Töpfer: Beim Klimaschutz müssen wir bei uns selber anfangen

Moderation: Katrin Heise · 04.12.2007
Anlässlich der Weltklimakonferenz auf Bali hat der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer an die Verantwortung jedes Einzelnen für den Klimaschutz appelliert. Die Industriestaaten müssten beweisen, dass man Wirtschaftswachstum auch mit weniger CO2 erreichen kann. Andernfalls "verlieren wir die Märkte der Zukunft und verlieren die Autorität, von anderen auch Handlungen zu erwarten", so Töpfer.
Heise: Weltklimakonferenz auf Bali. Es geht ums Folgeabkommen zum Kyoto-Abkommen. Der Ausstoß erderwärmender Treibhausgase muss drastisch gesenkt werden. In Zukunft sollen auch führende Klimasünder wie die USA und China verbindlich zusagen, dass sie reduzieren. Über Umweltverantwortung ganz privat möchte ich jetzt mit dem ehemaligen Chef des UN-Umweltprogramms Klaus Töpfer mich unterhalten. Er war an Gipfelkonferenzen in Rio, Kyoto, Den Haag und Südafrika beteiligt. Nach seinem Abschied als UN-Generaldirektor ist er beim Rat für nachhaltige Entwicklung u.a. tätig. Er ist weltweit als Vortragsreisender in Sachen Umwelt unterwegs, und er hat ein Buch verfasst, "Arche in Aufruhr". Herr Töpfer, angesichts dessen, was im Vorfeld von Bali so berichtet wurde über die Situation unseres Klimas, da kommt man ja schnell zu dem Gedanken, zu dem fatalistischen Gedanken, was nützt da eigentlich meine Energiesparlampe, das ist doch sowieso alles zu spät. Kennen Sie solche Gedanken?

Klaus Töpfer: Oh, ich kenne solche Beweggründe sehr, sehr umfangreich. Natürlich ist man immer bemüht, sich auch ein kleines Alibi dafür zu schaffen, dass man seine eigene Lebensverhaltensweise nicht verändern will. Natürlich ist das alles menschlich, allzu menschlich. Aber es ist falsch, es ist grundsätzlich falsch. Denn wenn wir nicht jeden Einzelnen dazu bringen, darüber nachzudenken, was er dazu beitragen kann, weniger Energie zu verbrauchen, sich anders zu verhalten, seinen Konsumstil zu verändern, dann wird es in der Menge auch nicht gehen, also hier die Ausrede, wenn alle sich vernünftig verhalten, dann kommt es auf mich kleinen Butzer nicht darauf an, die gilt nicht mehr.

Heise: Oder wenn alle sich unvernünftig verhalten, kann ich den Strom auch nicht rumreißen?

Töpfer: Ja, das ist, wie gesagt, immer die Vorstellung, wenn man, ich komme gerade aus China zurück, dann gesagt bekommt, aber geh nach China, da sind 1,3 Milliarden Menschen, das ist 18 Mal so viel wie wir in Deutschland. Wir können es doch nicht machen, die müssen es machen. Nein! Bei uns haben wir über zehn Tonnen CO2-Ausstoß pro Kopf. Dort hat man "nur" 3,5 Tonnen, also müssen wir doch zeigen, dass man wirtschaftliche Stabilität auch ohne oder mit wesentlich weniger CO2-Energie erreichen kann. Wenn wir es nicht nachweisen, wenn wir die Technologien dafür nicht entwickeln, verlieren wir die Märkte der Zukunft und verlieren die Autorität, von anderen auch Handlungen zu erwarten.

Heise: Ja, überhaupt zu sagen, macht ihr mal. Also persönliche Verantwortung: Wie werden Sie dieser ganz persönlichen Verantwortung in Ihrem Haushalt eigentlich gerecht? Wissen Sie Bescheid über die CO2-Bilanz zu Hause?

Töpfer: Also zunächst einmal zu wenig. Man ist immer noch so ein Stückchen ein herumreisender Vagabund. Man ist eben viel unterwegs in der Welt, und das führt dazu, dass man sich zu wenig vielleicht mit den eigenen häuslichen Themen beschäftigt. Ja, wir müssen noch mehr machen, auch wir sind dabei, hierzu unsere Solarenergieanlage einzurichten, damit man auch die ja überall verfügbare Energie der Sonne besser nutzen kann.

Wir wissen, dass Nachfrage des Einzelnen auch Märkte schafft, damit Technik vorantreibt, kostengünstiger macht, die Bundesregierung wird sicherlich so was weiter fördern. Das sag ich nicht mit Blick auf meinen Geldbeutel, sondern auf die der vielen, die eben nicht dieselben Möglichkeiten haben wie unsereins.

