Tourismus im Eismeer

Von Stefan Laack · 23.04.2012
Das Zeltcamp "Barneo" existiert auf Grund der Witterungsbedingungen nur einige Wochen im März und April und liegt auf dem 89. Breitengrad, nur etwa 100 Kilometer vom Nordpol entfernt. Veranstaltet wird das temporäre Lager seit über zehn Jahren von der Russischen Geografischen Gesellschaft, die über gute Kontakte zum russischen Militär verfügt.
"Barneo" ist zum einen eine touristische Einrichtung für gut betuchte Arktis-Reisende, die von dort aus Ski-Exkursionen zum Nordpol machen oder eistauchen. Der Touristenbasis ist aber auch ein wissenschaftliches Zentrum angeschlossen. Polarforscher aus aller Welt nutzen das Lager als Basistation.

Es ist schon ein verrückter Anblick. Wie kleine Kinder rennen die Fallschirmspringer des föderalen Luftfahrtdienstes über ein vereistes Schneefeld zum Strand. Die Mitternachtssonne auf Spitzbergen taucht die Umgebung in ein intensives orange-rosafarbenes Licht.

Es ist minus 16 Grad kalt, aber das hält die Männer nicht davon ab, sich möglichst schnell auszuziehen und in die eisigen Fluten des Nordpolarmeeres zu stürzen. Alle sind in Feierlaune - die Stimmung könnte nicht besser sein.

"Wie ich mich fühle - einfach fantastisch. Ich merke, wie ich wieder Kraft gewinne. Ich will leben! Das hier ist keine rituelle Handlung - es ist nur Ausdruck meiner Lebensfreude."

Und dass es sich hier um wirklich harte Kerle handelt, wird spätestens klar, als sie auch noch mehrfach mit dem Kopf untertauchen.

"Wir bekommen Prügel, wenn wir uns weigern, hier zu baden. Bestellen Sie unserem Chef, dass er ein gemeiner Kerl ist. Es gibt keinen Weg zurück."

Chef dieser außergewöhnlichen Truppe ist Dmitri Glagolew. Drei Wochen lang hat der Luftfahrtingenieur mit seinen Männern in der Arktis in unmittelbarer Nähe zum Nordpol gearbeitet. Heute feiern sie ihren letzten Abend. Im Auftrag der russischen geografischen Gesellschaft haben sie drei Wochen lang das Eiscamp Barneo errichtet.

Ein Zeltlager, das Touristen und Wissenschaftlern gut einen Monat lang als Basis im Nordpolargebiet dient. Dazu haben sie eine provisorische Start- und Landebahn von 1000 Metern Länge gebaut. Ein enorm aufwendiges und schwieriges Unterfangen - besonders in diesem Jahr berichtet Glagolew.

Glagolew: "Die Eis-Situation in der Arktis gestaltet sich in jedem Jahr anders. In den vergangenen zwei Jahren fiel es unseren Piloten nicht besonders schwer, eine geeignete Eisscholle für unseren Flugplatz zu finden.

Aber in diesem Jahr hatten wir Schwierigkeiten, einen guten Platz zu finden. Mal passte die Stärke der Eisscholle nicht, mal war sie zu klein. Deshalb haben wir beschlossen, unsere Basis mit der Landebahn auf mehrjährigem Packeis zu bauen."
Mittlerweile haben alle Männer ihr Bad in den eiskalten Fluten beendet. Im provisorischen Aufenthaltsraum einer Lagerhalle am Flughafen Longyearbyen stoßen sie mit Wodka auf die geglückte Mission an. Überall stehen Kisten herum, alte Zelte und ausgemusterte Flugzeugsitze liegen auf dem Boden. Wladimir Maschorkin vom Murmansker Bergungsdienst blickt zurück.

Mit einer Iljuschin 76 - einem schweren russischen Transportflugzeug – wurde sämtliches Material, darunter Fässer mit Treibstoff, Bulldozer, Stromgeneratoren und Zelte, per Fallschirm über der entsprechenden Stelle abgeworfen, erzählt er. Maschorkin war mit an Bord, als sich die Frachtluke über der Arktis öffnete.

Wladimir Alexandrowitsch: "Wir haben beobachtet, wie die Fracht abgeworfen wurde und sind anschließend hinterher gesprungen. Nach der Landung haben wir sofort angefangen, unser eigenes Lager aufzubauen, Zelte aufzustellen und die Heizung zu montieren."

