Theodor Wiegand

Ein Netzwerker ohne Berührungsängste

Blick auf das Wiegand-Haus (erbaut 1911/12 vom Architekten Peter Behrens), Sitz der Zentrale des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), in Berlin-Dahlem, Podbielskiallee, aufgenommen am 27.11.2001.
Das Wiegand-Haus in Berlin, Sitz des Deutschen Archäologischen Instituts. Der Bau wurde von Theodor Wiegand in Auftrag gegeben. © picture alliance / dpa / Kalaene Jens
Von Christian Berndt · 30.10.2014
Der Archäologe Theodor Wiegand war ein wichtiger Kopf beim Bau des Berliner Pergamonmuseums. Geschickt knüpfte er Kontakte zu den Eliten: im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und auch in der NS-Diktatur. Vor 150 Jahren wurde er geboren.
"Ich finde es sehr toll, weil es so alt ist. Und es beeinflusst mich, weil sie haben es wieder gebaut, es war total zerstört. Es ist sehr schön. Wir können es sehen, wie es in alter Zeit war. – Es ist wunderbar, besser als Londons Sehenswürdigkeiten, something special."
Die Besucher stehen staunend vor dem Markttor von Milet. Es ist eine der größten Sehenswürdigkeiten des Berliner Pergamonmuseums - neben dem Pergamonaltar. Dass die antiken Bauwerke hier in dieser Form zu sehen sind, verdankt sich maßgeblich einem Archäologen: Theodor Wiegand. Zu Lebzeiten war er eine Koryphäe, auch wenn er ein wissenschaftlicher Spätzünder war. Am 30. Oktober 1864 in Bendorf am Rhein geboren, tat sich der sportbegeisterte Arztsohn schwer mit Schule wie Studium. Erst ein Studienaufenthalt in Athen weckte Wiegands Leidenschaft für die Altertumswissenschaft. Ein Studienfreund empfahl ihn als Assistenten an Carl Humann, der in der Türkei das antike Städtchen Priene ausgrub. Als Human erkrankte, wurde Wiegand Ausgrabungsleiter - und bewährte sich. Der Archäologe und Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hermann Parzinger:
"Er hatte schon einen umfassenden Ansatz, würde ich sagen. Er war nicht auf bestimmte Bauwerke fixiert, auf den Tempel oder die Agora, ihm ging es schon darum, das Funktionieren einer solchen Stadt zu verstehen. Das war auf jeden Fall ein sehr moderner Ansatz, dass er in Städten, in denen er grub, sich nicht nur auf die Monumentalarchitektur bezog, sondern auch Wohnviertel, etwa in Priene freilegte."
Was Wiegand darüber hinaus auszeichnete, war vor allem seine Begabung zur Netzwerkbildung.Beim Staatsbesuch Wilhelms II. in der Türkei konnte Wiegand den Kaiser für die Ausgrabungen begeistern – aus dem Treffen entwickelte sich eine jahrzehntelange Freundschaft. Und auch in der Türkei pflegte der kulturell aufgeschlossene Wiegand enge Kontakte. Der deutsche Botschafter schrieb über ihn:
"Er gehört zu jenen Persönlichkeiten, die im fremden Lande die eigenartigen Sitten und Einrichtungen als etwas Unabänderliches betrachten. Ich habe mich selbst davon überzeugt, dass die Leute in Priene wie in Milet mit Worten der größten Verehrung von Dr. Wiegand reden."
Die Nazis schätzten ihn und wollten sein Renommée nutzen
1912 wurde Wiegand zum Direktor der Berliner Antikensammlung ernannt und war nun beteiligt an den Planungen zum Bau des neuen Pergamonmuseums. Das Vorhaben wurde zunächst unterbrochen durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. In den krisenhaften Nachkriegsjahren schien die Zukunft des Pergamonmuseums fraglich, aber Wiegand konnte dank seiner Verbindungen nicht nur die Antikensammlungen erweitern, sondern wurde auch zur treibenden Kraft für den Weiterbau des Museums. Und er konnte seine Vorschläge durchsetzen, dort Baudenkmäler wie den Pergamonaltar oder das von ihm selbst entdeckte Markttor von Milet in ihrer Gesamtheit auszustellen. Kritiker warfen ihm Monumentalismus vor, aber als das Pergamonmuseum 1930 eröffnet wurde, sprach die Presse von einer Weltsensation:
"Es war das Ziel, dass man im Grunde Architektur so ausstellt, dass man die Wirkung verspürt als Besucher. Also, die Glasdächer – Tageslicht soll eintreten – und dann einen gewissen Raum vor den Denkmälern, fast so, als würde man sich im Freien diesen Denkmälern annähern. Das war natürlich damals schon revolutionär, sehr innovativ, und insofern ist das Pergamonmuseum, kann man schon sagen, wohl das erste Architekturmuseum der Antike."
1932 wurde der fast 70-jährige Wiegand zum Präsidenten des Deutschen Archäologischen Instituts gewählt. Denn die Altertumsforscher sahen sich zunehmend Angriffen völkisch-nationalistischer Kreise ausgesetzt, die eine stärkere Hinwendung zur Germanenforschung forderten:
"Und da hat man, sicher nicht zu Unrecht, sich überlegt, bei der Wahl Theodor Wiegands zum Präsidenten des Archäologischen Instituts, eine Persönlichkeit zu haben, die so gut vernetzt ist, dass das Institut von diesen Anfeindungen und von diesen Gefährdungen befreit ist und eine halbwegs gedeihliche Weiterentwicklung gewährleistet."
Tatsächlich konnte Wiegand nach 1933 die Position des Instituts halten. Aber vor allem deshalb, weil die Nazis das Renommée der international gerühmten Institution für sich nutzen wollten. Und der deutsch-national eingestellte Wiegand machte mit: In der ersten Sitzung nach Hitlers Machtergreifung drückte er sein Vertrauen in die neue Regierung aus, ein Jahr später war er Mitinitiator einer "Kundgebung deutscher Wissenschaftler" zugunsten Hitlers. Jüdische Mitarbeiter versuchte Wiegand zu halten, wenn sie ihm wissenschaftlich unabkömmlich schienen - wenn nicht, forcierte er mitunter die Entlassung. Zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 saß Theodor Wiegand auf der Ehrentribüne, im gleichen Jahr starb er international hoch geachtet.
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