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Griechenland
Bastian: Griechenland braucht den Schuldenschnitt

Griechenland braucht Geld, sonst droht die Staatspleite. Jetzt werden die Renten gekürzt. Das Sparen sei an seine Grenzen gekommen, vor allem an die sozialen Belastungsgrenzen, sagte der Ökonom Jens Bastian im DLF. Er hält den Schuldenschnitt für machbar - als "Kompromiss, wenn wir gleichzeitig eine intensivere Kooperation Athens in der europäischen Flüchtlingskrise bekommen."

Jens Bastian im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 10.05.2016
    Jens Bastian, freier Wirtschaftsberater, bei einer Konferenz im Goethe-Institut Athen.
    Jens Bastian, freier Wirtschaftsberater und Griechenland-Kenner. (imago stock&people)
    "Athen braucht Berlin beim Schuldenschnitt, aber Berlin braucht Athen bei der Suche nach Lösungen in der Flüchtlingskrise", sagte der Ökonom Jens Bastian im DLF. Beide Krisen würden ineinandergreifen und seien ein Ansatzpunkt. Der Wirtschaftsberater, der seit zwei Jahrzehnten in Athen lebt, fordert einen Schuldenschnitt und hält diesen für machbar. Vor allem als Kompromiss mit der Flüchtlingsfrage.
    Vergangenen Sonntag wurde wieder über Steuererhöhungen entschieden und eine Rentenkürzung angekündigt. "Das Sparen, das wir in den vergagenen Jahren immer wieder erlebt haben, ist an seine Grenze gekommen, vor allem an seine sozialen Belastungsgrenze", sagte Bastian. Griechenland sei ein Land mit Höchststeuersätzen und der Schuldenberg sei mittlerweile so hoch angewachsen, dass er ein Investitionshemmnis darstelle, kritisierte er.
    Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) müsse der Bevölkerung reinen Wein einschenken. "Ist es eigentlich tragbar, dass man der griechischen Bevölkerung, die ohnehin schon vieles hinter sich hat, an Kürzungen und Belastungen, dass Schulden, Schulden sind und diese zurückgezahlt werden müssen. Aus meiner Sicht werden damit heutige und zukünftige Generationen in unverantwortlicher Weise belastet", sagte Bastian im DLF.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es ist eine Schlagzeile, die wir inzwischen sehr gut kennen: Griechenland braucht frisches Geld, sonst droht im Laufe des Sommers die Staatspleite. Eine wichtige Voraussetzung der internationalen Geldgeber, die hat die Regierung in Athen am Sonntagabend erfüllt und eine weitere Rentenkürzung durchs Parlament gebracht. In Brüssel, da wurde das gestern am Montag goutiert. Die Finanzminister der Eurogruppe, die wollen die nächsten Hilfszahlungen an Athen noch in diesem Monat überweisen.
    Am Telefon ist jetzt der Ökonom Jens Bastian. Seit zwei Jahrzehnten lebt und arbeitet er in Athen. Zwei Jahre lang war er außerdem Mitglied der sogenannten Griechenland Task Force der Europäischen Kommission. Schönen guten Morgen, Herr Bastian.
    Jens Bastian: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Bastian, können Sie uns das zunächst mal erklären? Warum steht Griechenland jetzt schon wieder an diesem Punkt, dass es so Richtung Brüssel starren muss, in Richtung dieser Hilfszahlungen, die da jetzt bald fließen sollen?
    Bastian: Der Grund ist einfach. Griechenland hat im August vergangenen Jahres ein drittes Hilfsprogramm vereinbart mit den internationalen Kreditgebern und dieses Programm muss regelmäßig überwacht werden, ob Griechenland sich an verschiedene Vereinbarungen gehalten hat. Dieser Prozess hat viel zu lange gedauert. Da mussten mehrere Gesetze verabschiedet werden, wie Sie gerade im Vorspann genannt haben. Und jetzt muss endlich das heiße Eisen angepackt werden, von dem sich bisher alle ferngehalten haben, nämlich die Schulden, die Tragfähigkeit dieser Schulden und wie diese auch abgebaut werden können.
