Tim Parks: "Thomas & Mary"

Wenn eine Ehe erodiert

Buchcover "Thomas and Mary"
Buchcover "Thomas and Mary" von Tim Parks © Verlag Harvill Secker / picture alliance/dpa/Foto: Hinrich Bäsemann / combo: Deutschlandradio
Von Gabriele von Arnim · 16.02.2017
In "Thomas & Mary" von Tim Parks kann man einem Paar dabei genüsslich zusehen, wie es sich nach 30 Jahren Ehe immer weiter voneinander entfernt. Die Spaziergänge mit dem Hund werden immer länger und die gemeinsame Zeit im Ehebett wird immer kürzer.
Ein Paar verliebt sich, heiratet, vermehrt sich - und verkümmert. Sie spielen noch eine Weile Familie, kaufen einen Hund, gehen ein bisschen fremd und immer seltener aufeinander zu. So weit so gut – man kennt das Szenario. Ob aus der Literatur oder dem eigenen Leben. Wie beim Fußball sind auch bei diesem Thema fast alle Experten. Aber schaut man wirklich immer ganz genau hin, wie eine Ehe erodiert?
Das hat jetzt der englische Schriftsteller Tim Parks getan. Der seit langem schon schräge und windige Beziehungen zwischen Paaren in den Blick genommen hat. Und sich hier mit Verve in den kleinen grauen Alltag drängt, der sich in einer über 30 Jahre währenden Ehe ausdehnt zwischen Thomas und Mary. Es fängt - wie immer - ganz einfach an. Er verliert seinen Ehering am Strand, ein halbes Jahr später nimmt auch sie ihren ab. Warum soll sie ihn tragen, wenn er sich keinen neuen kauft.
Sie bleiben zusammen. Thomas verdient das Geld, bezahlt das Haus, beackert den Garten, den nie jemand nutzt, hat belanglose junge Freundinnen. Sie liest Hundebücher, weigert sich, einen Job anzunehmen, kocht begnadet und bleibt uninteressant. Parks jedenfalls interessiert sich nicht wirklich für sie. Die Frau kommt schlecht weg in dem Buch. So weit sie überhaupt vorkommt. Als man endlich meint, ihre Stimme zu hören, war es tatsächlich Thomas, der über sie geschrieben hat.

Manchmal möchte man aus dem Buch laufen

Parks beschreibt zunächst penibel den Alltag und erst dann die Grübelei über das Fremdeln. Da werden fast buchhalterisch Fakten gesammelt. Jeder Handgriff wird notiert, jeder Schritt beobachtet, jeder Satz unter die Lupe genommen. Da gibt es keinen Platz für Wetter, Reflexion oder Landschaft. Manchmal möchte man aus dem Buch laufen, weil Parks so erbarmungslos hinschaut. Man wusste ja immer schon, dass Alltag schwierig ist – aber so zermürbend!
Bettzeiten heißt z.B. das Kapitel einer typischen Ehewoche: Wenn am Montag er ein Bier trinken geht, geht sie schon ins Bett; wenn am Dienstag sie noch eine Runde dreht mit dem Hund, geht er schon schlafen. Und so schläft jeden Abend der Woche einer von ihnen mit dem Gesicht zur Wand, wenn der andere ins Bett kommt.
Parks weitet und wechselt die Perspektiven, erzählt und lässt erzählen von den Eltern, den Freunden, dem Sohn. Neben den Fakten gibt es nun Atmosphäre. Er schreibt fulminante Szenen über die religiöse Erziehung in Thomas Elternhaus, inklusive Teufelsaustreibung, über das Sterben von Thomas Mutter, und eine großartig komische Wiederbegegnung der Eltern im himmlisch leuchtenden Totenreich.
Er lässt Thomas von sich erzählen. Der immer noch mäandert zwischen plänkelnden Liebschaften und nervenzehrender Ehe und unentwegt verzweifelt ist. Es ist eindrucksvoll, wie Parks in die Windungen der molluskenhaft schwammigen Gedanken- und Gefühlsgänge dieses Mannes hineinkriecht, die widersprüchlichen Gefühle aufblättert, die gleichberechtigt wohnen in ihm, wie er die Unklarheit in klare Worte fasst. Und immer wieder greift er weit hinaus über das Ehegedöns und hinein in die menschliche Existenz in all ihrem kleinen und großen Wankelmut.

Tim Parks: "Thomas & Mary"
Aus dem Englischen von Ulrike Becker
Kunstmann Verlag, München 2017
336 Seiten, 22,00 Euro