Ich habe grundsätzlich mein Reiseverhalten umgestellt. Sicherlich, ab und zu fliegt man noch. Man kann nicht nach China und New York mit der Bahn fahren und muss doch noch das eine oder andere Mal nicht als Tourist, sondern als jemand, der sich mit diesen Fragen der Umwelt und der Klimapolitik beschäftigt, reisen. Aber ansonsten bin ich, glaube ich, einer der besten Gäste der Deutschen Bahn in der Zwischenzeit geworden und hoffe und hoffe immer wieder, dass es nicht zu neuen Streiks kommt.

Heise: Also Sie sagen, Sie müssen fliegen aus beruflichen oder eben aus den Gründen Ihrer Vorträge heraus, die halten zu können, aber Urlaubsreisen haben Sie reduziert?

Töpfer: Ja, das haben wir eigentlich immer nicht so viel gemacht, einfach deswegen. Wissen Sie, ich war in den letzten Jahren mit Hauptsitz in Nairobi sehr, sehr viel gezwungen, zu fliegen. Dann ist man dann in seinem Urlaub nicht auch daran interessiert, das noch massiv weiter zu betreiben. Aber sicher auch, das hat man ab und zu gemacht, wir verringern das bedeutsam, und wir müssen uns bemühen, auch das auszugleichen, das zu kompensieren, das gibt es heute.

Es gibt viele Dinge, denken Sie an Atmosfair, und denken Sie an solche Einrichtungen. Ich war selbst Umweltbotschafter der Fußballweltmeisterschaft. Auch dort ist es möglich geworden, eine klimaneutrale Fußballweltmeisterschaft in Angriff zu nehmen. Das wird jetzt bei der Europameisterschaft weiter geführt. Also es gibt ganz, ganz viele Dinge, bei denen man vorankommen kann, aber um Gottes willen, nein, ich will nicht sagen, guckt Euch Töpfer an, der macht schon alles richtig. Da ist noch vieles, vieles, auch bei uns besser zu machen.

Heise: Das heißt, wenn Sie mal ins Flugzeug gestiegen sind, danach pflanzen Sie einen Baum?

Töpfer: Na ja, ich weniger. Aber ich sagte ja, dafür gibt es ja Ausgleichsmechanismen. Ich finde das ganz prima. Andere Leute sagen, das ist so etwas wie Ablasshandlung, die das Geld haben, können dann da auch noch für Ausgleich bezahlen. Dies ist auch wiederum falsch. Es ist immer wieder diese Ablenkung von der eigenen Verantwortung. Das heißt ja nicht, dass man andere dadurch, na ja, kritisiert oder sie an den Rand stellt, ganz im Gegenteil. Man soll für sein eigenes Verhalten Verantwortung übernehmen, da hat man genug zu tun. Und dann wird möglicherweise auch der eine oder andere auf dieselbe Idee kommen.

Heise: Ich spreche im Radiofeuilleton mit Klaus Töpfer, dem ehemaligen Chef des UN-Umweltprogramms. Herr Töpfer, Sie sind 1978 in Rheinland-Pfalz Staatssekretär für Soziales, Gesundheit und Umwelt geworden, neun Jahre später, also 1987, zum Bundesumweltminister. Sind Sie sozusagen von Berufswegen zum Umweltschützer geworden? Oder gab es irgendetwas, wo Sie gesagt haben, da muss man was tun, in Ihrem Leben?

Töpfer: Ach Gott, wie in vieler Menschen beruflicher Entwicklung gab es immer wieder einen Kampf zwischen dem Zufall und dem Berufsgeplanten. Als ich mal in Münster Volkswirtschaft studierte, war ich nicht der Meinung, man würde am Ende Umweltpolitik zu der Grundlage seines beruflichen Arbeitens machen. Aber ich habe mich sehr mit regionaler Planung beschäftigt, Raumplanung, Landesplanung. Da sind Sie ganz nahe an vielen, vielen Umweltproblemen und Problemen des Grundwassers und seiner Belastung durch eine falsch geplante Deponie und vieles mehr. Insofern waren diese geplanten und zufälligen Entwicklungen ganz was anderes.

Als ich mal Staatssekretär in Rheinland-Pfalz wurde, sagte man mir, hatte man vorher drei andere gefragt, die das alles nicht machen wollten. Da war Umweltpolitik alles andere als eine attraktive und gar gesicherte politische Basis. Man hat es gemacht, weil man sicher der Überzeugung war, dies ist eine Aufgabe, der man sich stellen muss. Ein ganz besonderer Beitrag für mich und für das, was man dann hinterher gemacht hat, war ganz sicherlich Rio, Rio de Janeiro, diese Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung, die wir aus Deutschland sehr intensiv mitvorbereitet und dann auch mitgestaltet haben.

