Theologe: Papst hat hohes Maß an "Rigidität"

Hermann Häring im Gespräch mit Gabi Wuttke · 22.09.2011
Der emeritierte Theologieprofessor Hermann Häring hält die innerkirchliche Situation bei den Katholiken für "katastrophal". Die Missbrauchsfälle hätten nur etwas offenkundig gemacht, was vorher schon da gewesen sei.
Gabi Wuttke: Vier Tage in Deutschland, heute beginnt der Besuch von Papst Benedikt XVI. "Im Namen des Herrn: Wohin der Papst die Kirche führt", so heißt das jüngste Buch, das Professor Hermann Häring geschrieben hat. Ihn begrüße ich jetzt im Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen.

Hermann Häring: Guten Morgen.

Wuttke: Ihre Kritik einer zu Stein gewordenen Theologie schrieben Sie 2001 über Joseph Ratzinger, also vier Jahre bevor er Papst wurde. Ist der Stein seitdem härter geworden, oder höhlt ihn zumindest der eine oder andere Tropfen?

Häring: Ich weiß nicht. Jedenfalls bleibt die Theologie nach wie vor steinhart. Joseph Ratzinger denkt sehr prinzipiell, und auch alle großen Entscheidungen, die er jetzt als Papst getroffen hat, in dem neuen Amt, wo man dachte, er könnte jetzt selber milder, offener, flexibler werden, ist er doch seinen alten Prinzipien treu geblieben. Man mag das Treue zu den alten Prinzipien nennen, es ist aber auch ein hohes Maß von Rigidität.

Wuttke: Rigidität in welchen Bereichen genau?

Häring: Wir haben innerkirchlich eine katastrophale Situation seit vergangenem Jahr. Die ganzen Missbrauchsfälle und die Vertuschungserfahrungen haben ja nur etwas offenkundig gemacht, was vorher schon da war.

Die Pfarreien brechen zusammen wegen des Zölibatsproblems, wir haben keine Priester mehr, und wir haben eben, wenn ich so von unten jetzt rede, das Gefühl, dass wir immer an die Wand reden. Ein zweiter Punkt, der damit zusammenhängt, das ist der desolate Zustand der Ökumene.

Da läuft unten viel, von unten her gesehen gar nicht desolat, und doch, dass man die Evangelische Kirche zum Beispiel anerkennen würde als Kirche, wird offiziell in aller Form blockiert. Schon als Glaubenspräfekt hat ja Ratzinger erklärt, die evangelischen Kirchen seien eigentlich gar keine Kirche. So kann man mit anderen Schwesterkirchen nicht umgehen.

Aber wir fürchten, dass sich jetzt auch in Erfurt, das gewiss schöne Bilder liefern wird, nichts ändert.

Wuttke: Passt in diesen Komplex, den Sie jetzt zum Schluss beschrieben haben, die Frage nach der Kluft zwischen dem, was der Papst unter allgemeiner Freiheit und dem Individuum versteht, dem er ja seine erste Enzyklika über die Liebe gewidmet hat?

Häring: Ja. Es ist eine auffallende Diskrepanz bei ihm zwischen seinem Regime und seinen Worten nach außen und die Verhältnisse, die er nach innen schafft. Es ist eine wirklich schöne Enzyklika, die er da geschrieben hat über die Liebe. Ich glaube auch, dass er das wirklich so meint. Aber er meint, seine Kirche sei eine Art Sonderstation, in der es jetzt rechtens sei, alle hohen Prinzipien, die er verkündet und die vielleicht auch gut sind, rigoros durchführen zu können, sodass gerade heute die katholische Kirche in Europa als eine Institution erscheint, in der es eben keine Freiheit gibt.

Wuttke: Ist denn für Sie in gewisser Weise die Wahl von Joseph Ratzinger als Nachfolger von Johannes Paul II. eine systemimmanente logische Entscheidung, oder war es eine Zuspitzung, oder hat das eine und das andere nichts miteinander zu tun?

Häring: Die Wahl hat schon mit dem System zu tun, denn man darf nicht vergessen, dass die Kardinäle allein durch den Papst ernannt werden. Man weiß auch, dass der Papst, also der jetzige, als Glaubenspräfekt damals 25 Jahre mitbestimmt hat, wer da zum Kardinal ernannt wurde.

Das heißt, es sind alles Leute, die sich innerlich diesem Regime verpflichtet fühlen. Es war auch eine Wahl der Angst. Das sind alles Leute, die Angst hatten – nicht alle, aber jedenfalls die Mehrheit -, die Angst davor hatten, dass eine Offenheit, dass ein Eingehen auf neue Fragen, auf neue Situationen den Glauben verunsichern würden, was ich eigentlich für Unsinn halte.

Wuttke: Ihrem Lehrer, Hans Küng, wirft man immer mal wieder vor, er habe alte Rechnungen mit Joseph Ratzinger zu begleichen. Was entgegnen Sie, Herr Professor Häring, den Kritikern, die sagen, auch Sie sind ein Teil einer gut funktionierenden Papstkritiker-Industrie?

Häring: Man kann nicht leugnen, dass man sich arrangieren oder dass man sich eben einrichten kann. Dennoch denke ich, dass Hans Küng, ausgerechnet Hans Küng ein falsches Beispiel dafür ist. Ich will mich nicht ausschließen: Mir ging es immer gut, ich habe mich immer sozusagen durchkämpfen können. Hans Küng hat damals immerhin seinen Lehrstuhl verloren. Es gibt kein Ereignis in seinem ganzen Leben, das ihn so tief getroffen hat, das ihn bis heute trifft. Er hat seinen Preis bezahlt und bezahlt ihn eigentlich noch heute.

Und gerade bei seinem letzten Buch merkt man, dass er noch einmal versucht hat, die Kritik so zu verschärfen, dass es auch nun wirklich jeder versteht.

Wuttke: Das heißt aber trotzdem: Die Frage ist noch nicht beantwortet, wie Sie sich dazu stellen, der Sie ja ganz offensichtlich nicht lebenslang so geprägt sind von dem, was Hans Küng mit Joseph Ratzinger ja auch persönlich damals erlebt hat.

Häring: Also ich reagiere jetzt von meinem Job als Theologe, ein Theologe, der, wie das bei mir war, über Jahrzehnte immer die Möglichkeit hat, offen zu sagen und nebenbei auch zu schreiben, was er schreibt. Ich habe eigentlich kein Geld verdient mit diesen Sachen, da kann man nicht reich werden. Aber ich habe immer das Gefühl gehabt, dass ich Studenten habe, dass ich die kritisch machen kann, dass ich die prägen kann, dass ich Bewusstsein bilden kann. Wir haben uns eigentlich nicht verdrehen lassen, auch nicht korrumpieren lassen. Nebenbei habe ich Verständnis für viele jüngere Kolleginnen und Kollegen, die mal vorsichtig sind. Aber wenn man 60 ist, dann kann man sagen, was man denkt.

Wuttke: In Deutschlandradio Kultur der Theologe Professor Hermann Häring. Das Gespräch haben wir aufgezeichnet.


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