Tischsitten in China

Aufessen ist nicht vorgesehen

Eine Frau ist in einem Hongkonger Restaurant Sushi.
Eine Frau isst in einem Hongkonger Restaurant Sushi. © AFP / Aaron Tam
Von Ruth Kirchner · 19.01.2015
Die Etikette erlaubt es Chinesen nicht, alle angebotenen Speisen aufzuessen - man würde damit den Gastgeber beschämen. Beim gemeinsamen Essen wird deshalb so viel aufgefahren, dass sich die Tische biegen.
Das Restaurant "Tante Zhao" im Pekinger Sanlitun-Viertel. Das einfache Familienrestaurant am Ende einer winzigen Gasse ist immer gut besucht. Hier darf man sich gehen lassen: beim Essen rauchen – trotz offiziellen Rauchverbots, Knochenreste aufs Plastiktischtuch spucken, laut schmatzen und schlürfen. Doch den Gästen von Tante Zhao ist völlig klar, dass es hier familiär zugeht. Ein Geschäftsessen sehe völlig anders aus, sagt dieser Mann.
"Da muss man auf die Formalitäten achten, auf die Kleidung, wie man isst, auf die Stimme, die Sitzordnung. Für uns einfachen Leute gelten diese Regeln nicht. Höchstens, dass der Älteste den Ehrenplatz bekommt. Und derjenige, der zahlt, sitzt in der Nähe der Tür."
Bei offiziellen Anlässen geht es um weit mehr als ums Essen: es geht darum, sich Respekt zu verschaffen und Respekt zu zeigen. Schon deshalb wird oft groß aufgefahren. Die runden Tische biegen sich unter den viele Speisen. Immer bleibt viel übrig. Was auf Ausländer wie totale Verschwendung wirkt, ist gewollt. Denn der Gastgeber will zeigen, was er sich leisten kann und was er gewillt ist für den Gast auszugeben, sagt Li Ning von einer Pekinger Benimm-Schule:
"Es wäre die totale Niederlage für den Gastgeber, wenn am Schluss alle Platten leer sind und alles aufgegessen wurde. Überfluss ist wichtig, vor allem bei Tafeln mit Gästen. Es wäre schlimm für den Gastgeber, wenn am Schluss nichts mehr übrig ist."
Beim Essen geht es vor allem um Beziehungen
Doch die Großzügigkeit hat Schattenseiten. Es wird aufgefahren, was das Zeug hält – und was teuer ist. Die Exzesse kosten nicht nur viel Geld, sie sind auch Teil der oft korrupten Beziehungen zwischen Parteikadern und Wirtschaftsvertretern.
Die Versuche der Kommunistischen Partei, ihr eigenes Image aufzupolieren – und ihre Legitimation zu wahren – setzten daher gerade beim Essen an. Kader und Funktionäre sollen neuerdings weniger der Völlerei frönen und stattdessen mehr arbeiten. "Vier Gerichte und eine Suppe", heißt die Regel im Volksmund. Die Bescheidenheits- und Sparsamkeitskampagne macht vor allem der Luxusgastronomie zu schaffen, sagt der Ökonom Xu Hongcai:
"Viele Funktionäre und führende Politiker sind jetzt sehr vorsichtig, wenn sie essen gehen. Sie haben Angst, dass sie beim Schlemmen erwischt werden, das könnte ihr Image beeinträchtigen, gerade wenn sich so etwas im Internet verbreitet. Da hat sich wirklich etwas verändert."
Manche Edel-Restaurants mussten sich neu erfinden - bieten jetzt Hackfleischspeisen an statt Haifischflossen-Suppe. Aufs gemeinsame Tafeln wird trotzdem nicht verzichtet. Denn in China geht es beim Essen vor allem um "guanxi", um Beziehungen.
Essen ist zentraler Bestandteil der sozialen und geschäftlichen Beziehungsgeflechte – und oft auch das gemeinsame Trinken. Getrunken wird im Übrigen gerne Baijiu, klarer Schnaps. Noch heute heißt es im ländlichen China, nur wenn man zusammen gegessen und vor allem viel getrunken hat, kennt man sich wirklich. Wobei man im Übrigen während des Essens nicht über Geschäftliches redet – auch wenn Gast und Gastgeber neben Schnaps und Essen vor allem ihre Verträge und ihre Vorteile im Kopf haben.
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