Totaler Kinogenuss

Von Bernd Sobolla · 05.02.2009
Die Retrospektive der Berlinale widmet sich in diesem Jahr dem 70mm-Film und damit dem Breitwandkino. 22 Spiel- und 4 Kurzfilme werden gezeigt. Die hauptsächlich aus den 60er Jahren stammenden Produktionen bieten ein außergewöhnliches visuelles Erlebnis.
"Es ist ein lang gehegter Wunsch. Also die Idee ist über zehn Jahre alt. 1995/6 gab es schon mal eine umfangreiche Recherche, Pläne für eine 70mm Retrospektive, die dann nicht durchgeführt wurde. Und wir haben mit vielen Partnern, also amerikanischen Studiopartnern in den letzten Jahren immer wieder hier bei der Berlinale darüber gesprochen. Die sagten: Wir haben tolle restaurierte 70mm Kopien. Wenn wir die mal hier zeigen könnten, präsentieren könnten, das wäre doch was."

Und so können Conny Betz, die Programmkoordinatorin, und Rainer Rother, der Leiter der Retrospektive, dieses außergewöhnliche Programm nun präsentieren. Ein bisschen kommt es einem vor, als wenn hier überzeugte Cineasten ihre Verachtung über Internetfilmkultur und Handy-TV ausdrücken. Denn 70mm-Kopien, das ist bis heute nicht nur das größte, sondern auch das schönste Kino, was es je gegeben hat. Und wenn dann auch noch die Story und die Inszenierung stimmt, wie in "West Side Story, steht dem totalen Kinogenuss nichts mehr im Weg.

Im heutigen Kino laufen zwar immer häufiger digitale Projektionen, doch noch gilt der 35mm-Film als Standard. Ingolf Vonau, einer der Berlinale-Filmvorführer, stellt einen Vergleich an.

"Sie haben beim 70mm-Film ein größeres Filmbild, was sie weniger stark vergrößern müssen. Nehmen sie an, sie hätten ein Kino von 15 Metern Bildbreite und der 35mm-Film wird ungefähr 750 Mal vergrößert, dann ist es eben beim 70mm, der viermal größer ist als das Bildfeld, da wird weniger stark vergrößert. Sagen wir mal 100, 200 Mal. Dadurch wirkt das Bild brillanter."

Wer 70mm-Filme noch nie im Breitwandkino gesehen hat, kennt diese eigentlich gar nicht richtig. Denn wenn diese Filme als 35mm-Kopie im Kino laufen oder gar im Fernsehen gesendet werden - die schwarzen Balken lassen grüßen – wird nur gut die Hälfte des ursprünglichen Bildes gezeigt. Kein Wunder, dass im Rahmen der Retrospektive plötzlich die Wüstenbilder in David Leans Film "Lawrence von Arabien" ein ganz anderes Gefühl von Weite, Hitze und Abenteuer ausstrahlen.

Den Höhepunkt hatte der 70mm-Film in den 50er und 60er Jahren. Das Fernsehen war eingezogen in die Wohnzimmer, und um die Leute ins Kino zu ziehen, bedurfte es eines außergewöhnlichen Kinoerlebnisses. Dass die große Zeit des Breitwandkinos dann zu Ende ging, hatte zwei Gründe. Zum einen waren die Produktionskosten sehr viel teurer als bei einem 35mm-Film. Zum anderen verbesserte die Industrie die Qualität des 35mm-Films in den 60er Jahren erheblich. Heute liegen die Kopierkosten für eine einzige 70mm-Kopie zwischen 25.000 und 100.000 Dollar. Das Zehnfache einer 35mm-Kopie. Um mögliche Schäden zu vermeiden, musste im Kino International extra der Projektor, der noch aus DDR-Zeiten stammt, gegen ein modernes Modell getauscht werden, das bekannt ist für seine verschleißarme Filmführung. So läuft dort auch einer von Konrad Wolfs schönsten Filmen sicher über die Projektorrollen. Nämlich "Goya", das Porträt über den spanischen Maler Francisco de Goya aus dem Jahr 1971.

Dass die Studios in den USA wieder neue 70mm-Kopien herstellen, hat wenig mit Nostalgie zu tun. Vielmehr brauchen sie optimale Vorlagen für die Herstellung von Blue Ray Disks. Heute werden 70mm-Filme nur noch äußerst selten gedreht. Wenn, dann meist nur einzelnen Szenen, die dann in der Postproduktion besser bearbeitet werden können. Der amerikanische Regisseur Ron Fricke ist einer der wenigen, der noch Filme in 70mm dreht. Zum Beispiel den Dokumentarfilm "Baraka" – ein Film ohne Sprache und Erzähler, für den er Landschaften und religiöse Stätten in 24 Ländern aufsuchte. Eine andere große Entdeckung für Connie Betz kam aber nicht aus den USA.

"Ja, also die große Entdeckung für uns alle, sind, glaube ich, die sowjetischen Filme. ... 'Tagessterne' ist der Film, der in Deutschland noch gar nicht zu sehen war. Eine Entdeckung eigentlich in jeder Beziehung. Weil er auch ein bisschen Avantgardeelemente, surrealistische Elemente drin hat, die man aus anderen 70mm Produktionen weniger kennt."

Und dann ist da auch noch "Flying Clipper" zu sehen, der erste westdeutsche 70mm-Film. Eine Reisereportage mit einem Segelboot von Rudolf Nussgruber und Hermann Leitner aus dem Jahr 1962. Damals, als nur wenige Leute verreisen konnten, wollte man so die weite Welt zumindest ins Kino bringen.