Theorien zum Weihnachtsstern

"Man findet in alten Chroniken keinen Hinweis auf einen Kometen"

Ob der Komet Ison den Flirt mit der Sonne übersteht, weiß niemand.
Ob der Komet Ison den Flirt mit der Sonne übersteht, weiß niemand. © ESO
Dieter B. Hermann im Gespräch mit Frank Meyer · 28.11.2013
War der Weihnachtsstern ein Komet oder eine Supernova? Was er genau war, dazu gibt es verschiedene Theorien - doch der Physiker Dieter B. Hermann geht von etwas ganz anderem aus.
Frank Meyer: Überall in Deutschland werden jetzt in der Adventszeit Weihnachtssterne aufgehängt für den Stern von Bethlehem, der ja laut Bibel den Geburtsort von Jesus Christus angezeigt hat. In diesem Jahr könnten wir einen neuen, einen ganz frischen Weihnachtsstern oben am Winterhimmel bekommen, wenn der Komet Ison seinen Vorbeiflug an der Sonne heute Abend übersteht. Über diesen Kometen und die Theorien zum historischen Weihnachtsstern sprechen wir mit Dieter B. Herrmann, er ist Physiker und war lange Zeit Direktor der Archenhold-Sternwarte und des Zeiss-Großplanetariums in Berlin. Seien Sie herzlich willkommen!
Dieter B. Herrmann: Schönen guten Tag!
Meyer: Heute Abend soll ja Ison der Sonne ganz nah kommen, nach kosmischen Maßstäben jedenfalls, eine Million Kilometer nah. Was wird das heißen für diesen Kometen? Schmilzt er dann dahin im Vorbeiflug?
Herrmann: Ja, das weiß man eben nicht so ganz genau, ob er das übersteht. Sie haben es ja schon gesagt in der Anmoderation. Man muss sich immer klarmachen, dass Kometen erstens ja sehr kleine Objekte sind – also dieser wird so einen Durchmesser von sechs bis acht Kilometern haben – aber zum anderen auch sehr lockere Gebilde, das heißt, es ist so ein Konglomerat aus silikatischen Bestandteilen und aus gefrorenen Gasen, unterschiedlichen gefrorenen Gasen, also Wasser, Eis ist da drin, gefrorenes Kohlenstoffdioxyd und Ähnliches mehr.
"Ein Komet ist ein sehr anfälliges Gebilde"
Und dieses lockere Gebilde ist natürlich sehr anfällig, besonders für intensive Strahlung. Und da er nun der Sonne so nahe kommt – das ist durchaus nicht die Regel bei allen Kometen –, muss man natürlich damit rechnen, dass er unter Umständen dabei schwer beschädigt wird, wenn nicht sogar vollständig auseinanderbricht.
Meyer: Ja, Hitze, Strahlung, sagen Sie, ich habe aber auch gelesen, dass Gezeitenkräfte durch die Sonne auf ihn einwirken. Was heißt das?
Herrmann: Ja, na sicher, also Gezeitenkräfte sind ja Kräfte, die etwas zu tun haben mit der Anziehungskraft der Sonne, mit der Gravitation. Der Komet bewegt sich so ähnlich wie auch der Mond um die Erde, und wir wissen ja, was der Mond schon, dieser kleine Winzling, …
Meyer: … mit unseren Meeren anstellt.
Herrmann: … genau, genau, wie stark der die Wassermassen anhebt, aber auch die Lufthülle übrigens beeinflusst und sogar die festen Schichten der Erde. Also da ist natürlich auch mit starken Gezeitenkräften zu rechnen. Aber noch katastrophaler, glaube ich, sind die enormen Temperaturen. Es werden wahrscheinlich so etwa 2000 Grad sein, plus 2000 Grad, die auf diesen Brocken einwirken. Die Gase werden also ganz sicherlich alle freigesetzt und reißen dann die silikatischen Bestandteile mit. Also es ist wirklich ganz, ganz problematisch, was der da jetzt erdulden muss.
Meyer: Das ist aber schade, weil wenn er es schaffen würde, um die Sonne herumzukommen, dann hätten wir doch gute Chancen auf einen richtig hell strahlenden Weihnachtsstern am Himmel, mit Schweif, mit allem drum und dran, oder?