    Bastian: Befürwortung eines Schuldenschnitts
    Armbrüster: Das heißt, sind Sie für einen Schuldenschnitt?
    Bastian: Ja! Ich bin der Meinung, dass wir über Schuldenerleichterungen in den vergangenen Jahren gesprochen haben. Die haben nicht ausgereicht. Und wir sind jetzt drei Jahre nach dem ersten Schuldenschnitt für Griechenland beim selben Thema. Wir sollten nun Weitsicht üben, damit wir verhindern, dass wir in zwei, drei Jahren wieder dieses Thema besuchen müssen.
    Armbrüster: Nun sagen viele Ihrer Kollegen, viele Volkswirtschaftler, viele Ökonomen, dass die eigentlichen Schulden, die Griechenland zurzeit trägt, dass die gar nicht so das große Problem sind, weil die Zinszahlungen, die dafür anfallen, auch die Tilgung, die sind ja noch einige Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte entfernt.
    Bastian: Das stimmt. Was Zinszahlungen, Tilgungen, Moratorien betrifft, gibt es dort auch Spielräume. Aber heute ist der Schuldenberg so hoch angewachsen, das dies ein Investitionshemmnis darstellt. Es gibt viele einheimische und ausländische Investoren, die sagen, angesichts dieses Schuldenbergs kann ich und werde ich nicht in Griechenland investieren. Die möchten klarere Sicht haben, wie geht das weiter, welche Lösungen werden gefunden, damit wir dieses Thema auch ad acta legen können.
    "Schäuble muss der Bevölkerung reinen Wein einschenken"
    Armbrüster: Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass so ein Schuldenschnitt tatsächlich kommt?
    Bastian: Das wird vor allen Dingen politisch zu entscheiden sein. Die Eurofinanzminister haben vereinbart, sich in zwei Wochen wieder zu treffen. Das ist hoch diffizil, da muss zum Beispiel auch der deutsche Bundesfinanzminister Schäuble der Bevölkerung reinen Wein einschenken: Ist es eigentlich tragbar, dass man der griechischen Bevölkerung, die ohnehin schon vieles hinter sich hat an Kürzungen und Belastungen, dass man die jetzt auch noch verpflichtet, dass Schulden Schulden sind und Schulden zurückgezahlt werden müssen. Aus meiner Sicht wird damit die heutige und zukünftige Generationen in unverantwortlicher Weise in Griechenland belastet.
    Armbrüster: Die Eurofinanzminister wollen ja außerdem Vorschläge von Griechenland haben, wie es über die bestehenden Sparbeschlüsse hinaus noch weiter sparen kann. Das sind diese sogenannten Sparmaßnahmen auf Vorrat, also quasi schon mal prophylaktisch Spargesetze verabschieden, die greifen sollen, wenn das Geld in Athen dann doch wieder nicht reicht. Gibt es eigentlich in Athen weiteren Spielraum für weitere Sparmaßnahmen?
    Bastian: Aus meiner Sicht nicht unbedingt. Und das Sparen, das wir ja in den vergangenen Jahren bereits immer wieder erlebt haben, ist an seine Grenzen gekommen, vor allen Dingen auch an seine sozialen Belastungsgrenzen. Wir haben jetzt am Sonntag wieder Steuererhöhungen in unterschiedlichsten Bereichen verabschiedet. Griechenland ist mittlerweile ein Land geworden, das Höchststeuersätze in unterschiedlichen Produkt- und Dienstleistungsbereichen hat. Wir müssen wegkommen von dieser Fokussierung auf Steuerbelastung. Das ist ein Investitionshemmnis. Wir müssen eher darüber nachdenken, wie kann Griechenland Investitionen akquirieren, wie können Arbeitsplätze geschaffen werden. Sonst kommen wir nicht weiter.
