Thomas Mann

Der Ohrenmensch öffnete die Augen

Der deutsche Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann, schwarz-weiß-Aufnahme, Portrait, zur rechten Seite guckend
Der deutsche Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann © dpa/picture alliance/Abraham Pisarek
Von Anette Schneider · 11.09.2014
Unter dem Titel "Augen auf!" widmen sich in Lübeck das Buddenbrookhaus und das Museum Behnhaus Drägerhaus dem Verhältnis von Thomas Mann zur Kunst. Sie präsentieren illustrierte Erstauflagen und zeigen den Blick des Schriftstellers auf die Bildende Kunst.
"Es gibt viele, die behaupten, es sei nur sehr oberflächlich gewesen. Wir können aber in dieser Ausstellung ein buntes Spektrum von Künstlern und Künsten ganz unterschiedlicher Art aufzeigen, mit denen Thomas Mann ganz intensive Auseinandersetzungen hatte."
Für dieses "bunte Spektrum" durchforstete Behnhaus-Leiter Alexander Bastek mit zwei Kolleginnen so ziemlich alles, was Thomas Mann je über Kunst geschrieben hat. In einem Brief entdeckten sie zum Beispiel Bemerkungen über Barlachs Bettlerinnenskulpturen, deren "hinreißend horizontale Bettelgeste" er bewunderte. Und sie nahmen historische Fotografien seiner Villen unter die Lupe, entschlüsselten die Bilder, die dort in den Zimmern hingen. Etliche davon sind nun zu sehen, ergänzt um Kunstwerke, über die er lediglich schrieb -, wie etwa Barlachs Bettelweiber - sowie Zitate, Textauszüge und die Fotografien. Schnell wird deutlich: Thomas Manns Vorliebe galt den historisierenden Malern der Jahrhundertwende. Entsprechend knapp lässt sich seine Vorstellung von Kunst zusammenfassen:
"Also: Brüche, Wendungen gibt es selten bei Thomas Mann. Eine Entwicklung..., wachsende Kontinuitäten, wenn man so will."
Wirklichkeitsferne Gedankenwelten begeisterten ihn
Thomas Mann entdeckte die Bildende Kunst erst spät: 1904, als fast 30 Jähriger sah er in der Münchner Villa seines künftigen Schwiegervaters erstmals Gemälde von Hans Thoma, Böcklin, Kaulbach, Hans von Marees. Bilder voll griechischer Mythen und arkadischer Landschaften. Bilder, die die Bourgeoisie um 1900 liebte.
"Ihn interessiert nicht die Münchner Avantgarde. Ihn interessiert nicht der Blaue Reiter. Das scheint er gar nicht zu Kenntnis zu nehmen. Auch "Die Brücke", Ernst Ludwig Kirchner, kommt nicht vor. Interessant sind seine ersten Schritte auf den Münchner Sezessions-Ausstellungen: Böcklin, Lenbach, die großen Münchner Künstler, die weiß er zu schätzen."
Deren idealisierende, wirklichkeitsferne Gedankenwelten begeisterten ihn. Sie entsprachen der Haltung des großbürgerlichen Ästheten, der in der Kunst Geist und Leben vereint sehen wollte - aristokratischen Geist, und aristokratisches Leben, versteht sich. So wie in seinem homoerotischen Lieblingsbild "Die Quelle", das er unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg von dem Maler Ludwig von Hofmann kaufte, und das drei nackte Jünglinge an einer Felsenquelle zeigt.
"Das Geistige ist eben ein arkadisches Schönheitsideal. Antikisierende Figuren. Mit all der Kultur, die mit solchen Figuren auch transportiert wurden. Und das Leben - natürlich sind das auch die nackten Jünglingsfiguren ..."
Die Ausstellung umfasst Texte zu Max Oppenheimer und Max Liebermann, die den Schriftsteller porträtierten. Und sie zeigt etliche Zeichnungen Hofmanns, die ihn inspirierten.
Kuratorin Rika Grüter: "Diese Zeichnungen beschreibt er dann im "Schneetraum", also dieser ganz bekannten Sequenz im Zauberberg. ... Dieser existenzbedrohlichen Situation Castorps, der dann diese Vision hat von arkadischen Landschaften, die eben die Landschaften Ludwig von Hofmanns sind."
Er ignorierte kritisch-fortschrittliche Kunst
Thomas Mann, der den Ersten Weltkrieg bejubelte, den Mob beargwöhnte, und das Ende der Monarchie bedauerte, hielt sein Leben lang an seinen idealistischen Kunstvorstellungen fest. Obwohl Alexander Bastek meint, in den 20er-Jahren hätte sich sein Kunstbild verändert.
"Denn da lässt er sich durch den Lübecker Museumsleiter Carl-Georg Heise mindestens in zwei Fällen für moderne ... Kunst begeistern: Einmal des Holzschneiders Frans Masereel, und des Fotografen Renger-Patzsch."
Über beide verfasst er Vorworte zu Kunstbüchern. Doch Masereel und Renger-Patzschs als Beleg für ein "verändertes Kunstbild"? Andere Namen wären überzeugender. Und genau da überrascht die akribische zusammengestellte Ausstellung: Mit welcher Konsequenz der gefeierte Schriftsteller jegliche kritisch-fortschrittliche Kunst igonorierte. Otto Dix? George Grosz? Max Beckmann? Käthe Kollwitz? John Heartfield?
"Das nimmt er nicht wahr, das blendet er aus. Im Tagebuch kommen die einfach nicht vor."
Auch die Ausstellung ignoriert sie. Wie sie ohnehin den Focus von Thomas Mann wählt, und den historischen Kontext kaum beachtet. Schade. Denn manchmal erzählt das, was jemand nicht zur Kenntnis nimmt, mehr über ihn, als das, was er zur Kenntnis nimmt.
Mehr zum Thema