"Ison hat einen langen Schweif"
Herrmann: Ja, natürlich. Also er hat ja jetzt schon einen prachtvollen Schweif, allerdings eben nicht in der Form, dass wir ihn mit dem bloßen Auge sehen können. Aber durch die vielen Apparaturen, die ja im interplanetaren Raum unterwegs sind, aber auch durch gewiefte Amateurastronomen, die doch mit einem ganz guten Equipment ausgestattet sind, haben wir sehr, sehr schöne Aufnahmen von dem Kometen bereits.
Also es ist ganz sicher: Er hat einen langen Schweif. Und sollte er es schaffen, diese Sonnenpassage zu überstehen, dann könnte es sein, dass wir eben gerade in den Weihnachtstagen eine sehr auffällige Erscheinung am Himmel haben. Es ist ja ein Objekt, das zwar jetzt in Sonnennähe ist, aber in Erdnähe eben erst zu Weihnachten kommt. Die Erdnähe ist dann nicht so groß wie jetzt die Sonnennähe, etwa 63 Millionen Kilometer steht er dann von der Erde entfernt, aber das könnte ausreichen, um ihn zu einem eindrucksvollen Himmelsschauspiel zu machen.
Meyer: Und ein Himmelsschauspiel, das natürlich gerade in dieser Zeit um Weihnachten herum für alle Christen oder Menschen aus der christlichen Kultur Erinnerungen weckt an eben den Stern von Bethlehem, der ja in biblischer Zeit da oben als Weihnachtsstern gestanden haben soll. Der wird immer mit einem Kometenschweif dargestellt oder fast immer, dieser Stern von Bethlehem. Was halten Sie von der Theorie, dass damals tatsächlich auch ein Komet am Himmel stand?
Herrmann: Ja, die Theorie ist wirklich sehr kritisch zu hinterfragen. Man weiß ja aus der Leben-Jesu-Forschung, wann die historische Figur des Jesus Christus etwa geboren ist. Man weiß es nicht ganz genau, aber man weiß es doch so ungefähr. Und alles deutet auf das Jahr 7 vor unserer Zeitrechnung hin. Aber wenn man davon ausgeht, dass es ungefähr um diese Zeit war, dann findet man in alten Chroniken keinen Hinweis auf einen Kometen.
Der zeitlich am nächsten liegende Komet, was diese Epoche anbelangt, ist der berühmte Halleysche Komet, der ja ein kurzperiodischer ist, der also alle 76 Jahre wiederkommt, und der war damals allerdings extrem hell, der war sogar am Tageshimmel zu sehen. Aber als Stern von Bethlehem kommt er nicht in Frage, weil die Zeit eben nicht zu dem passt, was ja auch in der Bibel berichtet wird. Wir haben ja auch den Bericht über diese Volkszählung, die Kaiser Augustus veranlasst hatte, und aus der kann man eben ziemlich genau schließen, wann die Geburt Jesu gewesen sein muss.
"Kometen galten als Unglücksbringer"
Es gibt auch noch ein zweites Argument, das muss ich auch noch kurz erwähnen: Kometen galten ja in der damaligen Zeit eher als Unglücksbringer. Das heißt, astrologisch wurden sie gedeutet als etwas, was nichts Gutes bringt. Und da ja nun die Geburt des Messias gerade was Positives darstellen sollte, passt also die Deutung als Komet auch nicht so richtig da hin.
Ich meine, die Darstellungen des Sternes von Bethlehem als Komet, zum Beispiel bei Giotto, das hat ja nichts mit Wissenschaft zu tun. Das ist ein Künstler gewesen, der hat nämlich den Halleyschen Kometen auch gesehen zu seinen Lebzeiten, der Giotto, es hat ihn so beeindruckt, dass er den eben als Stern von Bethlehem da über die Krippe gemalt hat.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir reden mit dem Physiker Dieter B. Herrmann über Weihnachtssterntheorien – also kein Komet, sagen Sie. Es gibt weitere Thesen, es gibt eine ganze Reihe davon, eine ist zum Beispiel: Dieser Stern, der damals ja am Himmel gestanden haben soll, sei eigentlich eine Planetenkonstellation gewesen. Wie kann jetzt aber eine Planetenkonstellation als Stern daherkommen?
Herrmann: Ja, völlig berechtigt, diese Frage. Die ganze Idee stammt übrigens von Johannes Kepler interessanterweise.
Meyer: Also ein großer Mann der Wissenschaftsgeschichte.
Herrmann: Ja, ein bedeutender Mann, natürlich. Und der hat das große Glück gehabt, 1604 eine Supernova am Himmel zu sehen. Und da kam er auf die Idee: Das muss doch so was sein wie eine Sterngeburt. Da war ein Stern mit einem Mal hell strahlend am Himmel, der vorher nicht dort gewesen war. Wie kommt so eine Sterngeburt zustande?
