Tod in Libyen

09.03.2012
Seit Frühjahr 2011 ist wohl aus keinem anderen Land soviel berichtet worden wie aus Libyen. Doch was wissen wir wirklich, und wie kommen Europäer klar, die dort in den Wirren der Revolution ihr Geld verdienen mussten? Die Novelle von Anton Corwald zeichnet ein erschütterndes Bild.
Wien, Frühjahr 2011. Der Erzähler, ein österreichischer Ingenieur, sitzt biertrinkend vor dem Fernsehschirm und zappt durch die Programme. Vor kurzem erst hat er Libyen wegen der dortigen Unruhen gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi verlassen müssen.

Ein kurzer Nachrichtenbeitrag im Programm der BBC schreckt ihn auf, denn er hat keine Zweifel, gerade die Leiche des österreichischen Bauunternehmers Anton Corwald – seines Chefs auf der libyschen Baustelle – gesehen zu haben. Offenbar ist der schillernde, aber auch rätselhafte Unternehmer im arabischen Frühling einem Attentat zum Opfer gefallen. Doch die Bilder werden kein zweites Mal gezeigt, niemand kann sichere Auskunft geben, wer die gezeigten Personen gewesen sind.

Der Erzähler beginnt eine Spurensuche in seinen Erinnerungen. In seinem Kopf ruft er die wenigen Treffen mit Anton Corwald ab. Der umtriebige Chef wusste stets, wo man in der schier endlosen libyschen Wüste ein Bier trinken konnte, er hatte einen einheimischen Fahrer, der dem Erzähler immer suspekt war und hunderte von Kontakten. Corwald verhandelte mit Gaddafis Leuten, zugleich aber auch mit den Aufständischen. Vermutlich war er es, der die Flucht der Ingenieure aus Libyen ermöglicht hat, aber nicht einmal das kann man mit Sicherheit sagen. Kurz: Aus Anton Corwald wird niemand schlau.

Hans Platzgumer setzt in seiner Novelle "Trans-Maghreb" auf ein hochaktuelles Thema. Die erzählte Geschichte dient als Teppich, auf dem er ausbreitet, wie weit unsere europäische und die arabische Lebensweise auseinanderklaffen. Das Buch ist ein Abgesang auf gescheiterte Versuche der Annäherung zweier Kulturkreise, eine erschütternde Bestandsaufnahme dessen, was einem trotz täglicher Live-Berichterstattung alles verborgen bleibt.

Da arbeitet ein österreichischer Bauingenieur viele Monate in der libyschen Wüste, aber er bleibt ein Fremdkörper in dem Land. Sein Alltag beschränkt sich auf die Arbeit an einer Eisenbahnlinie, die karge Freizeit findet in totaler Vereinsamung in einem Camp im klimatisierten Wohncontainer statt, und alle paar Wochen geht es nach Hause, in den Urlaub. Kontakte mit der Bevölkerung beschränken sich auf den täglichen Einkauf. Dass in dem Gastland gerade eine Revolution stattfindet, bemerken die "Gastarbeiter" eigentlich erst, als die Kampfhandlungen die Arbeit auf der Baustelle beenden.

Platzgumers Novelle besticht durch ihre Direktheit: Als Leser vergisst man immer wieder, dass ein Autor hier einen fiktiven Text geschrieben hat und hält den Erzähler für einen authentischen Berichterstatter, der seine Zeit als Ingenieur in Libyen aufarbeitet. Der Autor geht sprachlich ohne jede Umschweife zu Werke, streckenweise meint man, mitten in einer Reportage zu stecken.

Die Versuche des Erzählers, mehr über den Bauunternehmer in Erfahrung zu bringen, bleiben halbherzig und scheitern kläglich. Das Buch ist aber gerade deshalb höchst gelungen, weil Corwald für den Leser wie für den Erzähler ein schillerndes Phantom bleibt. Der Unternehmer wird weder in Libyen noch in Österreich von irgendjemandem vermisst. Nur sein Anrufbeantworter springt noch an.

Besprochen von Roland Krüger

Hans Platzgumer: Trans-Maghreb. Novelle vom Bauträger Anton Corwald
Limbus-Verlag, Innsbruck, 2012
118 Seiten, 13,90 Euro
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