Tod in Stammheim

Von Agnes Steinbauer · 09.05.2006
Viele Mythen ranken sich um Ulrike Meinhof, vor allem um ihren Tod im Gefängnis Stuttgart-Stammheim. Vor 30 Jahren wurde die RAF-Terroristin erhängt in ihrer Zelle gefunden. Die genauen Todesumstände sind bis heute ungeklärt.
9. Mai 1976, aufgebrachte Studenten ziehen durch Westberlin. Ulrike Meinhof ist tot. Frühmorgens war das führende Mitglied der RAF gefunden worden, erhängt am Zellenfenster im Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim.

Schwester Wienke Zitzlaff: "Sie hatte ja mal zu mir gesagt: 'Du kannst ganz sicher sein, wenn ich im Gefängnis umkomme, dann ist es Mord."

Journalist Stefan Aust: "Mord wäre die bessere Geschichte gewesen. Ich habe da jeden Stein umgedreht. Ich habe da Wochen und Monate verbracht, um jeder Spur hinterherzulaufen, und es ist einfach so gewesen, dass sich keine Hinweise auf Mord oder Selbstmord aufrecht erhalten ließen."

Zwei Menschen, zwei Meinungen: Die Schwester Wienke Zitzlaff und der Journalist Stefan Aust. Ulrike Meinhofs Tod war Anlass für jahrelange Spekulationen, eindeutig geklärt ist er bis heute nicht:

"Was bleibt, ist die Tatsache, dass die Ermittlungsbehörden in auffälliger Eile, ohne Vertrauenspersonen hinzu zu ziehen, obduzieren ließen und dass sie vor Abschluss der Untersuchungen bereits das Ergebnis präsentierten."

Mario Krebs, Autor der Meinhof-Biografie "Ein Leben im Widerspruch", macht keinen Hehl daraus, dass er Mord für möglich hält. Die Positionen im Streit um die Frage, wie Ulrike Meinhofs Leben endete, waren in den 70er Jahren eine Art politisches Bekenntnis. Aber weder die eine noch die andere Seite konnte schlüssige Beweise vorlegen. Auch bei einer Nachobduktion, veranlasst von Meinhofs Rechtsanwalt und den Angehörigen, ließ sich eine Gewalttat nicht nachweisen, ebenso wenig wie durch eine "internationale Untersuchungskommission". Bei der Überprüfung der offiziellen Obduktionsberichte fanden unabhängige Gutachter eine Reihe von kriminaltechnischen Widersprüchlichkeiten, etwa, dass die Schlinge um Meinhofs Hals zu groß gewesen sei, um damit zu Tode zu kommen. Andererseits suchten sie vergeblich nach den für einen "Erstickungstod durch Fremdeinwirkung" üblichen Merkmalen. Für Meinhofs Tochter, Bettina Röhl, war der Selbstmord ihrer Mutter aus psychologischer Sicht zwangsläufig:

Bettina Röhl: "Sie stand vor einem elenden Aus. Selbst, wenn sie aus dem Gefängnis entlassen worden wäre, hätte sie vor einem verpfuschten Leben gestanden. Dann ist das Effektvollste eben auch ein Selbstmord."

Dass für ihre Mutter das Private politisch war, das haben Bettina Röhl und ihre Zwillingsschwester leidvoll erfahren. Während Ulrike Meinhof engagierte Reportagen über Heimkinder machte, waren ihre Töchter oft sich selbst überlassen.

"Sie hat uns nicht das Frühstück gemacht. Ich hatte immer fettige Haare, ich war immer krank als Kind. Ich würde sagen, es ist eine Art von Kindesmisshandlung gewesen."

Das passierte Ende der 60er Jahre. Ulrike Meinhof war nach der Trennung von "Konkret"-Herausgeber Klaus Rainer Röhl von Hamburg nach Berlin gezogen. Zu dieser Zeit war sie durch ihre Kolumnen in "Konkret" bereits bundesweit bekannt und wurde, wie ihr Biograf Mario Krebs schreibt, als "prominente Linke herum gereicht". Aus der zurückhaltenden evangelischen Studentin, die sich in den 50er Jahren gegen Wiederbewaffnung und atomare Aufrüstung engagiert hatte, und gegen das Schweigen über die NS-Zeit im Adenauer-Staat, war eine Art "Sprachrohr" von APO und linker Studentenschaft geworden, gegen den Vietnamkrieg und den "Imperialismus" der USA und für die Selbstbestimmung der Völker.

Ulrike Meinhof: "Wir sind engagiert für diejenigen, die sich versuchen zu befreien und wenn ein anderes Mittel, als Krieg nicht übrig bleibt, dann sind wir für ihren Krieg und sind gegen diejenigen, die ihren Terror eskalieren bis hin zur Anwendung von Nuklearwaffen wie dies gegenwärtig in Bezug auf Vietnam ja diskutiert wird."

Eigentlich verabscheut Ulrike Meinhof Gewalt, hat Angst auf Demonstrationen, sieht aber - stark beeinflusst von den Aktivisten Andreas Baader und Gudrun Ensslin, die bereits einsitzen -, dass sich mit ihrer journalistischen Arbeit nichts ändert. Bei einem Freigang Baaders im Mai 1970 verhilft sie ihm zur Flucht und katapultiert sich damit selbst in den Untergrund. Der Terror der Roten Armee Fraktion beginnt, mit Banküberfällen, Brandstiftung, Attentaten mit Toten und Verletzten. Das dürfe nicht vergessen werden, findet Bettina Röhl:

"Nein, ein Mythos Meinhof ist nicht gerechtfertigt und Respekt schon gar nicht."