Theatervisionen

Bühnenexperimente am Bauhaus

Von Carsten Probst · 27.03.2014
Bei Bauhaus denkt man eher an Architektur als an Theater. Doch die "Bauhäusler" um Walter Gropius wollten auch die Bühnenkunst revolutionieren. Das zeigt die aktuelle Ausstellung im Bauhaus Dessau, zu der auch ein umfangreicher Katalog erschienen ist.
Das bürgerliche Sprechtheater wollte das Bauhaus durch ein "Totales Theater" ersetzen, wie Walter Gropius es einst nannte. Der Theaterraum selbst sollte zum Hauptdarsteller werden, sollte sich durch komplexe mechanische Vorrichtungen permanent verwandeln können, um das Publikum herum rotieren, Lichtspiele sollten über die Wände huschen, die Zuschauer sollen die Orientierung verlieren und so zu einem Teil der Inszenierung werden, die nur von einem einzigen "allmächtigen" Koordinator durch das Drücken verschiedener Knöpfe gesteuert werden sollte.
Der von Thorsten Blume und Christian Hiller herausgegebene Band über die Bühnenexperimente des Bauhauses versammelt viele historische Aufnahmen und künstlerische Zeichnungen aus dem Bauhauskreis rund um diese Theater-Vision: seien es, um nur eine kleine Auswahl zu nennen, die Entwürfe für Figurinen von Oskar Schlemmer, das „Kinetische Konstruktive System“ von Laszló Moholy-Nagy oder die „Atmosphären-Apparate“ von Ludwig Hirschfeld-Mack. Dennoch, es ist es kein rein historischer Band daraus entstanden – vielmehr: ein Standardwerk, dem es gelingt, einen aktuellen Blick auf die Frage zu werfen, wie die Moderne eigentlich unser ästhetisches Verständnis von Räumen verändert hat.
Menschliche Körper werden zu Apparaten
Die Faszination, die von den Bühnenexperimenten des Bauhauses ausgeht, beruht dabei weniger auf den großen mechanischen Licht-Raum-Farb-Klang-Spektakeln selbst, die im Grunde ein zeitgenössisches Maschinentheater waren. Die wahre Faszination dieser Experimente zeigt nun dieser Band sehr eindrucksvoll: Bei den vielen abstrakten Modellen, die für die Bauhausbühne erprobt wurden, spielte der menschliche Körper weiterhin eine Hauptrolle und verbindet sich mit den mechanisch erzeugten Figuren. Menschliche Körper werden zu Apparaten und umgekehrt. Räume verwandeln sich in vieldimensionale, ständig in Bewegung befindliche autonome Welten aus Licht, Farbe und Geometrie.
Die Mechanik ist dabei eher ein Hilfsmittel. Die Ideen aber weisen weit über das Bauhaus hinaus bis in die Gegenwart, in der wir mit den virtuellen Animationen ganz andere technische Lösungen zu Verfügung haben – im Grunde aber noch immer diesen Ideen einer Verschmelzung von Körper und Raum verfolgen. Ein über den Bauhaus-Kreis bekanntes Beispiel sind die eindrucksvollen Fotografien, die Oskar Schlemmer 1927 von seinen „Formentänzen“ hat anfertigen lassen, bei denen als Figurinen gekleidete Tänzer mit abstrakten geometrischen Objekten auftreten und bald wie Mensch, bald wie Maschinenwesen erscheinen. Umgekehrt lichtete etwa Charlotte Rudolph die Tänzerin Gret Palucca gleichermaßen als Ausdruckstänzerin wie als abstrakte Körperform aus Schatten ab.
100 Jahre alt und hochaktuell
Dem Bauhaus ging es der Idee nach um eine Erweiterung des menschlichen Sensoriums und seiner Ausdrucksmittel – nicht um Mechanisierung, wie manche behaupten. Nichts Festes, Überzeitliches, Enthobenes soll das Kunstwerk mehr sein, wie es noch vom bürgerlichen Geniebegriff her gedacht war. Es geht um eine Kunst, die ständig in Bewegung ist, die sich verändert, die temporäre Situationen erzeugt. Gerade damit werden diese Bühnenexperimente fast hundert Jahre später aktuell und dieser – auch typografisch sehr schön gestaltete – Band aus dem kleinen, renommierten Verlag Spector Books höchst inspirierend nicht zuletzt für ein Verständnis der Performance- und Installationskunst der Gegenwart.

Thorsten Blume, Christian Hiller (Hg.): Mensch-Raum-Maschine -
Bühnenexperimente am Bauhaus
Spector Books, Leipzig 2014
264 Seiten, 36,00 Euro