Da ist mir eben auch sehr klar geworden, dass Umwelt und Armutsbekämpfung, dass Umwelt und Veränderung von Konsumverhalten ganz eng miteinander verbunden sind, und dass wir in einer Welt, die im Jahre 2050 8,5 vielleicht neun Milliarden Menschen hat, uns schon darüber Gedanken machen müssen, wir gehen wir mit den Schätzen der Umwelt, der Natur um. Wie können wir es verhindern, dass wir heute auf Kosten zukünftiger Generationen leben?

Heise: Ich wollte gerade auf die zukünftige Generation ansprechen. Sie sind Vater und Großvater. Sie haben '93 über einen ökologischen Generationenvertrag nachgedacht. Haben Sie so was Ähnliches privat mit ihren Enkeln abgeschlossen?

Töpfer: Das ist schwer abschließbar im Augenblick, einfach deswegen, weil unsere Enkel noch sehr klein sind. Unsere "älteste" Enkelin ist zweieinhalb Jahre alt. Und die Zwillinge darunter, die sind jetzt neun Monate. Also da schließt man noch nicht einen Vertrag ab.

Heise: Gedanklich, meine ich.

Töpfer: Aber da denkt man, genau, diese Gedanken. Und natürlich mache ich mir wirklich diese Fragen sehr, sehr bewusst. Was antwortest du einmal diesen Kindern, was man denn mit dazu beigetragen hat, durch eigenes Verhalten sicher, aber noch mehr auch mit dem Bemühen, Strukturen zu verändern, Technologien anzureizen, sie marktfähig zu machen. Was hat man gemacht, um politisches Handeln selbstverständlich werden zu lassen, damit nicht die Probleme, die wir heute auf die Zukunft verschieben, von ihnen nicht mehr gelöst werden können.

Heise: Glauben Sie denn, dass Ihre Enkel mal richtig an Lebensqualität oder auf Lebensqualität verzichten müssen aus Umweltschutzgründen?

Töpfer: Man wird sich immer wieder fragen müssen, wie definieren wir denn eigentlich Lebensqualität. Und dass wir diese etwas anders definieren sollten, auch heute schon, das ist ganz sicher richtig. Wir werden nicht davon ausgehen können, dass 8,5 Milliarden Menschen im Jahre 2050 denselben Anspruch an Konsumgüter, an die materiellen Voraussetzungen für das, was man häufig mit Lebensqualität verbindet, haben können.

Wir werden auch uns fragen müssen, wann denn eigentlich genug ist. Man kann nicht nur nach Effizienz fragen. Man muss sich schon darüber Gedanken machen, wie sich Technik verändert, und wie sich Verhalten verändert. Aber ich glaube nicht, dass sie deswegen eine geringere Lebensqualität haben werden. Vielleicht haben sie eine viel größere, weil sie wieder etwas mehr Zeit haben, in kleineren Netzen zu denken, zu leben und zu lieben.

Heise: Kleinere Netze angesichts der Globalisierung. Viele Menschen fragen sich ja übrigens auch, jetzt gerade, was Bali anbetrifft, warum müssen eigentlich 10.000 Menschen mit dem Flugzeug nach Bali reisen, um dann zu beschließen, CO2 soll reduziert werden. Was antworten Sie da?

Töpfer: Ja, da wird man schon nachdenklich. Ich hab das ja auch, Sie haben mein Buch angesprochen, wir haben es da auch noch mal deutlich gemacht. Wissen Sie, man muss schon sehr darauf achten, dass das nicht ritualisiert, dass das nicht so etwas wie eine Beleggröße dafür wird, dass man dabei war.

Das ist ein olympisches Prinzip. Das hat auch sehr vieles Positives, das ist wahr. Man kann damit belegen, wie wichtig es ist. Man kann denen, die politisch entscheiden, klarmachen, vor Ort klarmachen, dass nicht wieder verschoben werden darf. Man kann auch mit einzelnen Beiträgen in Veranstaltungen am Rande dieser Konferenz herausarbeiten, was alles heute schon geht, ohne dass man eben seinen eigenen Lebensstil grundsätzlich infrage stellt.

Also ich will das nicht irgendwie generell verdammen oder kritisieren. Aber nachdenken muss man schon, was kann man dort tun, und was tut man besser, indem man zu Hause bleibt und in seiner Nachbarschaft, bei seinen Freunden, in der Stadt, in der Region, im Land dafür Sorge trägt, dass die Gedanken, die dort verhandelt werden, bei uns selbstverständlich werden, und der Beleg erbracht wird, dass dieses auf jeden Fall gemacht wird, egal, was am Ende in Bali rauskommt.

Heise: Nachdenkliches über Bali. Vielen Dank, Klaus Töpfer, ehemaliger Generaldirektor des UN-Umweltprogramms.
Ein Arbeiter kontrolliert einzelne Modulverschraubungen auf dem Dach der Neuen Messe in Freiburg.
Ein Arbeiter kontrolliert einzelne Modulverschraubungen auf dem Dach der Neuen Messe in Freiburg.© AP