Tötung auf Verlangen

Von Kay Müllges · 09.02.2008
Aktive Sterbehilfe, Tod auf Verlangen - das sind Vokabeln, die in vielen Ländern Europas heftige Debatten auslösen. Mit einem Gesetz über die "medizinischen Belange des Lebensendes" beschritt das niederländische Parlament am 9. Februar 1993 den Weg zur gesetzlichen Legalisierung der Euthanasie, gefolgt vom Gesetz zur Tötung auf Verlangen. Bis heute ist lediglich Belgien diesem Schritt gefolgt.
1969 erschien in den Niederlanden ein Buch des Neurologen Jan Hendrik van den Berg mit dem Titel "Medizinische Macht und Medizinische Ethik". Darin propagierte der Autor das Recht auf Sterbeerleichterung. Er wollte damit der Macht der Medizin die Selbstbestimmung des Patienten entgegensetzen. Das Buch schlug ein wie eine Bombe: Innerhalb von acht Monaten erlebte es zehn Auflagen. Mit dem politischen und kulturellen Aufbruch der 1968er war auch eines der letzten Tabuthemen gefallen.

Plötzlich wurde es wichtig, über den Tod zu reden. Insbesondere die Hausärzte, die im niederländischen Gesundheitssystem häufig mit solchen Fragen konfrontiert wurden, beteiligten sich leidenschaftlich an den Debatten. Herbert Cohen aus Rotterdam war einer von ihnen, Anfang der neunziger Jahre umriss er das Problem so:

"Wenn eine Person, ein Patient, in einer richtigen Notsituation ist und sehr viel leidet, und man kann nichts mehr machen im medizinischen Sinn: Ist es dann ein Zeichen der Liebe, davonzulaufen - oder auf Nachfrage das Leben zu beenden?"

In den 70er und 80er Jahren wurde die Debatte dann vor allem in der Öffentlichkeit geführt. Lobbygruppen wie der 1975 gegründete Niederländische Verein für freiwillige Sterbehilfe, mit immerhin 100.000 Mitgliedern, trommelten für ihr Anliegen. Wichtig war auch, dass der niederländische Ärzteverband 1984 Richtlinien veröffentlichte, die Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen für ethisch vertretbar erklärten. Umfragen zufolge waren Ende der 80er Jahre 75 Prozent der niederländischen Bevölkerung für eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe. Eine erstaunliche Zahl, die der Euthanasie-Kritiker Karel Gunning seinerzeit allerdings anzweifelte:

"Alles hängt davon ab, wie man die Fragen stellt. Wenn man fragt: Glauben Sie, dass es gut ist, einen Patienten, der fürchterlich, unerträglich, leidet, ohne Versorgung zu lassen? Oder glauben sie, dass er getötet werden soll? Ja, natürlich sagt man: Nein, er soll nicht leiden. Alles hängt davon ab, wie man das fragt."

Auch in den Niederlanden gab es keineswegs nur Befürworter einer aktiven Sterbehilfe. Einen Durchbruch in der politischen Debatte brachte 1990 eine Studie der sogenannten Remmelink-Kommission. Die hatte 400 repräsentativ ausgewählte Ärzte befragt und zusätzlich eine Stichprobe von 7000 Sterbefällen aus dem zentralen Sterberegister genommen. Der Leiter der Studie, Paul van der Maas von der Erasmus Universität Rotterdam, befand besonders interessant,

"dass in etwas mehr als zwei Prozent aller Sterbefälle diese freiwillige, aktive Sterbehilfe gegeben ist. Dazu haben wir auch gefunden, dass in etwa 1000 Fällen - das ist weniger als ein Prozent - der Patient nicht mehr im Stande gewesen ist, seinen Willen zu äußern. Dass er sterbend war und so gelitten hat, dass der Arzt sich dann entschieden hat - fast immer nach Überlegung mit anderen - zu beschleunigen. Also, das heißt in Total fast drei Prozent aller Sterbefälle."

Dass, in Anführungszeichen, nur drei Prozent der Sterbefälle auf aktive Sterbehilfe zurückzuführen seien, das erschien vielen Politikern in den Niederlanden als eine beherrschbare Größe. Am 9. Februar 1993 verabschiedete das niederländische Parlament das Gesetz über die "medizinischen Belange des Lebensendes".

Danach war Sterbehilfe zwar weiterhin eigentlich strafbar. Ein Arzt, der diese auf ausdrücklichen, mehrfach geäußerten Wunsch des Patienten und unter Berücksichtigung verschiedener klar definierter Auflagen vollzog, blieb jedoch straffrei, sofern er sie einer Gutachterkommission meldete. Euthanasiebefürworter wie Herbert Cohen versprachen sich von dieser Regelung vor allem mehr Transparenz:

"Es gibt mehr Rechtssicherheit, als wenn man gezwungen ist, diese Sache heimlich zu machen, wie in allen anderen Ländern. Sie können mir vorwerfen, dass nicht alle Fälle von Euthanasie gemeldet werden. Ich würde sagen, etwa 30 Prozent werden gemeldet und zwei Drittel werden nicht gemeldet. In jedem anderen Land werden 100 Prozent nicht gemeldet."

Eine veränderte Parlamentsmehrheit ging 2001 noch einen Schritt weiter und verabschiedete ein Gesetz zur Tötung auf Verlangen. Damit waren die Niederlande das erste Land der Welt, das die Euthanasie unter bestimmten Bedingungen staatlich erlaubt. Bis heute ist lediglich Belgien diesem Schritt gefolgt.