Theologen im Porträt

Die Traditionen im Kopf

Ömer Özsoy vom Institut für Islamwissenschaft der Universität Frankfurt.
Ömer Özsoy, Professor für Koranexegese, vom Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. © Foto: Fredrik von Erichsen dpa/lhe
Von Ita Niehaus · 07.12.2013
Ömer Özsoy lehrt Koranexegese an der Frankfurter Goethe-Universität. Er sieht seine Aufgabe darin, an die alte Interpretationskultur der Heiligen Schrift des Islam zu erinnern.
"Exegese beschäftigt sich nicht nur mit Bedeutungsfragen. Sondern auch mit der Frage, was kann ich an historischen Angaben gewinnen. Stellen Sie sich mal vor, vor Ihnen liegt ein Text aus dem siebten Jahrhundert."
Ömer Özsoy steht vor einer großen Tafel in einem Hörsaal der Universität Frankfurt. In Anzug und Krawatte mit einem Stück Kreide in der Hand. Eine Gruppe von 15 Studentinnen und Studenten sitzt vor ihm. Gemeinsam versuchen sie, einen Vers aus dem Koran auszulegen.
"Was mich ein bisschen stutzig macht, hier steht, das würde euch die Freude nehmen. Was für ein Wissen kann einem denn die Freude nehmen?
"Dazu brauchen wir nur Phantasie, weil wir keine Informationen haben."
Der 49-jährige islamische Theologe, ein schlanker, zurückhaltender Mann mit schmalen Gesicht und gepflegtem Bart, ist ein anerkannter Koranexperte.
In der Türkei habe ich auch nicht anders gelehrt. Als Hochschullehrer ist natürlich die primärste Aufgabe, dass ich auf die Vielfalt, auf den Reichtum der Tradition als geistiges Erbe der Islamischen Theologie aufmerksam mache und die Studierenden in die Lage versetze, dass sie dieses geistige Erbe rezipieren können und sich irgendeine Position erarbeiten."
Nach der Vorlesung eilt Ömer Özsoy mit schnellen Schritten über den Campus. Vorbei an der Bibliothek zum "Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam."
"Vorher hatten wir drei Standorte, jetzt sind wir alle zusammen."
Über 400 Studierende, mehr als 30 Mitarbeiter plus studentische Hilfskräfte, das Frankfurter Institut
wächst schnell. Gemeinsam mit der Gießener Universität bildet es einen der vier von der Bundesregierung geförderten Standorte für Islamische Theologie. Bis vor kurzem war Ömer Özsoy der geschäftsführende Direktor. Genug Zeit, um zu forschen und zu schreiben, blieb ihm da kaum. Er hofft, dass sich das nun ändern wird. Vor sieben Jahren wechselte der Theologe von der Universität Ankara an die Universität Frankfurt, kein einfacher Schritt
"Dass ich in einer anderen Wissenschaftstradition verwurzelt bin und hier als Gastarbeiter sozusagen meine Arbeit leiste. Mit Freude natürlich, aber Sie müssen die Uni-Tradition hier sehr gut kennen, rechtliche Rahmenbedingungen und die eigene Art des Konfliktes und der Konfliktlösung. Das alles sind Sachen, die man nicht mitgebracht hat."
Aufgewachsen ist Ömer Özsoy in Kayseri, einer alten Handelsstadt in Kappadokien.
"In einer durchschnittlichen Familie in Kayseri ist das so, dass die Kinder zunächst auf ihre Begabung im Bereich Handel überprüft werden. Man gibt den Kindern Geld, und dann wartet man ab. Wenn man herauskriegt, dass aus dem Kind kein Händler wird, dann schickt man es in die Schule. Ich bin in die Schule geschickt worden."
Sein Vater war Techniker, die Mutter Hausfrau. Zur Großfamilie gehörten aber auch Imame, die ihn schon früh stark beindruckten.
Als Kind hatte ich den Eindruck, sie kennen Gott persönlich und aus dieser Bekanntschaft heraus liefern Informationen über alles Mögliche. Dann wollte ich immer so eine Nähe, so eine Bekanntschaft mit Gott haben. Und das hat mich motiviert, dass ich Theologie studieren wollte."
Die mühselige Suche nach qualifizierten Mitarbeitern
Was die Islamische Theologie angeht, ist Deutschland, so Ömer Özsoy, noch ein Entwicklungsland. Die größte Herausforderung zur Zeit auch in Frankfurt: qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Erst nach und nach fangen die vier Zentren an, ein eigenes Profil zu entwickeln.
