier bei uns in "Studio 9"!
Böttcher: Vielen Dank, Frau Brink!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema