Theo Croker: "Escape Velocity"

Jazztrompeter mit politischen Statements

Theo Croker
Der Trompeter Theo Croker © Foto: Bryant Norman
Von Johannes Kaiser · 18.07.2016
Eines Tages lud Dee Dee Bridgewater Theo Croker zu einem Auftritt ein. Die Jazzsängerin war so angetan von dem amerikanischen Trompeter, dass sie eine Platte zusammen produzierten. Das war Crokers Durchbruch. Jetzt ist seine vierte Platte "Escape Velocity" erschienen.
"Das neue Album 'Escape Velocity', das bin ich, denn ich durfte machen, was immer ich machen wollte, weil ich es finanziert und produziert habe. Ich saß da und notierte mir auf einem Stück Papier meine Gefühle und meine Ziele für das Album. Ich schrieb auf: Ich will ein Album machen, wie es noch nie jemand gehört hat, ein Album, das von allem, was ich mag, was mich beeinflusst hat, etwas enthält. Und ich will das nicht der Vorstellung, die die Leute von mir haben, opfern. Mir ist egal, ob man das für Jazz oder Rock oder Hiphop hält."

Bedient sich aus einem großen Archiv

Dem afroamerikanischen Trompeter Theo Croker fehlt es nicht an Selbstbewusstsein. Das zeigt der 30-jähriger Musiker schon allein durch sein Erscheinungsbild: hochgebündelte Dreadlocks, die wie ein wilder Strauch vom Kopf abstehen, ein schmaler Oberlippen- und ein spitzer Kinnbart, zahlreiche Armbänder und Ringe, extravagante Kleidung. Dem Mann macht es offenkundig Spaß, sich zu verkleiden und das passt gut zu seiner Musik, die sich auch verkleidet, in immer neue Gewänder hüllt, neues Terrain erkundet. So reichte es ihm schon mit elf Jahren nicht aus, nur Songs nachzuspielen. Er erfand neue Wendungen, schrieb selbst kleine Melodien. Und dabei ist es bis heute geblieben. Er besitzt inzwischen ein großes Archiv, aus dem er sich bedienen kann.
"'Because of You' ist ein Rocksong. Ich habe mir eine Menge Rockbands angehört, um mitzubekommen, wie sie einen Song aufbauen: sehr melodramatischer Anfang, in der Mitte ein Teil, der toll ist, und dann kommen sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Es gibt keine Soli in dem Song, einfach nur die Melodie. Ich besaß eine starke Melodie und habe sie in einen Rock Song gepackt. Bei vielen Stücken gab es bereits die Melodien. Sie ruhten in meinem Archiv. Ich habe sie herausgeholt und habe mich gefragt, wie ich diesen Songs einen zeitgemäßen Klang geben kann. Musik ist nicht zeitgebunden, nur die Komposition selbst. Die Aufnahme macht die Musik zu einem aktuellen Ereignis."
15 Stücke hat Theo Croker für sein neues Album komponiert, arrangiert und mit seiner Band im Studio eingespielt. Zu einzelnen Stücken hat er dann noch Gastmusiker eingeladen. Seine Arbeitsmethode war ungewöhnlich. Oft hatte er schon Teile des Stücks vorproduziert und ließ dann im Studio seine Band sowie die Gäste live zu diesen Aufnahmen und über sie drüber spielen. Aus dem Mix mischte er dann die Version für das Album. Er hatte sehr klare Vorstellungen davon, wie sein Album klingen sollte:
"Das Eröffnungsstatement ist der Ruf nach Action. Es ist wie der Anfang eines Films. Der Vorspann, die Eröffnungsszene verraten Ihnen, dass es um ein kosmisches, spirituelles Abenteuer gehen wird und das ist tatsächlich der Sinn des Albums: es ist eine Reise durch meine Spiritualität und, ja, die Leute werden gebeten, mitzumachen und mich auf dieser Reise zu begleiten. Im Prinzip erzählt dir der erste Song: Lehn dich zurück, entspann dich, öffne deinen Verstand, denn wir unternehmen jetzt diese Reise."

Keine Angst vor politischem Statement

Theo Croker entführt seine Hörer in viele musikalische Welten, spielt mit den Genres so, dass sie gleichzeitig fremd und vertraut klingen. Dieses verblüffende Klangergebnis ist eine beachtliche Leistung und hebt sein Album von vielen zeitgenössischen Jazzproduktionen ab. Croker scheut auch nicht vor einem politischen Statement zur aktuellen Situation der Afroamerikaner in den USA zurück, spielt mit dem Titel seines Stücks "We can’t breathe" unter anderem auf Fall des von Polizisten erstickten Eric Garner an.
"Der Song war nicht speziell für den Vorfall mit Eric Garner geschrieben. Es geht um all diese Ereignisse und all die Brutalität, die ich in Amerika miterlebt habe und das ist historisch nichts Neues. Es gibt nicht ganz plötzlich Rassismus und Unterdrückung. Das geht schon seit Jahren so. Der Song hat diese Art von Energie und Kraft und Zielrichtung. Er soll für etwas stehen. Die Leute sollen sagen: "Ich kann nicht atmen" oder "Schwarzes Leben zählt". Ich möchte, dass die Leute auch ohne Worte begreifen, worum es in dem Song geht. ´We can‘t breathe`: wenn einer von uns nicht atmen kann, dann können wir alle nicht atmen."
Croker versucht musikalisch mit jedem Stück, eine neue Stimmung, eine andere Klangfarbe zu präsentieren. Da werden zum Beispiel in "A call to the ancestors" die Vorfahren und ihre spirituellen Rituale beschworen. Außerdem verbeugt er sich mit dem einzigen nicht von ihm komponierten Song "Love from the sun" vor seiner musikalischen Förderin, der Sängerin Dee Dee Bridgewater. Er hat sie ihren alten Song noch einmal in völlig neuem Gewand aufnehmen lassen und dann über den Livemitschnitt eines Konzertes mit ihr gelegt. Theo Croker zeigt sich als sympathischer, hochintelligenter, durchaus amüsanter Trompeter, Komponist, Produzent und Bandleader.
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