Und das alles in einer lebensfeindlichen Umgebung aus Eis und Schnee. Kein Job wie jeder andere – meint Maschorkin:

Wladimir Alexandrowitsch: "Es ist schon ein besonderes Gefühl, wenn man sich vergegenwärtigt, dass man nicht irgendwo, sondern direkt auf der Spitze des Erdballs landet. Man steht auf einer Eisscholle und unter den Füßen ist der Ozean vier Kilometer tief."

Neben der mentalen Stärke ist auch eine gute körperliche Konstitution erforderlich, um bei Temperaturen von bis zu Minus -30 Grad die weit verstreut herumliegenden Frachtteile einzusammeln und zu einem Camp zusammenzufügen. Welch Aufwand betrieben wird, um das Eiscamp Barneo zu errichten, dürfte den meisten Polarreisenden, die von dort aus ihre Touren zum Nordpol unternehmen, wohl kaum klar sein.

Sie setzen sich in Spitzbergen in ein Flugzeug und erreichen nach zwei Stunden 15 Minuten Flugzeit die nördlichste Polarstation der Welt. Barneo liegt auf dem 89. Breitengrad – doch die exakte Position ändert sich ständig. Die Eisscholle ist auf Grund der Eisdrift ständig in Bewegung – die Geschwindigkeit hängt unter anderem von Meeresströmungen oder der Windstärke ab.

Bei guten Wetterbedingungen landen zwei Maschinen täglich auf der weißen Piste in der Arktis, die von schwarzen Müllsäcken mit roten Fähnchen begrenzt wird. Direkt neben der Start und Landebahn liegt das Camp, das aus mehreren beheizten blauen Zelten besteht. Doch die meisten Touristen wollen sofort weiter.

Eine beliebte Tour ist "der letzte Breitengrad zum Nordpol", bei der die Teilnehmer über 100 Kilometer auf Skiern zurücklegen. Dabei ziehen sie ihr Gepäck auf einem Schlitten durch unwegsames Gelände. Miroslaw führt als Guide schon seit mehreren Jahren derartige Touristen-Expeditionen.

Miroslaw: "Unter den Teilnehmern sind oft ganz unterschiedliche Leute. Manche von denen haben überhaupt keine Erfahrung mit Skilaufen. Ich kenne solche Touristen. Ich hatte schon eine Mexikanerin, einen Ecuadorianer, einen Italiener, die gar keine Ahnung vom Schnee hatten. Daneben gibt es dann aber auch ganz erfahrene Skiläufer. Die Arbeit eines Guides ist aber schon speziell."

Schon ein kleiner Spaziergang in der Nähe des Eiscamps lässt erahnen, was auf die Teilnehmer zukommt. Mal knirscht der eisige Boden unter den Füßen, doch plötzlich kann man bis zu den Oberschenkeln im pulvrigen Schnee versinken. Weite ebene Eisflächen werden immer wieder von meterhohen Barrieren aus blau schimmernden Eisquadern unterbrochen.

Immer wieder tauchen tiefe Risse in der Eisfläche auf und Neue können jederzeit entstehen. Auf den Spuren berühmter Polarforscher wie Robert Edwin Peary oder Frederick Cook zu wandeln, ist ein teures Vergnügen. Die Entdecker damals riskierten ihr Leben – heute kostet die organisierte Tour bis zu 20.000 Euro. Für die 22-jährige Anastasia aus Nowosibirsk kein Problem. Ihre Eltern unterstützen ihr kostspieliges Hobby. Erst vor wenigen Tagen hat die Studentin eine 12-tägige Skitour entlang des Baikalsees absolviert – jetzt ruft der Nordpol

Anastasia: "Ehrlich gesagt, ich kann es gar nicht abwarten, wieder auf dem Eis zu sein. Es wartet jede Menge Spaß auf mich. Viele Menschen gehen mit dem falschen Konzept hierhin und glauben, sie müssten auf solchen Expeditionen leiden, aber wenn Du weißt, was du tust und die entsprechenden Fähigkeiten hast, muss das nicht sein. Es kann natürlich wenig komfortabel sein, aber die meiste Zeit ist es doch erstaunlich und einfach ein Vergnügen."

Mit ihrer fast schon überheblichen Haltung steht Anastasia jedoch ziemlich alleine da – den meisten Teilnehmern ist vor dem Start ein gewisser Respekt anzumerken.

Mit dem Helikopter geht es dann zum Ausgangspunkt der Tour - andere Gruppen, die den Nordpol bereits erreicht haben, werden wieder eingesammelt. Diese acht Holländer sind restlos begeistert.

"Es war exzellent - einfach perfekt. Wir hatten gutes Wetter - konnten die Strecke in fünf Tagen zurücklegen - 20 Kilometer pro Tag. Eine sagenhafte Tour. Das war begeisternd, aufregend - darum ging es doch. Ich bin wirklich stolz."

Doch nicht jeder Tourist legt großen Wert darauf, die letzten Kilometer zum Nordpol aus eigener Kraft zu erreichen. Alexander aus Kiew lässt sich mit seiner Tochter Alina gleich direkt dort hinfliegen.

Nordpoltourist aus Kiew: "Ich nehme den Hubschrauber. Ich habe viel über den Nordpol gelesen und es war mein Traum, ganz oben auf dem Erdball zu stehen. Was heißt eigentlich Traum? Wir Menschen sind doch so geschaffen, dass wir immer nach etwas Unerforschtem streben. Wir wollen doch schöne Gegenden unserer Erde besuchen, wo nicht so viele Menschen anzutreffen sind."

Der Flug zum Nordpol führt über Eisflächen, die teils von tiefen Rissen durchfurcht sind. Deutlich zu erkennen sind auch die Stellen, an denen Eisschollen gegeneinander gepresst werden. Dort sind Wälle aus zerborstenen Eisquadern entstanden. Regelmäßig tauchen in unmittelbarer Nähe zum Nordpol offene Wasserflächen auf – manche sind so frisch, dass sie noch nicht zugefroren sind.

Insgesamt wirkt die Eisoberfläche sehr fragil - die Eisschicht erscheint aus der Luft betrachtet wie ein weißes Tuch mit Falten, Schnitten und Löchern. Es ist ein atemberaubender Anblick - alle Passagiere an Bord schauen gebannt aus den runden Fenstern des MI 8. Gegen zwei Uhr nachts mitteleuropäischer Zeit setzt der Helikopter bei Sonnenschein und Windstille auf dem Nordpol auf.

Alexander und Alina aus Kiew stapfen sofort in die Eiswüste hinaus und suchen nach einem geeigneten Ort, um die ukrainische Flagge, die sie eigens mitgebracht haben ins Eis zu rammen. Derweil gerät Begleiter Michail Malachow, ein bekannter russischer Polarexperte, ins Philosophieren:

"Von hier aus geht es in alle Richtungen nur nach Süden. Falls wir uns aber einige Meter von diesem Ort entfernen, kann man mit Hilfe des GPS auch andere Himmelsrichtungen feststellen: Osten, Westen, Norden. Unser Punkt ist aber der Norden, von hier aus geht es nur nach Süden."

Als alle Nordpolbesucher wieder zum Hubschrauber zurückgekehrt sind, gibt es zur Feier des Tages einen Becher Glühwein und ein paar mittlerweile kalte Würstchen. Damit endet der Besuch am Nordpol relativ unspektakulär. Mit dem Hubschrauber geht es nach etwas über einer Stunde wieder zurück zum Eiscamp Barneo. Auf dem Rückweg wird noch der britische Extremsportler Mark Wood eingesammelt, der die Strecke zum Nordpol ganz alleine zurückgelegt hat.

Eigentlich hatte er sich von der Tour Ruhe und Einsamkeit versprochen – doch dies sollte ihm zumindest am Pol nicht vergönnt sein. Wieder im Camp angelangt, wärmt er sich bei einer Tasse Tee in einem der Zelte auf. Die Geschichte, die er zu erzählen hat, ist schier unglaublich.

Wood: "Als ich mich dem Nordpol näherte, sah ich etwa zwei Kilometer entfernt einen Helikopter mit anderen Teams an Bord aufsteigen. Ich hab da zu mir gesagt: Gott sei Dank - jetzt hast du den Pol für dich. Bei diesen Polar-Expeditionen bin ich einfach gerne alleine. Ich genieße die Umgebung - den Moment der Einsamkeit.

Aber so sollte es diesmal nicht laufen. Plötzlich war da ein zweiter Helikopter, dann habe ich ein Kreuz und ein Feuerwerk gesehen. ich dachte mir. was ist denn hier los? Als ich um die Ecke kam, standen da 30 Menschen und feierten eine Hochzeit."