    Armbrüster: Aber da fragen sich viele natürlich auf der anderen Seite des Verhandlungstisches: Warum liefert Athen dann nicht endlich mal Vorschläge? Warum schaffen die Griechen das nicht, ihre Wirtschaft umzusteuern?
    Bastian: Flüchtlingskrise und Finanzkrise verbinden
    Bastian: An Vorschlägen mangelt es eigentlich nicht und auch am Geld mangelt es nicht. Aber mir fehlt auch oft die Fantasie, wie man zum einen Themen miteinander verbindet. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Wir reden jetzt über Schuldenschnitt und viele wehren sich dagegen bei den europäischen Kreditgebern - übrigens nicht mal der Internationale Währungsfonds. Aus meiner Sicht können wir einen Schuldenschnitt mit Blick auf Griechenland organisieren - als Kompromiss, wenn wir gleichzeitig eine intensivere Kooperation Athens in der europäischen Flüchtlingskrise bekommen. Beide Krisen haben ihren geografischen Mittelpunkt in Griechenland. Athen braucht Berlin beim Schuldenschnitt, aber Berlin braucht Athen bei der Suche nach Lösungen in der Flüchtlingskrise.
    Armbrüster: Und da hat der deutsche Finanzminister aber schon ganz klar gesagt, Wolfgang Schäuble hat das vor wenigen Wochen getan, dass er diese beiden Krisen auf keinen Fall miteinander vermischen möchte.
    Bastian: Er möchte das nicht. Aber wenn Sie hier vor Ort leben, dann sind diese Krisen miteinander vermischt. Die greifen ineinander ein und aus meiner Sicht sind das auch Lösungsansätze.
    Armbrüster: Herr Bastian, ich will noch ganz kurz mit Ihnen über eine politische Dimension dieses ganzen Komplexes sprechen. Ich weiß, das ist jetzt als Ökonom nicht unbedingt Ihr Thema. Aber wir müssen über Alexis Tsipras sprechen. Der ist ja mal angetreten als Politiker, der sich gegen den Sparkurs der EU-Geldgeber auflehnt. Jetzt hat er am Sonntag eine weitere Rentenkürzung durchs Parlament in Athen gebracht, man könnte auch sagen durchgepeitscht. Was für eine Wandlung hat dieser Mann in etwas mehr als einem Jahr eigentlich durchgemacht?
    Bastian: Eine Wandlung im Grunde genommen vom Saulus zum Paulus. Er ist ein Ministerpräsident auf Bewährung, vor allen Dingen europäischer Gnaden. Er ist ein Ministerpräsident, der in vielerlei Hinsicht nicht wiedererkennbar ist, und entsprechend sind auch seine Zustimmungsraten in der griechischen Wahlbevölkerung dramatisch gesunken. Und er ist immer noch jemand, der auf der Suche ist, ist er eigentlich Oppositionspolitiker oder Premierminister Griechenlands, und zwar für die gesamte griechische Wahlbevölkerung.
    Wir spekulieren über Neuwahlen in Griechenland, kommen die oder nicht. Kommt ein Schuldenschnitt? Gibt es weitere Steuergesetze? Und das ist jemand, der in vielerlei Hinsicht getrieben ist und der dadurch auch viel Rückhalt in Griechenland verloren hat.
    Armbrüster: Aber der es durchaus ernst meint mit diesem Sparkurs, der durchaus diese Politik aus Brüssel durchziehen will in seinem Land?
    Bastian: Aus meiner Sicht muss er das tun. Er ist selber inhaltlich und politisch davon nicht überzeugt. Er macht immer wieder deutlich, das sind nicht seine Reformen. Das führt natürlich auch dazu, dass dann diese Reformen in der griechischen Bevölkerung keine soziale Akzeptanz haben.
    Armbrüster: Der Ökonom Jens Bastian lebt und arbeitet seit zwei Jahrzehnten in Athen. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen zur aktuellen Lage in Griechenland.
    Bastian: Ich bedanke mich bei Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.