Eine Sternenkonstellation? Eine Supernova?
Und Kepler war ja auch ein sehr spekulativer Denker und hat dann festgestellt, dass gerade eine besondere Planetenkonstellation sich gebildet hatte, und meinte nun, das könnte die Ursache für die Entstehung eines neuen Sterns gewesen sein. Aus heutiger wissenschaftlicher Sicht ist das schlicht Unsinn, das kann man aber Kepler nicht vorwerfen, er wusste es damals eben einfach nicht. Er hat dann aber zurückgerechnet, wann solche Planetenkonstellationen in der Vergangenheit stattfanden, und kam dann auf eine dreimalige Begegnung von Jupiter und Saturn im Jahre 7 vor unserer Zeitrechnung.
Meyer: Das würde von der Zeit her passen.
Herrmann: Das würde sehr gut passen, innerhalb von drei Monaten. Und nun hat man daraus geschlossen, dass gegebenenfalls diese Planetenkonstellation doch mal auf ihre astrologische Deutung hinterfragt werden sollte. Und das hat man getan, und da stellt sich dann raus: Der Jupiter galt als Königsstern, der Saturn galt als der Stern Israels, und das Ganze fand statt in dem Tierkreissternbild Fische. Und die Fische, die werden als Geburtssymbol interpretiert, weil das zwei Fische sind, das sieht man auf jeder Sternkarte, die durch Nabelschnüre miteinander verbunden sind. Und dann bot sich natürlich die Deutung an, die Geburt – wegen der Fische – des Königs – wegen des Jupiter – der Juden – wegen des Saturn als Stern Israels.
Meyer: Und das auch noch im richtigen Jahr.
Herrmann: Das auch noch im richtigen Jahr, und deshalb hat sich diese Hypothese also weitgehend etabliert weltweit. Man nimmt heute an, dass die Engstellung von Jupiter und Saturn im Sternbild Fische im Jahre 7 vor der Zeitrechnung der Stern von Bethlehem gewesen ist. Ich allerdings muss sagen, mir gefällt das auch noch nicht so richtig.
Meyer: Was ist Ihre Deutung?
Herrmann: Ja, meine Deutung ist, dass es in der Tat einen solchen Stern als astronomisches Ereignis gar nicht gegeben hat, sondern dass Matthäus, was ja nicht unklug war, einen solchen Stern in die Geschichte hineingeschrieben hat – denn schon im Alten Testament heißt es ja, die Geburt des Messias würde durch ein Himmelsereignis angezeigt werden. Und man muss ja die historische Situation sich betrachten: Damals gab es sehr, sehr viele, die als Messias aufstanden und sagten, ich bin der neugeborene König, es waren Sekten, kleine Sekten, und das Ganze nährte sich natürlich auch aus der Hoffnung des Volkes von Palästina, die ja unter Fremdherrschaft litten, nämlich unter der Herrschaft des Römischen Reiches.
"Der Stern ist ein Symbol"
Und insofern musste, wenn jemand gegen diese anderen Sekten bestehen wollte, auch wirklich alles passen, und da musste der Stern in die Geschichte, und das hat er auch tatsächlich da reingeschrieben, während: Im Lukas-Evangelium, wo ja die Geburtsgeschichte von Jesus auch erzählt wird, kommt der Stern zum Beispiel nicht vor. Das lässt mich doch zu dem Schluss kommen: Es gab in Wirklichkeit gar keinen Stern, es ist ein Symbol. Und die logischste Erklärung erscheint mir: Da wurde ein Symbol geboren, literarisch verankert im Matthäus-Evangelium, und dieses Symbol, das spielt ja heute in der Weihnachtszeit bei uns eine sehr, sehr große Rolle, wie Sie selbst schon vorhin gesagt haben, und zwar nicht nur für Christen, sondern für alle Menschen.
Der Stern gilt ja als Stern des Friedens, als Stern der Hoffnung, den wir da in der Backstube als Keks backen oder irgendwo als leuchtendes Objekt auf den Bäumen anbringen. Also ich wäre eigentlich mit dieser Deutung sehr zufrieden und würde mich da nicht enttäuscht fühlen.
Meyer: Aber einen realen Stern von Bethlehem hat es wohl nicht gegeben, sagt uns der Physiker Dieter B. Herrmann. Wir haben über Weihnachtssterntheorien gesprochen. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
Herrmann: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.