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Klimaziele
"An diesem Versprechen muss man Frau Merkel jetzt messen"

Wenn die Klimaziele bis 2020 erfüllt werden sollen, müssten die entsprechenden Maßnahmen im Koalitionsvertrag festgeklopft werden, sagte Christoph Bals von der Klimaschutzorganisation Germanwatch im Dlf. Dazu gehöre Kohlekraftwerke zügig abzuschalten und Elektromobilität zu fördern.

Christoph Bals im Gespräch mit Jule Reimer | 25.09.2017
    Die Sonne taucht den Himmel hinter dem Kohlekraftwerk Mehrum in Hohenhameln im Landkreis Peine (Niedersachsen) in warmes Licht.
    Kohlekraftwerke, wie dieses im Landkreis Peine, müssten dringend abgeschaltet werden um die im Pariser Abkommen vereinbarten Klimaziele zu erreichen, so Bals. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Jule Reimer: Zwei Grad, so lautet die magische Zahl. Mehr als zwei Grad darf die durchschnittliche Erdtemperatur nicht steigen. Sonst werden die Veränderungen unserer Lebensbedingungen vielerorts dramatische Folgen haben. Das Pariser Klimaschutzabkommen, das auch Deutschland unterschrieben hat, verlangt sogar, den Anstieg auf möglichst 1,5 Grad zu beschränken.
    Am Telefon in Bonn ist Christoph Bals, der für die entwicklungspolitische Klimaschutzorganisation Germanwatch die internationalen Klimaverhandlungen beobachtet, aber auch genaue Vorstellungen über Klimapolitik in Deutschland hat. Herr Bals, blicken wir erst mal auf die Außenpolitik, die Gesamtlage. Die Regierung Trump ist auf dem Wege, auszusteigen aus dem Klimaschutzabkommen, wenn auch da manchmal widersprüchliche Signale kommen. Aber wir können erst mal davon ausgehen, sie hält davon nichts. Was müsste eine neue Bundesregierung, ein neuer Außenminister, eine neue Umweltministerin klimapolitisch anpacken, wenn sie zu regieren beginnen?
    Christoph Bals: Wenn man sich die Außenpolitik zunächst anschaut: Es geht darum, die deutsch-französische Achse deutlich wiederzubeleben. Das ist eine Chance für Europa und das kann eine Chance dafür sein, dass die EU auch endlich wieder handlungsfähig in der Klimapolitik wird. Um das Vakuum auszufüllen, das die USA in der internationalen Klimapolitik unter der jetzigen Regierung hinterlassen haben, brauchen wir eine starke EU, die diese Rolle übernimmt, die das in Kooperation mit China, mit Kanada und mit den besonders verletzlichen[1] Staaten übernimmt. All das muss konsequent vorbereitet und durchgeführt werden und das ist eine der zentralen außenpolitischen Aufgaben für diese neue Regierung.
    "Die schmutzigsten Kohlekraftwerke müssen zügig abgeschaltet werden"
    Reimer: Aber muss dann dieses Duo nicht Polen als wichtigster und auch kohleabhängigster EU-Staat ins Boot bekommen?
    Bals: Ja, das ist vollkommen richtig. Das nächste Jahr, die nächsten zwölf Monate müssen davon geprägt sein, dass Deutschland und Frankreich einen Weg finden, entweder Polen mit an Bord zu bekommen, oder zumindest mit Tschechien eine Mehrheit hinzubekommen in der EU, dass Polen dabei notfalls auch überstimmt werden kann. Das heißt, dass eine wirkliche Handlungsfähigkeit der EU mit hergestellt wird für diese Fragen.
    Reimer: Blicken wir auf die Innenpolitik. Unabhängig wer da regieren wird, was ist aus Ihrer Sicht notwendig? Was muss eine kommende Bundesregierung tun?
