Trauerkultur im Islam

Wie Muslime in Deutschland mit dem Tod umgehen

Eine muslimische Mutter und ihre Tochter besuchen ein Grab auf dem islamischen Gräberfeld am Friedhof am Hügel Hallo in Essen.
Auf deutschen Friedhöfen, wie hier in Essen, gibt es Bereiche, in denen nach muslimischem Brauch bestattet werden darf. Doch auch hier bereiten einige Punkte Schwierigkeiten. © picture alliance / dpa / Roland Weihrauch
Von Thilo Guschas · 23.02.2008
Muslime pflegen ihre Bräuche zu Tod und Trauer – auch wenn sie in Deutschland leben. Islamwissenschaftler Ali Özdil informiert Krankenhäuser und Hospize zu diesem Thema. Denn viele muslimische Migranten verbringen ihren Lebensabend hierzulande.
"Ein bisschen Trauer und Weinen ist erlaubt", sagt Fikrun Kesikbas von der Hamburger Hicret-Moschee. "Aber nicht so lautstark, wie man das manchmal sieht." Das verbiete der Islam.
Özgür Uludağ, dessen Familie ein Bestattungsunternehmen in Hamburg betreibt, sagt hingegen: So trauerten einige Muslime, aber bei Weitem nicht alle. Es liege an der jeweiligen islamischen Rechtsschule, ob das Trauern verboten ist oder nicht.

Wenn trauern Blasphemie ist

"Da gibt es einige türkische Gelehrte, die das Trauern komplett verbieten. Das hängt damit zusammen, weil die glauben, dass Gott das Leben gibt und Gott das Leben nimmt." Gott habe das also so befohlen und daher dürfe man nicht trauern. "Wenn sie dennoch trauern, ist es so eine Art Blasphemie. Sie machen dann etwas, was Gott so nicht wünscht."
Je nach Glaubensrichtung trauern die Muslime unterschiedlich. Beim Ashura-Ritual beispielsweise schlagen sich die Schiiten selbst auf die Brust, um so dem Leiden verstorbener Imame zu gedenken. Doch das ist nur eine von vielen Arten zu trauern.
"Bei einigen Algeriern habe ich es miterleben dürfen, dass direkt Klageweiber engagiert worden sind", so Uludağ. Das Bestattungsunternehmen, das seine Familie betreibt, ist auf Beerdigungen nach muslimischem Ritus spezialisiert. "Die kennen den Verstorbenen gar nicht, sondern das ist deren Job. Die kommen und klagen dann, häufig in Schwarz gekleidet. Die jammern geradezu."

Vielfältige Weisen zu trauern

In Deutschland lebten 3,5 Millionen Muslime aus 42 verschiedenen Ländern, erklärt Ali Özdil, Dozent am Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstitut Hamburg. Daher gelte: "Wir können nicht von der muslimischen Minderheit sprechen, sondern es ist eine pluralistische Gemeinschaft mit sehr, sehr unterschiedlichen Herkünften. Diese Menschen kommen aus sehr verschiedenen Ländern und bringen natürlich ihre unterschiedlichen Kulturen auch mit."
Daher gebe es eben nicht die eine, muslimische Art zu trauern. Der Tod im Islam ist Özdils Spezialthema – damit ist der Islamwissenschaftler ein gefragter Mann. Er hält Vorträge zum Thema "Tod im Islam". Dabei spielt er gerne eine Sure aus dem Koran als Einstieg, und demonstriert das auf seinem Laptop.
"Das war die el-Fatiha, die erste Sure aus dem Koran. Die ist insofern wichtig, weil sie die Sure ist, die wir am meisten rezitieren, aber nicht nur mit rituellem Gebet, wenn wir zum Beispiel an einem Grab vorbei kommen."

