Tiefensee: Mehr Güter auf die Schiene

Moderation: Gabi Wuttke · 28.05.2008
Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee hat sich dafür ausgesprochen, den Anteil der Bahn bei Gütertransporten zu erhöhen. Hier müssten die Anstrengungen gerade auch auf internationaler Ebene verstärkt werden, sagte der SPD-Politiker. Zugleich sichert er zu, mit dem Geld aus der Teilprivatisierung der Bahn weitere Infrastrukturmaßnahmen zu finanzieren.
Gabi Wuttke: Wir sind nicht nur Exportweltmeister, sondern auch Nummer eins der europäischen Transitländer. Eine halbe Million ausländische Lastwagen braust jeden Tag durch Deutschland, und das ist ein Problem für das Klima und alle Verkehrsteilenehmer. Weil Deutschland damit aber nicht allein ist, sitzen von heute an für drei Tage Verkehrsminister aus 51 Staaten in Leipzig zusammen beim Weltverkehrsforum der OECD. Doppelt so viele Lkw wie heute fahren bis 2025 durch Deutschland, wenn es so weitergeht wie bisher. Das hat eine Studie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums ergeben. Wolfgang Tiefensee hat deshalb unter anderen vorgeschlagen, die Mautgebühren in der Nacht ebenso zu senken wie die Steuern für Firmen, die verstärkt die Schienen nutzen. Der Bundesverkehrsminister ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Wolfgang Tiefensee!

Wolfgang Tiefensee: Ja, guten Morgen! Ich grüße Sie!

Wuttke: Wie konnte es sein, dass in den letzten Jahren die Prognosen eher davon ausgingen, dass der Lkw-Verkehr zurückgehen würde und nun in diesen neuen Zahlen so eine erschreckende Voraussicht getroffen werden musste?

Tiefensee: Keiner hat geglaubt, dass es ein solches Wirtschaftswachstum geben wird. Keiner hat geglaubt, dass die internationale Verflechtung, insbesondere Europas mit Asien, ein solches Ausmaß annimmt. Ich will Ihnen ein Zahlenpaar nennen. Wir haben im Jahre 1999 im Bundesverkehrswegeplan die Containeraufkommen in Hamburg prognostiziert für das Jahr 2015, neun Millionen TEU, die Maßeinheit der Container. Dieser Wert ist bereits 2005 erreicht worden, zehn Jahre früher. Und jetzt müssen wir uns darauf einstellen, haben wir uns darauf eingestellt, und wir müssen weiter fortfahren, die Antworten zu finden. Und die Schwierigkeit besteht darin, dass es nicht nur deutsche Antworten sein können, sondern wir müssen uns mit unseren europäischen Partnern abstimmen und brauchen einen internationalen Konsens.

Wuttke: Man sollte natürlich auch auf dieser Konferenz zuallererst vor der eigenen Tür kehren. Nun kann man sagen, die Mautgebühren, die eigentlich dafür gedacht waren, dass der Verkehr sich von der Straße auf Schiene und Schiff verlegt. Dieses Ziel ist verfehlt, wenn man sich ganz plakativ anschaut, dass immer noch Nordseekrabben zum Pulen nach Marokko gefahren werden. Was ganz genau kann Deutschland tun, um diesen Verkehrs- und Klimakollaps zu stoppen?

Tiefensee: Da sind die Stichworte Verkehrsvermeidung, aber auch Verlagerung von Verkehr auf den Verkehrsträger, der am effizientesten ist. Und da ist das Fahrrad nicht per se besser als das Flugzeug. Aber wir müssen eben uns darum kümmern, dass der Lkw-Verkehr besser verschränkt wird mit der Schiene.

Wuttke: Ist doch aber in den letzten Jahren auch nicht passiert, Herr Tiefensee.

Tiefensee: Doch, doch. Wir sind da gut vorangekommen. Lassen Sie mich eins deutlich machen. Wir haben die Verteilung der Güterverkehre auf die einzelnen Verkehrsträger halten können und die Schiene Schritt für Schritt ein Stück ausbauen können, obwohl die dramatische Zunahme des Güteraufkommens auch in den letzten Jahren zu verzeichnen war. Jetzt geht es darum, dass wir den Verkehr auf die Schiene verlagern, wenn er über die 100 Kilometer geht, und das können wir zum Beispiel durch die von Ihnen angesprochene Maut erreichen. Da hat es einen Aufwuchs gegeben. Wir haben jetzt weit über 100 Milliarden Tonnenkilometer, aktuell 117 Milliarden Tonnenkilometer auf der Schiene. Das ist ein immenses Volumen. Und das weiter zu erhöhen, bedeutet einmal Lärmschutz für die Bürger, zum anderen, dass wir Güterverkehr, Personenverkehr separieren, dass wir die Schnittstellen zwischen den beiden Verkehrsarten minimieren, sodass die Slots verdichten, dass noch mehr Verkehr auf der Schiene abgewickelt werden kann. Und dazu gibt es konkrete Vorhaben, und wir werden viel Geld investieren, nicht zuletzt auch aus dem Erlös der Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG.