    Bals: Wenn man das aus klimapolitischer Sicht anschaut, dann müssen jetzt im Koalitionsvertrag die notwendigen Maßnahmen beschlossen werden, um das Versprechen, das Frau Merkel mehrfach im Wahlkampf gegeben hat, dass die Klimaziele bis 2020 noch erreicht werden sollen, die im Moment krachend zu verfehlt werden drohen, dass diese Maßnahmen jetzt im Koalitionsvertrag festgeklopft werden. Das heißt erstens, dass die schmutzigsten Kohlekraftwerke zügig abgeschaltet werden, vor allem Braunkohlekraftwerke. Das heißt zweitens, dass die Rahmensetzung für eine energiepolitische Wende vorgenommen wird, die klar den Weg in die Richtung der Umstellung von fossilen Motoren weg, von ölbetriebenen Motoren weg hin zu Elektromobilität und Brennstoffzellen setzt. Und drittens die im Gebäudebereich bei der Sanierung von Altbauten das Tempo, das die bisherige Regierung gehabt hat, ungefähr verdreifacht. Nur wenn das tatsächlich erfolgt, ist das Versprechen von Frau Merkel überhaupt noch erreichbar.
    "An diesem Versprechen muss man Frau Merkel jetzt messen"
    Reimer: Das klingt jetzt ein bisschen so, als ob Sie das Programm der Grünen referiert hätten.
    Bals: Nein, das Programm von Frau Merkel, was Sie im Wahlkampf versprochen[2] hat, was allerdings nicht zu dem Programm passt, was als Programm der CDU/CSU vorgelegt worden ist. An diesem Versprechen muss man Frau Merkel jetzt messen, denn sie kann nicht im Wahlkampf sagen, ja, wir werden diese Ziele erreichen und ich werde die notwendigen Maßnahmen beschließen, und jetzt sagen, nein, ich mach das nicht.
    Reimer: Blicken wir auf den Dritten im Bunde: die FDP. Da habe ich heute Morgen im Kommentar der, glaube ich, Süddeutschen Zeitung das Adjektiv "Dinosaurierhaft" für die klimapolitischen Ansätze gelesen. Kann dieses, was Sie fordern, mit der FDP umgesetzt werden?
    Bals: Wir sehen bei der FDP, dass sie sich wie gestern Herr Lindner zum Paris-Abkommen bekennt. Was aber bisher sichtbar ist, ist, dass das eine Floskel ist, dass dahinter nicht steht, dass man bereit ist, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Jetzt hat er mit dem Bekenntnis zum Paris-Abkommen eine Brücke gebaut. Wenn er jetzt auch die notwendigen Maßnahmen bereit ist zu akzeptieren, die man braucht, um das Paris-Abkommen umzusetzen, dann wäre das ein gangbarer Weg.
    "Dass auch Kräfte, die wirklich davon Ahnung haben, eine Rolle mitspielen"
    Reimer: Wenn jetzt tatsächlich der Ausstieg aus der Braunkohle verkündet wird – und wir erinnern uns: Die AfD wirbt sehr stark für die Braunkohle als heimischen sicheren Energieträger -, wird dann die AfD in Sachsen wahrscheinlich noch mehr als 30 Prozent bekommen, oder? Ist das nicht ein politisches Dilemma?
    Bals: Ich glaube, dass das ein deutlich geringeres politisches Dilemma jetzt ist, wenn tatsächlich die SPD die größte Oppositionspartei sein wird, denn dass damit die Fragestellung, wie zumindest dies sozial verträglich organisiert wird, wie hier der Strukturwandel organisiert wird, nicht nur einer Opposition von Seiten der AfD überlassen wird, sondern dass dort auch Kräfte, die wirklich davon Ahnung haben und bereit sind, in diese Richtung konstruktiv hineinzudenken, eine Rolle mitspielen.
    Reimer: Christoph Bals von Germanwatch über die Anforderungen an die Klimapolitik einer kommenden Bundesregierung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Anmerkungen der Redaktion:
    [1] An dieser Stelle wurde eine falsche Transkription korrigiert.
    [2] In der Audiofassung ist das Wort an dieser Stelle nicht klar verständlich, auf Nachfrage erklärte Christoph Bals, er habe hier "versprochen" gemeint.