Vorträge zum Thema "Tod im Islam"

Vor einiger Zeit hat Özdil in einem Hospiz einen Vortrag gehalten, zum Thema Tod im Islam. Das hat sich herumgesprochen. Seither hagelt es Anfragen, von Hospizen, Krankenhäusern, Intensivstationen. Wie soll man damit umgehen, wenn ein Muslim stirbt?
Für jemanden, der hauptberuflich mit Kranken und Toten umgeht, ist diese islamkundliche Frage ausgesprochen praxisrelevant – weil immer mehr Menschen, die einst zum Arbeiten nach Deutschland kamen, hier sterben.
"Es ist natürlich so, dass spezifische Fragen gestellt werden. Wie ist das mit Organentnahme, ist das erlaubt oder nicht?", erklärt Özdil. Dazu gebe es im islamischen Recht verschiedene Meinungen. Die Mehrheit legitimiere aber Organtransplantationen.
Schläuche eines Beatmungsgeräts sind an einem Bett in einem der Behandlungszimmer der Intensivstation am Universitätsklinikum in Kiel befestigt. Man sieht einen Kopf auf einem Kissen liegen.
In vielen Hospizen, Krankenhäusern und Intensivstationen ist die Frage offen: Wie sich richtig verhalten, wenn ein Muslim stirbt? Sind beispielsweise Organentnahmen erlaubt? Und: Gilt ein hirntoter Mensch als tot?© picture alliance / dpa / Frank Molter
"Oder wie ist es mit Hirntod? Ist jemand tot, wenn er hirntot ist?" Auch da gebe es unterschiedliche Meinungen. "Aber sofern ich weiß", so Özdil, "ist es so, dass wir sagen: Wenn der Hirntod eintritt und der Mensch nur noch mit den Maschinen am Leben erhalten wird, ist es so, dass der Mensch tot ist und die Maschinen können abgestellt werden."

Sehr viele Überführungen ins Herkunftsland

Özdil sagt: Die Muslime in Deutschland haben einen zweifachen Tod. Sie sterben hier, werden aber in ihrem Heimatland beerdigt.
"Unsere Gemeindemitglieder werden zu 99 Prozent in die Heimat überführt." Aber es habe schon Fälle gegeben, die hier bestattet wurden. "Es gibt einige Friedhöfe hier, wo gesonderte Plätze reserviert sind für die Muslime und dort werden sie dann eben mit den anderen Muslimen zusammen bestattet."
"Es ist leider auch noch so – ich muss sagen leider, weil ich diese Meinung nicht teile – dass viele Menschen der ersten Generation überführt werden wollen in ihre Heimatländer. Das heißt, wenn sie hier sterben, wollen sie nicht hier beerdigt werden, obwohl es keine islamische Regel gibt, die besagt, dass man in seinem Heimatland beerdigt werden muss. Und das erfordert natürlich sehr viel Zeit, Kraft und Geld."

Bestattung in Deutschland oft als Notlösung

"Einen Toten in die Heimat zu überführen, kostet Geld. Ich sag mal, um den Dreh 3000 Euro. Wenn dieser Tote vorher nicht das Geld zur Seite gelegt hat, und nachher keine Verwandtschaft hat, Söhne oder Töchter oder wer auch immer, werden die auf kürzestem Wege eben hier bestattet."
Eine Bestattung in Deutschland ist für viele Muslime nur eine Notlösung. Es gibt zwar Parzellen auf deutschen Friedhöfen, in denen nach muslimischem Brauch bestattet werden darf – der Leichnam gen Mekka ausgerichtet, ohne Sarg, nur in ein Leinentuch gehüllt – aber es bestehen Probleme.
"Was eines der großen Probleme ist bei diesen Parzellen, ist das Gebot der Ewigkeit des Grabes. Also ein Grab sollte möglichst für die Ewigkeit angelegt sein. Jetzt kann man natürlich darüber diskutieren, was ist Ewigkeit? In Deutschland hat man ja die Möglichkeit, nach 25 Jahren das Grab sozusagen zu verlängern, ohne dass das wiederbelebt wird das Grab – also neu ausgehoben und eine weitere Beerdigung dort durchgeführt wird.
Solange man das organisiert bekommt, kann man die Gräber verlängern. Insofern besteht die Möglichkeit es dort, in Anführungsstrichen, ewig als die Grabstelle des Verwandten zu nutzen. Allerdings wird das im islamischen Raum von Haus aus so gehandhabt, also ein Grab wird angelegt, und dann ist das für ewig. Dann muss man sich nicht nach 25, 30 oder 50 Jahren drum kümmern, sondern das ist immer so. Das ist ein Konflikt."

