Tief gespalten

Hongkong nach der Regenschirm-Revolution

Mitglied der Occupy-Bewegung in Hongkong mit Regenschirmen
Der politische Konflikt ist so ungelöst und akut wie vor den Straßenbesetzungen. © afp / Anthony Wallace
Von Markus Rimmele · 14.01.2015
Monatelang sind im vergangenen Jahr Bewohner Hongkongs auf die Straße gegangen, um für ein demokratisches Wahlrecht zu kämpfen. Im Dezember verstummte die Bewegung mit der Räumung des letzten Protestlagers - jetzt herrscht Ruhe. Zumindest vordergründig.
Eklat im Hongkonger Parlament am Mittwochvormittag. Das Haus ist zur jährlichen Regierungserklärung zusammengekommen. Regierungschef Leung Chun-ying, kurz CY Leung, hat noch nicht angefangen zu sprechen, da verlassen die prodemokratischen Abgeordneten schon das Parlament. Sie tragen dabei gelbe Regenschirme - das Symbol der Occupy-Proteste. Vor dem Parlament erklärt der Chef der Bürgerpartei Alan Leong, was er damit zum Ausdruck bringen wollte.
"CY Leung verdient nicht den Respekt der Hongkonger. CY Leung verdient es nicht, Regierungschef zu sein."
Das politische Klima ist vergiftet in Hongkong - nach den Protesten vielleicht sogar mehr denn je. Demokraten und Pekingtreue stehen sich unversöhnlich gegenüber. Peking, das wird erneut in Leungs Rede klar, wird keinen Kompromiss in Sachen Wahlreform eingehen.
Das heißt: 2017 kann der Regierungschef zwar erstmals direkt vom Volk gewählt werden, aber die Kandidaten für diese Wahl sucht vorher ein pekingfreundliches Gremium aus. Eine öffentliche Nominierung, wie von den Demokraten gefordert, wird es nicht geben. Dafür wäre zudem eine Grundgesetzänderung notwendig.
"Die Wahl des Hongkonger Regierungschefs muss auf der Grundlage des Hongkonger Grundgesetzes erfolgen, sagt Leung. In Hongkong herrscht das Recht. Beim Streben nach Demokratie müssen wir das Recht respektieren, andernfalls droht Anarchie."
Nicht einmal bei den Details macht Leung einen Schritt auf die Demokraten zu - etwa bei der Zusammensetzung des Wahlgremiums, das die Kandidaten bestimmt. Es ist eine Politik der totalen Unnachgiebigkeit. Der autoritäre Hauch Pekings ist deutlich zu spüren. Die Demokraten stehen nun vor einer schwierigen Wahl. Im Sommer wird über die Reform im Parlament abgestimmt.
Mehrheit der Hongkonger Bürger wünscht sich Demokratie
Dort haben die Pekingtreuen die Mehrheit. Denn nur ein Teil der Abgeordneten wird durch allgemeine Wahlen bestimmt. Die Reform benötigt allerdings eine Zweidrittelmehrheit. Dafür wären auch Stimmen der Demokraten notwendig. Diese wollen aber mit nein stimmen. Damit wäre die Reform gescheitert. Das hieße dann aber auch: Es bliebe alles beim Alten. Und die Hongkonger könnten noch nicht einmal zwischen zwei oder drei Kandidaten auswählen, sondern bekämen weiterhin irgendjemanden vor die Nase gesetzt. Trübe Aussichten für die Zehntausenden, die im Herbst auf den Straßen protestierten und für die Mehrheit der Hongkonger Bürger, die sich Umfragen zufolge Demokratie wünscht.
Gleichzeitig machen sich die Behörden daran, die Protestanführer rechtlich zu belangen. Dutzende mussten sich in den vergangenen Tagen bei der Polizei melden. Der Studentenvertreter Gary Fong etwa.
"Die Polizei hat mir Videos von den Protesten gezeigt, erzählt er nach dem Verhör, und mich der Anstachelung zu illegalen Versammlungen bezichtigt. Sie nahmen auch meine Fingerabdrücke. Am Ende ließen sie mich ohne Auflagen gehen."
Auf Fong und viele andere werden wohl noch Gerichtsverhandlungen zukommen. Auch ideologisch geht die Regierung in die Offensive. Fast 70 Prozent der jungen Hongkonger, so eine Umfrage, misstrauen der Regierung in Peking. Zwei Drittel wollen keinen Job auf dem Festland annehmen.
Neue Proteste wird es sicherlich geben
Das soll sich ändern. CY Leung verkündete in seiner Regierungserklärung neue Pläne. Jeder Schüler soll in Zukunft mindestens einmal an einem Austauschprogramm mit dem Festland teilnehmen. Die Zahl der Schulpartnerschaften soll sich verdoppeln. Chinesische Geschichte und Kultur sollen im Unterricht eine größere Rolle spielen. Von den Studenten und Occupy-Anführern war in den vergangenen Wochen wenig zu hören. Neue Proteste wird es sicherlich geben. Doch der Gegenwind wird stärker. Am Montagfrüh warfen Unbekannte Brandsätze auf das Wohnhaus des Medienunternehmers Jimmy Lai. Auch sein ehemaliges Büro wurde angegriffen. Verletzt wurde dabei niemand.
Lai ist ein Unterstützer der Demokratiebewegung und der Gründer der Boulevardzeitung "Apple Daily". Sie ist die letzte verbliebene explizit pekingkritische Zeitung in Hongkong.
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