Thriller

Schlechte Variante der "Hunger Games"

Werbung für den Kinofilm zum Buch: "The Hunger Games".
Werbung für den Kinofilm zum Buch: "The Hunger Games". © AFP Photo/Don Emmert
Von Knut Cordsen · 05.09.2014
Zoran Drvenkars Thriller "Still" hat verdächtig viele Gemeinsamkeiten mit Suzanne Collins' Erfolgsroman "The Hunger Games". Bei der deutschen Kopie sind Inhalt und Stil des Buches gleichermaßen grausam.
Auf Seite 373 dieses Buches steht ein Satz, den der Leser zu diesem Zeitpunkt so auch schon des Öfteren vor sich hingemurmelt hat: "Was ist das für ein kranker Scheiß?" Das, also "Still" von Zoran Drvenkar, ist wohl die deutsche Variante der "Hunger Games" von Suzanne Collins, jener Geschichte, die hierzulande unter dem Titel "Tödliche Spiele – Die Tribute von Panem" herauskam und von Kindern erzählt, die in einer Kampfarena aufeinander gehetzt werden, auf dass sie sich gegenseitig umbringen.
Irgendwie muss Zoran Drvenkar der enorme Erfolg dieses Buches zu denken gegeben haben. Und so hat auch er eine Geschichte von einem "perversen", "perfiden Spiel" und mörderischer Menschenhatz unter jungen Heranwachsenden gesponnen und dabei nicht am Wort "Hunger" gespart.
Beispiel gefällig? "Sie kennen keine Moral, denn das ist das wahre Leben und im wahren Leben werden die Gesetze der Menschlichkeit auf den Kopf gestellt, sobald der Hunger erwacht. Der Hunger ist Geschenk und Fluch zugleich. Er lässt sie die Welt anders sehen, durch ihn wachsen sie zu Jägern heran. Doch jeder Hunger muss gebändigt werden. Die Disziplin hält ihn in Grenzen, die Disziplin macht den Hunger zu einer Waffe."
Klassische Geschichte von Rache und Vergeltung
Aber der Reihe nach: "Still" ist zunächst einmal eine klassische Geschichte von Rache und Vergeltung, vorgetragen in einem ziemlich schnell, ziemlich nervigen bollernden Tonfall: "Ich werde die Bestie finden, die es gewagt hat, unsere Tochter zu stehlen ... Ich bin ganz bewusst mit dem Kopf voran in die Dunkelheit eingetaucht und werde erst dann wieder auftauchen, wenn ich das Herz der Bestie in der Hand halte und es nicht mehr schlägt."
Da ist ein Vater, der seine Tochter verloren hat. Sie ist vor zwei Jahren spurlos verschwunden, die Polizei vermutet einen Pädophilenring hinter der Tat, Serientäter, die immer im Winter zuschlagen. Aber die Ermittlungen stocken. Mika Stellar, so der Tarnname des Vaters, der eine neue Identität angenommen und sich akribisch auf seinen Rachefeldzug vorbereitet hat, recherchiert auf eigene Faust und kommt, was ziemlich unwahrscheinlich ist oder eben nur für denjenigen wahrscheinlich, der davon ausgeht, dass Kriminalbeamte in der Regel Voll-Deppen sind, fast mühelos über ein paar Internet-Foren und einige Kneipenbesuche in Kontakt mit einer Bande von Kinderschändern, die er hinter der Entführung vermutet.
Die nehmen ihn dann auch nahezu ohne jeden Arg gleich mal mit zu einer abgelegenen Hütte im Wald, weihen ihn ein in ihre widerlichen Fantasien und fordern ihn auf mitzutun. Bei ihrem, wie sie's nennen, "Spaß".
Grausam ist auch der Stil
Hier eben fühlt man sich stark an "The Hunger Games" erinnert, denn nicht nur misshandeln diese Männer Kinder, nicht nur halten sie sie in einem Kellerloch gefangen – sie hetzen sie vor allem aufeinander los mit dem Auftrag, einander zu töten. Sie lassen Sechs- bis Dreizehnjährige im Schnee Drahtschlingen auslegen, einander erstechen, erschießen oder im Eisloch ertränken.
Der Sadismus gipfelt darin, dass die entführten Kinder die "Beute", die eigenen Kinder der Entführer aber die Jäger sind, denen auf diese Weise in einer Art todernstem Trainingscamp das Überleben um jeden Preis eingetrichtert werden soll. Das alles hat angeblich eine lange Tradition und führt zurück in ein schlesisches Dorf in der Zeit des Ersten Weltkriegs.
Grausam ist an "Still" vielerlei, auch der Stil. Gewiss, Thriller liest man nicht ihrer Literarizität wegen. Aber welcher Lektor lässt Sätze wie "Es ist Weihnachtsstimmung pur" stehen? Was soll die seltsame Marotte des Autors, ein Komma nicht länger ein Komma sein zu lassen, hinter dem bekanntlich klein weiter geschrieben wird: "Unschuld, sagte er, Es geht um Unschuld." – "Ich verkehre nicht in diesen Kreisen, sagte er, Ich bin raus." "Ich scheiße mir ein vor Angst", weiß der Erzähler auf Seite 396 schlotternd-bibbernd zu berichten. Ist mich irgendwie nicht so gegangen.

Zoran Drvenkar: Still
Eder & Bach 2014
422 Seiten, 16.95 Euro