Rituelle Waschung und schnelle Beerdigung

Wenn in der islamischen Welt berühmte Persönlichkeiten sterben, gibt es große Leichenzüge. Doch auch normale Beerdigungen haben viel Zulauf – Anteilnahme ist religiöse Pflicht.
Ein muslimischer Leichenzug durchquert in Rosetta (Rashid) im Nildelta in Unterägypten den Basar.
Eine Besonderheit in der muslimischen Trauerkultur sind Trauerzüge. Dieser führt in Ägypten über einen Markt. © picture-alliance / Herve Champollion / akg-images
Diese Trauerzüge sind nur eine von vielen Eigenheiten der islamischen Trauerkultur. "Die Toten müssen bei uns gewaschen werden", erklärt Özgür Uludağ. "Es ist eine rituelle Waschung, und das machen natürlich kundige Leute." Es gebe Institute, Begräbnisinstitute, oder auch Moscheegemeinden, die das organisieren, oder aber die Familienmitglieder machten es selbst. "Für uns ist es auch wichtig, dass jemand so schnell beerdigt wird, wie es geht. Sie müssen bedenken, dass die meisten Muslime ja aus heißen Regionen kommen, und hier haben wir natürlich die Möglichkeit der Kühlung, aber traditionsgemäß ist es sehr wichtig, dass ein Mensch innerhalb der ersten drei Tage beerdigt wird."

Bestattung nach muslimischem Brauch möglich

Uludağ sagt etwas flapsig: Eigentlich sind wir kein Beerdigungsunternehmen, sondern wir vermitteln Flüge. Ein wesentlicher Grund, warum nicht viel mehr Bestatter muslimische Beerdigungen anbieten, sind die Flugkosten. Uludağs Unternehmen erhält spezielle Rabatte. Die Überführungen sind gut fürs Geschäft – aber schlecht für die Integration.
"Im Moment, in den letzten zehn Jahren, haben wir zu 90 bis 95 Prozent Überführungen gemacht. Nur ein geringer Teil lässt sich in Deutschland beerdigen. Die Möglichkeiten sind gegeben: Man kann ohne einen Sarg beerdigen, nach einem islamischen Ritus, mit der rituellen Waschung, mit einer gewissen Ewigkeit des Grabes."
Islamische Gräber auf dem Westfriedhof in Köln-Bocklemünd. Das Gräberfeld ist so ausgerichtet, dass die Toten mit dem Gesicht Richtung Mekka liegen. Das hat zur Folge, dass die Gräber auf dem Westfriedhof nicht parallel sondern diagonal zu den Gehwegen verlaufen.
In Deutschland gibt es islamische Gräberfelder, wie hier auf dem Westfriedhof in Köln-Bocklemünd. Dort darf nach muslimischem Brauch bestattet werden: der Leichnam mit dem Gesicht gen Mekka, nur in ein Leinentuch gehüllt.© imago / epd
Das werde allerdings "von den Muslimen oder den Ausländern in Deutschland nur sehr eingeschränkt genutzt", so Özgür Uludağ. Es ist eine bittere Bilanz für die Integration: Die Muslime wollen nicht hier begraben werden, weil sie sich hier nicht zu Hause fühlen.

Tipps für den Umgang mit trauernden Muslimen

Doch der Ort, an dem die Muslime sterben, ist hier, in Deutschland. Wenn Özdil seine Schulungen gibt, ist eine dringende Frage, die ihm die Mediziner stellen: Wie soll man Muslimen begegnen, wenn einer ihrer Angehörigen stirbt?
Özdil gibt praktische Tipps: Suchen Sie Körperkontakt! Schauen Sie den Menschen in die Augen! Das tut jedem in einer solchen existenziellen Situation gut. Vor allem verkrampfen Sie sich nicht. Behandeln Sie die Muslime einfach als ganz normale Menschen.
"Denn wenn ich über tausend verschiedene Dinge nachdenken muss, Mensch, wie soll ich bei einem Araber, bei einem Perser, bei einem Türken, einem Afrikaner reagieren – das verwirrt die Menschen." Schlecht sei auch, mit der Angst an die Sache heranzugehen: Trete ich jetzt in ein Fettnäpfchen oder nicht?
"Ich sage: Tun Sie das, was Sie in Ihrer Ausbildung gelernt haben. Am Ende kann man darüber reden, was ist schief gelaufen, was hätten wir anders machen können?" Solange man tue, was man in der Ausbildung gelernt habe oder nach seinen Erfahrungen handle, sei man auf der sicheren Seite, versichert Ali Özdil. Er versuche, Sicherheit zu geben im Umgang mit muslimischen Menschen und dem Tod, und bemühe sich, nicht noch weitere Verwirrung zu stiften, betont der Islamwissenschaftler.
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