Thüringen

Kultureller Kahlschlag?

Das Goethe-Schiller-Denkmal vor dem Nationaltheater in Weimar (Thüringen)
Das Goethe-Schiller-Denkmal vor dem Nationaltheater in Weimar (Thüringen) © dpa / picture alliance / Soeren Stache
Von Henry Berhard · 20.08.2015
Teilweise jahrhundertealte Orchester sollen abgeschafft oder fusioniert werden, das Deutsche Nationaltheater Weimar seine Opernsparte schließen und Erfurt zur Staatsoper werden: Ein internes Papier der Thüringer Staatskanzlei birgt Sprengstoff für die Kultur.
Thüringen ist ein Kulturland. Goethe, Schiller, Bach, Luther kommen von hier. Und wohl keine Region in der Welt hat so viele Theater und Orchester auf so kleinem Raum zu bieten. Letzteres könnte sich bald ändern, wenn die drastischen Pläne wahr sind, die eine Thüringer Zeitung veröffentlicht hat. Wie ein Kulturland ruiniert wird" kommentierte die Thüringer Landeszeitung; die Rot-Rot-Grüne Landesregierung wolle nach obrigkeitsstaatlicher Art einen "kulturalen Einheitsbrei" zusammenrühren, das "Theaterland Thüringen umkrempeln". Starker Tobak. Aber die dicken Pinselstriche scheinen angemessen. Unser Landeskorrespondent Henry Bernhard berichtet aus Erfurt.
In einem Hintergrundgespräch für Kulturjournalisten hatte der für Kultur zuständige Staatskanzleiminister Benjamin-Immanuel Hoff seine mittelfristigen Pläne offengelegt – unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Das wurde nun gebrochen, und die Pläne sind auf dem Tisch: Das Deutsche Nationaltheater Weimar mit dem einzigen A-Orchester im Freistaat soll seine große Operntradition begraben und nur noch Schauspiel selbst produzieren. Opernproduktionen soll Weimar vom Erfurter Theater übernehmen, das seinerseits zur Staatsoper befördert werden soll. Die Eisenacher Landeskapelle soll abgewickelt werden. Geras Orchester soll um ein Drittel geschrumpft werden und bei Bedarf Musiker aus Jena ausleihen. Die Thüringen Philharmonie Gotha soll ihre Eigenständigkeit verlieren. Intendantin Michaela Barchevitch ist verblüfft, denn die Gespräche mit der Landesregierung über eine neue Finanzierungsvereinbarung laufen noch.
Michaela Barchevitch: "Die Thüringen Philharmonie Gotha kann eine fast 365-jährige Tradition aufweisen. Und für uns wäre das natürlich ein großer Schlag, auch für unser Publikum und für die ganze Region, denn das ist eines der ältesten Orchester Deutschlands."
Andere Intendanten wollten sich vorerst gar nicht äußern oder gaben nur ein schriftliches Statement ab – wie etwa Hasko Weber vom Deutschen Nationaltheater Weimar. Der zeigte sich verärgert ob der Indiskretion und bekannte sich zur Mehrspartigkeit seines Theaters. Staatskanzleiminister Benjamin-Immanuel Hoff von den Linken präsentierte sich verschnupft, obwohl in Erfurt diskutiert wird, ob er die Enthüllungen nicht billigend in Kauf genommen hat.
Benjamin-Immanuel Hoff: "Es macht manchmal Sinn, wenn man in Szenarien denken möchte, sich auch schwarze Schwäne vorzustellen. Das heißt also, man muss tatsächlich auch mal über den Rahmen vom Ist hinausdenken, um zu schauen: Was ist denn denkbar und was nicht? Und dann kann man Varianten diskutieren, und man kann Varianten wieder verwerfen. Und insofern befinden wir uns mitten in einem Arbeitsprozeß, auf den jetzt etwas mehr Licht gefallen ist, als ich mir das in meiner eigenen Planung ursprünglich überlegt habe."
Hohe Dichte an Orchestern und Theatern
Hintergrund der Strukturdebatte ist die Tatsache, dass Ende kommenden Jahres die Theaterfinanzierungsvereinbarung ausläuft und eine neue getroffen werden soll – möglichst im Konsens mit den Theatern, Orchestern, Landkreisen und Städten. Die Debatte ist nicht neu, noch jeder Kultusminister seit 1990 mußte sich mit der Kleinteiligkeit der Thüringer Großkultur auseinandersetzen. Dabei sind von ursprünglich 1.000 Orchestermusikern nur 600 geblieben. Nun will Rot-Rot-Grün – ohne das Budget von 65 Millionen pro Jahr zu verändern – eigene Akzente setzen, allerdings weniger unter künstlerischen Gesichtspunkten.
Benjamin-Immanuel Hoff: "Wir wissen, dass wir eine Herausforderung im Bereich der Thüringer Theater haben. Das ist das, was ich gemeinhin eine Tariflücke nenne. Das heißt also, wir haben Theater, bei denen die Beschäftigten seit geraumer Zeit von der Flächentarifentwicklung abgeschnitten sind. Wir reden hier über einen durch Freizeit nur unzureichend kompensierten Gewaltverzicht. Und deshalb ist das nicht zuletzt für eine Rot-Rot-Grüne Landesregierung ein Thema."
Dass bei den abgewickelten Sparten und Musikern eingesparte Geld soll an die bislang unterbezahlten Theaterangestellten gehen, die dann wieder Vollzeit arbeiten und ihre Produktionen auch in Häusern ohne eigenes Ensemble zeigen könnten. Sandkastenspiele seien das, sagen Kritiker, da werde ohne Sinn für künstlerische Eigenständigkeit in die Fläche verteilt und dafür die Spitzen abrasiert. Zum Beispiel in Weimar, dessen in Frage stehender Opernbetrieb dem favorisierten Erfurter weit überlegen ist. Die Deutsche Orchestervereinigung hat heftigen Widerstand angekündigt. Und Gothas Intendantin Michaela Barchevitch hofft noch darauf, dass es nicht so schlimm kommt – und denkt dabei nicht nur an ihr Orchester.
Michaela Barchevitch: "Wo in der Welt haben wir denn so eine Dichte an Orchestern und Theatern? Im Prinzip ist es natürlich für uns ein Segen, so eine kulturreiche Umgebung rund um uns zu haben. Andererseits sagen viele Stimmen: Das ist zu viel! Aber, kann es zu viel Kultur geben für unsere Gesellschaft?"
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