"Thorning-Schmidt wird eher Zuschauer sein"

Philipp Schröder im Gespräch mit Marietta Schwarz · 30.12.2011
Nach Meinung des deutschen Wirtschaftswissenschaftlers Philipp Schröder hat Dänemark in der andauernden Euro-Krise wenig Gestaltungsmöglichkeiten bei der EU-Ratspräsidentschaft. 2012 werde von der Euro-Rettung bestimmt und dann sei das "Gespann Merkel-Sarkozy natürlich wichtiger".
Marietta Schwarz: Zum Jahreswechsel übernehmen die Dänen die EU-Ratspräsidentschaft von Polen und damit eine Regierungschefin, die erst drei Monate in ihrem Amt ist im Land: Helle Thorning-Schmidt ist Sozialdemokratin und war früher Europaabgeordnete in Brüssel, kennt also den Betrieb aus eigener Erfahrung. Die große EU-Baustelle allerdings, nämlich die Schuldenkrise, betrifft Dänemark als Nicht-Euroland zumindest auf den ersten Blick weniger als die Mitglieder der Eurozone.

Was also kann eine dänische Ratspräsidentschaft in der Schuldenkrise in den nächsten sechs Monaten ausrichten? Darüber spreche ich mit Philipp Schröder, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Aarhus. Guten Morgen, Herr Schröder!

Philipp Schröder: Schönen guten Morgen!

Schwarz: Herr Schröder, Helle Thorning-Schmidt gilt ja als durch und durch pro-europäisch, aber wie ist denn ihre Haltung zum Euro?

Schröder: Ja, die Haltung zum Euro bei den Sozialdemokraten in Dänemark und bei Helle Thorning-Schmidt ist eigentlich positiv. Die Dänen haben ja die Option, irgendwann noch mal eine Volksabstimmung zu machen, ob man auch dem Euro beitreten möchte. Das war ursprünglich mal so geplant, wenn der Regierungswechsel, der jetzt stattgefunden hat, sich materialisiert hat, allerdings: In der jetzigen Situation hat natürlich keiner auch nur im Traum dran gedacht, dass man die Dänen noch mal abstimmen lässt.

Man ist im Augenblick sehr zurückhaltend. Und das zusätzliche Problem für Helle Thorning-Schmidt ist, dass sie in einer ziemlich breiten Koalition drinsteckt mit einer Duldungspartei, und zwei von den Parteien, die teilnehmen an dieser Koalition, sind eigentlich eher anti Euro, anti Europa eingestellt.

Schwarz: Wie auch das dänische Wahlvolk: Wie ich gelesen habe, sind nach wie vor 71 Prozent der Dänen gegen den Euro.

Schröder: Ja, die Dänen sind sehr skeptisch dem Euro gegenüber oder allem Europäischen gegenüber in gewisser Weise, was erstaunlich ist, weil Dänemark natürlich einer der ganz großen Nutznießer vom Binnenmarkt ist, von dem gesamten Integrationsprojekt, aber die Schuldenkrise, die Eurokrise, die wir in 2011 erlebt haben, hat natürlich die Dänen bekräftigt in ihrer Skepsis - was nicht ganz rational ist, aber das ist eigentlich der Stand der Dinge in Dänemark im Augenblick.

Schwarz: Egal kann Helle Thorning-Schmidt vermutlich die Entwicklung der Eurokrise nicht sein. Wie bekommt dann ihr Land, wie bekommt dann Dänemark diese Krise zu spüren?

Schröder: Eigentlich recht intensiv, denn die dänische Krone ist fest angebunden eigentlich an den Euro, und die dänische Zentralbank macht eigentlich nicht viel anderes, als auf Anrufe aus Frankfurt zu warten, und richtet sich in der Zinspolitik völlig am Euro aus, und auch in allen anderen Anliegen, wie jetzt zum Beispiel die Erhöhung der Eigenkapitaleinlagen für den Banksektor.

Die Sachen werden eigentlich Punkt für Punkt auch in Dänemark durchimplementiert. Bisher haben allerdings die finanziellen Märkte ein ganz großes Vertrauen in die dänische Volkswirtschaft und die Dänen zahlen relativ geringe Zinsen, also sie gelten im Augenblick eher als Musterknabe in der Schule der europäischen Regierungen und haben insofern auch eine geringere Zinslast, jetzt verglichen mit den Problemstaaten, die wir im Euroraum haben, aber auch den anderen Staaten, die außerhalb des Euro stehen, jetzt wie zum Beispiel England.

Schwarz: Könnte man also vielleicht überspitzt sagen: Ob man den Euro hat als Nation oder nicht, ist gar nicht so ein großer Unterschied?

Schröder: Also mit volkswirtschaftlichen Augen gesehen ist das natürlich völlig richtig, dass ... Dänemark hat alle die Kosten sozusagen des Eurobeitrittes eh schon, da man der Politik aus Frankfurt folgen muss, also man hat gar nicht die Freiheit. Die Freiheit für kleine Volkswirtschaften ist eh eine Illusion. Wir sehen das ja eigentlich am Beispiel Italien, Griechenland - die Länder können ja auch mit oder ohne Euro keine eigene Finanzpolitik führen, weil sie dann eben von den internationalen Kapitalmärkten bestraft werden.