Es war übrigens die Erste, die jemals am Nordpol stattfand. Und vor dem Altar aus Schnee und Eis stand ein alter Bekannter und dessen Frau:

"Es war die Hochzeit eines Menschen, der mich inspiriert hat mein Leben zu ändern: Börge Oulson ist auf der ganzen Welt für seine Polarexpeditionen bekannt. Der erste Mensch, dem ich am Nordpol die Hand geschüttelt habe, war ausgerechnet Börge Oulson! Ich bin sogar auf seinem Hochzeitsfoto."

Das russische Eiscamp Barneo unweit des Nordpols ist nicht nur Anlaufstation für Extremtouristen wie Mark Wood. Jahr für Jahr nutzen Wissenschaftler aus unterschiedlichen Ländern die Möglichkeit, hier Forschungen durchzuführen.

Eine vielleicht einzigartige Situation: während sich erlebnishungrige, oft gut betuchte Nordpolbesucher auf Abenteuertrips in die Arktis begeben, basteln die Wissenschaftler an Sonden oder Messstationen und versuchen genauere Erkenntnisse über Eisbeschaffenheit, die Bedingungen im Polarmeer oder chemische Prozesse in der Atmosphäre zu bekommen.

Sie untersuchen die Auswirkungen des Klimawandels vor Ort. Wie etwa Sebastian Gerland vom norwegischen Polarinstitut. Zusammen mit seinem Kollegen Jago Wallenschus baut er bei Minus 26 Grad und leichtem Wind eine Messstation unweit des Camps auf. Die beiden interessiert der Einfluss von Sonnenlichteinstrahlung auf eine bereits veränderte Eisoberfläche:

"Man macht das, um mehr zu wissen darüber wie sich diese optischen Eigenschaften von der Eisoberfläche mit der Zeit verändern. Das heißt von den Winterbedingungen, wie sie hier herrschen, bis in den Sommer hinein. Im Sommer verändert sich die Oberfläche fundamental - der Schnee schmilzt und es bilden sich Schmelzwassertümpel.

Zuerst verändern sich die Korngrößen von den Schneekörnern und all das trägt dazu bei, dass weiniger und weniger Sonnenlicht reflektiert wird und mehr absorbiert wird - also das Schmelzen auch noch verschnellert wird."

Für Sebastian Gerland ist das Camp Barneo außergewöhnlich: Er lobt die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern unterschiedlichster Nationen – der Austausch sei sehr intensiv. Letztlich profitierten alle davon, wenn noch mehr Daten zum Klimawandel gewonnen werden. So sind an seinem Forschungsprojekt neben Chinesen und Norwegern auch noch Deutsche, Finnen und Amerikaner beteiligt.

Jamie Morrison vom Polarforschungscenter der Universität Washington kommt seit Jahren nach Barneo. Wie viele andere seiner Kollegen geht auch er davon aus, dass große Teile der Nordpolarregion schon bald in den Sommermonaten eisfrei sein werden.

Jamie: "Früher haben wir mehrjährige Eisschollen beobachten können. Eis, das über einen Zeitraum von zwei drei Jahren durch die Arktis gedriftet ist. Eis, das mindestens eine Stärke von zwei Metern hatte – manchmal auch drei Meter dick war.

Heute sehe ich hier nur noch Eis, das Bestenfalls anderthalb Meter dick ist. Ich habe das Gefühl, die Veränderungen schon mit bloßen Augen erkennen zu können."

Einhellig loben alle Wissenschaftler das gute Miteinander auf der Basis – dies gelte auch für neugierige Touristen, die an den Nordpol reisten, meint Jamie Morison.

"Ich freue mich über alle Menschen, die hierher kommen und Interesse an dem zeigen, was hier vor sich geht. Das ist eine gesunde Einstellung. Wenn man sich selbst seit Jahren für die Arktis interessiert, da ist es toll, Leute zu treffen, die ebenfalls davon fasziniert sind. Die vor allem Fragen stellen, denn diese Fragen treiben uns doch alle um."

Immer wieder hatte der fast schon legendäre russische Polarforscher Artur Tschilingarow betont, mit den Einnahmen aus dem Tourismusgeschäft am Nordpol würde die wissenschaftliche Arbeit der russischen geographischen Gesellschaft finanziert. Geld vom russischen Staat würde nicht in Anspruch genommen. Da spiele es auch keine Rolle, wie wichtig eventuelle Forschungsergebnisse sein könnten.

Tschilingarow: "Wir Polarforscher wollen nicht nur über den Klimawandel reden. Wir brauchen eine echte Expeditionsbasis zu wissenschaftlichen Forschungen in der hohen Arktis. Diese Basis wurde ohne finanzielle Hilfe von einer Gruppe Enthusiasten gegründet.