Wuttke: Nun sagen aber die Verkehrsminister der Länder genauso wie Umweltschützer, das mit der Bahn kann unter anderem deshalb nicht funktionieren, weil die Schienenkapazitäten nicht ausreichen und die Bahn nicht flexibel genug ist.

Tiefensee: Deshalb mit modernen Verkehrsleitsystemen, modernen Sicherheitssystemen die Schiene effizienter machen, und das Schlüsselwort ist European Train Control System, ein internationaler Standard. Das ist der erste Punkt. Der zweite, ja, wir müssen die Schiene weiter ausbauen, genauso wie übrigens Autobahnen und Bundesstraßen. Verkehrsvermeidung heißt nicht, dass wir den Ausbau stoppen können. Deshalb mehr Geld in den Erhalt und in den Ausbau der Infrastruktur. Und es geht eben darum, dass wir mit modernen Umschlagtechniken den Lkw im 100-Kilometer-Radius einsetzen, dann die Waren kostengünstig schnell und vor allen Dingen pünktlich umschlagen auf die Schiene, damit die langen Verkehre von der Autobahn wegkommen. Und dann sollte es gelingen, dass wir diesen enormen Mengen Herr werden. Ich sag aber noch einmal, es ist eine europäische Angelegenheit, wenn der Verkehr dann an der Grenze stockt und stoppt, dann ist nicht uns gedient. Deshalb brauchen wir die europäische, die internationale Anstimmung.

Wuttke: Herr Tiefensee, wie sind Sie denn für die nächsten drei Tage darauf eingerichtet, wenn Ihre ausländischen Kollegen verwundert fragen, warum die Bundesregierung gerade ihr Klimaschutzpaket auf Eis gelegt hat?

Tiefensee: Das Klimaschutzpaket der Bundesregierung ist in seinen wesentlichen Teilen abgestimmt. Es gibt eine Reihe von Details, die jetzt noch besprochen werden müssen. Deshalb gab es eine Verschiebung, gibt es eine Verschiebung auf Mitte Juni. Deutschland ist, mal unabhängig von diesem konkreten Paket, Vorreiter, und wir werden etwas anderes erleben in Leipzig, einmal mehr, dass Deutschland, dass Europa Vorreiter ist, ehrgeizige Ziele formuliert, sagt, wie man die erreichen könnte. Aber wir haben einige Bremser, und da muss einmal mehr, müssen die USA, muss Kanada genannt werden. Wir hoffen, dass wir sie ein Stück überzeugen können auch bei diesem Diskussionsforum in Leipzig, damit dann, wenn es um konkrete Beschlüsse geht, in diesem und im nächsten Jahr, auch die Amerikaner, auch die Kanadier mitmachen, damit wir hier international vorankommen.

Wuttke: Aber genau, die Amerikaner könnten doch sagen, ihr Lieben, was wollt ihr von uns, wenn ihr es nicht mal in eurem eigenen Lande zwischen zwei Partein hinkriegt.

Tiefensee: Es geht ja hier mehr oder minder um Details.

Wuttke: Mehr oder minder, sagen Sie.

Tiefensee: Mehr oder minder. Nehmen Sie die CO2-Steuer, die ja momentan nach Hubraum und Schadstoffklasse berechnet wird. Schon allein der Hubraum ist eine gute Stellschraube, um deutlich zu machen, tu etwas, lieber Kunde. Ich darf aber daran erinnern, wie wir im Gebäudebereich, im Verkehrsbereich die erneuerbaren Energien einsetzen, wo weltweit Aufmerksamkeit ist. Oder denken Sie an die Fragen Wasserstoff und Brennstoffzelle, wo in Großstädten Deutschlands Feldversuche laufen. Nein, wir sind da ganz gut schon aufgestellt. Aber ich gebe Ihnen recht, das Bessere ist der Feind des Guten. Wir müssen unbedingt zulegen und nachlegen, und ich will mich durchaus der Diskussion stellen, warum wir nicht so viel schaffen, wie wir uns vorgenommen haben. Ich wünschte aber, dass die anderen in Europa, vor allen Dingen in der Welt sich erst einmal so viel vornehmen, wie wir schon geschafft haben, und dann können wir weitersehen.

Wuttke: Vielen Dank, Wolfgang Tiefensee!

Tiefensee: Bitte schön!

Wuttke: Vor Beginn des Weltverkehrsforums heute in Leipzig der Bundesverkehrsminister hier im Programm von Deutschlandradio Kultur.