Tokioter Verwirrungen

05.11.2012
Einfühlsam aber schonungslos erzählt der Brasilianer Joáo Paulo Cuenca die Geschichte eines introvertierten Tokioter Witwers, der sich in einem Nachtklub in eine osteuropäische Kellnerin verliebt. Ein Japan-Roman, der sich durchaus mit den Büchern Haruki Murakamis messen kann.
Bereits seit Jahren macht eine Plattitüde Karriere: Ein "global village" sei unsere zunehmend vernetzte Welt, in der nationale Kulturen längst "hybrid" geworden seien. Das ökonomische Äquivalent zu diesem Großsprech wäre dann wohl die immer weiter getriebene Fusion von Verlagen - nebst der ermüdenden Tatsache, dass Airport-Buchhandlungen zwischen Frankfurt, Los Angeles und Singapur längst die ewig gleichen Bestseller und Taschenbücher feilbieten.

Jenseits des Gedröhns aber ist tatsächlich eine Entwicklung zu beobachten, die einst fremd und hermetisch wirkende Kulturen näher rücken lässt – und zwar nicht etwa durch das vermittelnde Schreiben einheimischer Autoren, sondern durch die von ebenso großer Neugier wie Nuanciertheit zeugenden Bücher der Zugereisten. Jüngstes (und wohl auch spannendstes) Exempel für eine solch gelungene Anverwandlung ist der Roman "Das einzig glückliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall", bei dem es schließlich in Tokios Metro zu einem logistischen und emotionalen Showdown kommt.

Geschrieben hat diese konzise Überwachungs- und Liebesgeschichte der 1978 in Rio de Janeiro geborene Joáo Paulo Cuenca, der einige Zeit in Japan gelebt hatte. Ähnlich seinen Schriftsteller-Kollegen Bernardo Carvalho und Chico Bustamente, die bereits zuvor verblüffend einfühlsame Romane über die Mongolei und Budapest veröffentlicht hatten, gelingt es Cuenca thematisch und stilistisch, in eine japanische Gestimmtheit einzutauchen, in der Verfeinerung und Brutalität oft Hand in Hand gehen.

Erzählt wird die Geschichte des introvertierten Angestellten Sunshuke, der sich in einem Nachtklub in eine osteuropäische Kellnerin verliebt, welche allerdings eher an der feingliedrigen Tänzerin Kazumi interessiert ist. Also eine weitere, im aufgeräumten Facebook-Stil dahin geplauderte Story über das Liebesleben im Zeitalter der Globalisierung? Nichts weniger als das.

Joáo Paulo Cuenca schreibt in einem lakonischen, ja beinahe strengen Ton, seine jeweiligen Perspektivwechsel sind von geradezu mathematischer Präzision, und nicht zuletzt die sinistre Figur von Shunsukes kontrollsüchtigem Vater Okuda ist ein Meisterstück: Eine Gestalt wie von Haruki Murakami; Haikus verfassend und mit einer lebensechten Gummipuppe kommunizierend. Dieser Witwer ist der durchaus unsympathische Chronist der Geschichte, doch sein Hin- und Herwenden und lyrisches Interpretieren des Treibens der jungen Leute zeitigt einen immensen ästhetischen Mehrwert: Genauigkeit und Entschleunigung gerade in jenen Momenten, in denen das Großstadtleben am wildesten kreist.

So bestünde das Resümee also darin, dass heutzutage über jede Weltgegend geschrieben werden könne, da ja - eine weitere zum Klischee gewordene Wahrheit - "überall die Geschichten lauern"? Gemach, gemach, würde man hier wohl als Leser antworten, denn nicht jedem Autor ist es vergönnt, den kulturellen Code einer fremden Lebenswelt derart sichtbar zu machen und dennoch nicht in Dan Brownsche Plot-Banalität abzudriften.

"Das einzig glückliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall", ist deshalb nicht nur eine beunruhigende Sentenz, sondern ein Roman, dessen subtile Zimmerlautstärke schließlich eine geradezu orkanartige Sogkraft entfaltet.

Besprochen von Marko Martin

Joáo Paulo Cuenca: Das einzig glückliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall
Roman. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Michael Kegler
A 1 Verlag, München 2012
141 Seiten, 16,90 Euro