Osnabrück hat angekündigt, wir machen hier Theologie der Mitte. Münster, nicht nur Herr Khorchide, Barmherzigkeits-Theologie. Bei Harun Behr lassen sich schon theologische Standpunkte ablesen, mit denen ich persönlich sehr viel anfangen kann: nämlich ergebnisoffene, kritische Forschung. Ich würde sagen, das, was wir in Frankfurt machen, als Ankaraner Theologie zu bezeichnen, dass das eine Reduzierung und Verkürzung wäre. Es gibt viele Kollegen, die noch nicht einmal in Ankara gewesen sind und vielleicht kein Wort sogenannter Ankaraner Schule rezipiert haben."
Ömer Özsoy stellt in Frage, ob überhaupt so etwas wie eine einheitliche sogenannte "Ankaraner Schule" existiert. Denn auch an der Universität Ankara gebe es ganz unterschiedliche Forschungsansätze.
"Weil diese historisch-kritischen Ansätze auffällig waren, wurden sie eher wahrgenommen und wurde diese sogenannte Schule auf diesen Ansatz reduziert."
Auch Ömer Özsoy teilt dieses kritische Islamverständnis. Vor allem jedoch sieht der Theologe seine Aufgabe an einer deutschen Universität darin, an die alte Interpretationskultur der ersten Gelehrtengenerationen der Muslime zu erinnern.
„Da hat sich meine Sensibilität in Deutschland geschärft. In dem Sinne, aufmerksam zu machen, was schon geleistet wurde als Tradition. Weil ich hier jeden Tag erleben muss, als islamischer Theologe und Koranexeget, dass ich aufgefordert werde, den Koran historisch zu lesen oder meine Tradition kritisch zu betrachten. Diese Aufforderung beruht auf Unwissen. Weil sie davon ausgeht, dass die Muslime zum Beispiel von historischer Reflexion beraubt sind. Und das nur von jüdisch-christlicher Theologie-Tradition oder Philosophie-Tradition zu übertragen hat."
Das Frankfurter Institut hat keinen muslimischen Beirat
Das Besondere am Frankfurter Institut: Es ist gelungen, Hochschule und Politik zu überzeugen, sich in Frankfurt zunächst auf den Aufbau der Islamischen Theologie zu konzentrieren. Dadurch soll erst einmal die Grundlage für eine erfolgreiche Religionspädagogik geschaffen werden. Und noch eine weitere Besonderheit des Frankfurter Instituts: Es gibt keinen Beirat mit Vertretern der muslimischen Verbände, der zum Beispiel bei Personalfragen und Lehrinhalten mit entscheidet.
Nämlich dass dadurch die Religionsfreiheit ergebnisoffener Forschung durch diese Kontrollinstanz dann beschränkt zu werden droht. Und auf der anderen Seite, aus islamisch-theologischer Sicht, sehen wir in einem Modell, wo eine kirchliche Instanz Vetorecht oder Mitspracherecht hat, auch das Risiko, dass die Logik und Semantik der Islamischen Religion verloren geht. Weil der Islam keine Kirche kennt."
Wie problematisch das "Beirats-Modell" sein kann, zeigen Ömer Özsoy auch Erfahrungen an anderen Instituten.
"Dass die Kommunikation zwischen den Zielgruppen, primär muslimische Community und Uni-Theo -logen, sich verschlechtert hat. Und das Vertrauen gebrochen wurde, weil dieses Modell beide Seiten dazu geführt hat, eigene Interessen zu vertreten. Ich weiß nicht, ob das klug ist, wenn ich einen Standort erwähne, aber das steht ja jeden Tag in der Presse. Also unsere Münsteraner Kollegen leiden darunter."

Bis sich die Islamische Theologie in Deutschland richtig etabliert hat, wird es wohl noch einige Jahrzehnte dauern. Ömer Özsoy setzt dabei vor allem auf die deutschen muslimischen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler.
"Sie bringen etwas, was hier eigentlich nicht verwurzelt ist. Also Integration geschieht genau dort. Weil das keine aufgedrängte Integration ist. Sondern man ist hier geboren, man lebt hier, man fühlt sich Deutsch. Aber irgendwie ist man auch Türke oder Araber. Das ist dann eine andere Realität, in die eine Generation hineingeworfen wird. Das finde ich einmalig. Daher, ich bin gespannt."
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