Und insofern ist für die kleine, offene Volkswirtschaft Dänemark die eigene Währung relativ nutzlos. Es geht hier glaube ich eher um Politik und um das Selbstwertgefühl, der Souveränität, denn de facto hat Dänemark eigentlich keine Freiheitsgrade, um eigenständige sowohl Finanzpolitik als auch Geldpolitik zu betreiben.

Schwarz: Wie will denn Helle Thorning-Schmidt in diese Euro-Schuldenkrise einwirken? So richtig geäußert hat sie sich dazu ja noch gar nicht.

Schröder: Ja, sie hat ja ein großes Dilemma als ... für die Ratspräsidentschaft der EU jetzt zu übernehmen ist, das große Dilemma für Helle Thorning-Schmidt natürlich, dass man ... die Tagesordnung völlig gekapert wird von dem ... also eigentlich seit dem EU-Gipfel vom 8., 9. Dezember, nämlich, dass es jetzt darum geht, eine neue finanzpolitische Zusammenarbeit in Europa aufzubauen, und es soll ja schon Ende Januar die ersten Resultate da geben.

Und da hat Dänemark zwar die Ratspräsidentschaft, könnte eigentlich am Tischende sitzen, ist aber - da sie keinen Euro in Dänemark haben und auch, nachdem die Engländer relativ kritisch am 8., 9. Dezember sich abgemeldet haben sozusagen aus dem gemeinsamen neuen Szenario einer finanzpolitischen Union oder finanzpolitischen Monitoring -, ... das heißt Helle Thorning-Schmidt wird eher Zuschauer sein ihrer eigenen Ratspräsidentschaft in den nächsten sechs Monaten.

Schwarz: Müsste sie, könnte oder müsste sie dann vielleicht nicht eher die Rolle der Brückenbauerin übernehmen zwischen denjenigen, die den Euro haben, und den Nicht-Euroländern?

Schröder: Ja, das ist so ein bisschen die Rolle, die jetzt außenpolitisch versucht wird, zu spielen. Aber das Problem ist natürlich wieder für die Sozialdemokraten in Dänemark, dass sie in ihren eigenen Koalitionsmitstreitern und in der Duldungspartei ein ... auch Antieuropäer dabei haben oder zumindest relativ starke formulierte Euroskeptiker. Und sie muss natürlich auch innenpolitisch aufpassen, dass sie jetzt nicht zu aktiv wird, und insofern: Das, worauf sich - zumindest so weit man es aus den dänischen Medien jetzt lesen kann -, worauf man sich jetzt geeinigt hat, ist eigentlich, dass man auf diesen Bereich der wirtschaftlichen Verantwortlichkeit Europas abzielt und sagt: Das macht alles Sinn, was jetzt im Augenblick in Brüssel verhandelt wird, nämlich dass die Euroländer und auch die Nicht-Euroländer sich die Schuldenbremse einbauen, sich gegenseitig ihre Haushalte sozusagen begutachten und da für solide und seriöse Haushaltspolitik sorgen.

Und bei diesen Sachen will Helle Thorning-Schmidt sich stark machen, mitmachen, hat aber das Problem, dass eins ihrer wichtigen Nachbarländer, nämlich Schweden, sich schon abgemeldet hat aus dem Prozess, und die Engländer natürlich sowieso.

Schwarz: Und auch das Problem, dass bei einer möglichen EU-Vertragsänderung die Dänen möglicherweise noch mal abstimmen müssen.

Schröder: Ganz genau, und das geht normalerweise schief in Dänemark mit den europäischen Volksabstimmungen, das gibt hier eine lange, schwer zu erklärende Tradition der Euro-Skepsis, und das wird auch bei der nächsten Abstimmung so wieder sein. Im Augenblick steht ja noch nicht ganz fest, ob diese vertraglichen Änderungen eigentlich einer Volksabstimmung bedürfen oder nicht. Es kommt ein bisschen drauf an, wie stark die Eingriffe werden in die nationale Haushaltspolitik, das werden wir ja wahrscheinlich erst Ende Januar wissen.

Schwarz: Angeblich hat ja Nicolas Sarkozy der Dänin beim Krisengipfel im Dezember gleich mal gesteckt, dass sie nichts zu melden hat in dieser Krise in Brüssel. Bestimmen am Ende nicht sowieso Merkel und Sarkozy die Geschicke?

Schröder: Ich denke mal, das ist die Realität der europäischen Politik und besonders der europäischen Euro-Finanzpolitik im Augenblick. Gucken wir auf die letzten sechs Monate, wo im Prinzip Polen die EU-Ratspräsidentschaft hatte - die polnische Ratspräsidentschaft ist komplett überschattet gewesen von der Eurokrise. Vermutlich werden wir 2012 nicht so viel Eurokrise haben, aber Eurorettung ist es immer noch, und dann ist das Gespann Merkel-Sarkozy natürlich wichtiger, als was Helle Thorning-Schmidt beizutragen hat.

Schwarz: Philipp Schröder, Volkswirtschaftler an der Uni Aarhus, über die dänische EU-Ratspräsidentschaft ab dem 1. Januar. Herr Schröder, herzlichen Dank für das Gespräch!

Schröder: Bitte sehr!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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