Die wissenschaftliche Basis in der Nähe des Nordpols, die für einen Monat auf einer driftenden Eisscholle existiert, ist wirklich ein einmaliges Unterfangen. Wenn andere wissenschaftliche Institutionen ihre Forscher auf die Eisscholle schicken wollen, sollen sie deren Teilnahme bezahlen."

Im Klartext heißt dies wohl auch, dass sowohl Touristen aus aller Welt als auch internationale Forschungsstationen die russische Einrichtung zu einem wesentlichen Teil mitfinanzieren. Und hört man Tschilingarow, dem Vertrauten des zukünftigen russischen Präsidenten Putin genau zu, kommen Zweifel auf, ob die Basis Barneo allein wissenschaftlichen und touristischen Zwecken dient.

Tschilingarow: "Die Basis auf der Eisscholle ist dringend notwendig. Damit wird die russische Präsenz in der Arktis unterstrichen. Ich kann mit Sicherheit behaupten, dass kein anderes Land außer Russland solche wissenschaftliche Basen in der Nähe des Nordpols hat."

Und er versäumt es nicht, in diesem Zusammenhang auch noch mal auf eine spektakuläre Aktion hinzuweisen, die er 2007 mit einem U-Boot durchgeführt hatte.

Tschilingarow: "Vor fünf Jahren haben wir auf dem Grund des Nordpols die russische Flagge gehisst. In 4,5 Kilometern Tiefe."

Ein symbolischer Akt, denn Russland beansprucht einen Großteil der Arktis – darunter auch den Nordpol - als eigenes Territorium. Der russische Festlandsockel erstrecke sich unter Wasser bis hier hin. Noch im vergangenen Jahr hatte Tschilingarow eine Expedition in dem Gebiet durchgeführt, um die genauen Grenzen dieses Festlandsockels festzulegen.

Mehrfach hatte er darauf hingewiesen, nationale Interessen hätten höchste Priorität. Mit dieser Einstellung stößt er beispielsweise bei Jamie Morison von der Washington University auf starken Widerspruch.

Jamie: "Ich kann Herrn Tschilingarow da nicht zustimmen. Wir sind doch mitten im Ozean. Es ist schon merkwürdig zu glauben, dass dies hier irgendeinem Land gehört. Die Regierungen von Kanada, Russland, vielleicht etwas weniger die Regierungen der USA, Grönland oder Norwegen – aber sie alle gehen jetzt in diese Richtung und stellen Ansprüche.

Das könnte dann zu einem Problem von Rechtsanwälten, aber sicher nicht von Wissenschaftlern werden. Die Gemeinschaft der Wissenschaftler denkt so nicht."

Angesichts der Tatsache, dass immense Bodenschätze in der Arktis lagern, die durch die Eisschmelze leichter zugänglich werden, sind Begehrlichkeiten geweckt. Nach Schätzungen des US-Energieministeriums lagern dort über ein Fünftel der weltweit unerschlossenen Öl- und Gasvorräte. Der Polarexperte Mischa Malachow – momentan noch mit Touristen am Nordpol unterwegs, sieht nichts Verwerfliches darin, diese Region eines Tages auch wirtschaftlich auszubeuten.

Mischa Malachow: "Bohrungen auf dem Grund des Polarmeeres rücken natürlich immer mehr in den Focus. Wir wissen jetzt welche Bodenschätze, unter den Wassermassen verborgen sind. Diese Naturschätze, die einst in absolut unzugänglichem Gebiet lagen, sollten nun in den Dienst der Menschheit gestellt werden."

Welche Rolle das Eiscamp Barneo dabei spielt, machte Malachow auf einer Pressekonferenz kurz vor Eröffnung der Saison 2012 klar.

Malachow: "Diese Dinge, die auf unserer Basis unternommen und als Unterhaltung getarnt werden, entwickeln ein ernsthaftes Potenzial für die Vorbereitung auf einen technologischen Durchbruch. Die Zeit der heroischen Forschung ist vorbei - nun kommt die Zeit der Erschließung der arktischen Weiten. Ich meine, dass Technologien auf solchen Drifteisstationen getestet werden, bevor wir Bohrtürme in der Nähe des Nordpols aufbauen."

Am Ende ist das russische Eiscamp Barneo wahrscheinlich ein Beleg dafür, dass das Rennen um die Ressourcen in der Arktis bereits begonnen hat.
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