Theaterstück von Fritz Eckenga

Endlich heulen in Selgentrup

Fritz Eckenga, aufgenommen 2012 beim Literaturfest in Salzburg
Fritz Eckenga ist einer der bekanntesten Kabarettisten des Ruhrgebiets und war Frontmann von "Rocktheater N8chtschicht". © imago stock&people / Manfred Siebinger
Von Christiane Enkeler · 06.12.2014
Eine "vorübergehende Komödie" nennt Fritz Eckenga sein erstes Theaterstück "Nicht ganz drei Tage". Darin sitzen zwei Frauen und zwei Männer in einer Pension fest. Einem geht es besonders schlecht. Bei seinen Mitstreitern findet er überraschend viel Trost.
Das ist natürlich ein Trick, wenn Kabarettist Fritz Eckenga seine Figur Dirk Hambacher einen peinlichen Witz nach dem anderen machen lässt: So muss sich der Autor in seinem ersten Theaterstück "Nicht ganz drei Tage" die Kalauer nicht verkneifen, kann aber den Possenreißer von allen anderen Figuren zur Ordnung bzw. zu Niveau rufen lassen.
Dieser Halbstarke ist Dirk Hambacher, Handelsvertreter für Nahrungsmittel. In der Pension von "Guddi" verkehrt er seit 20 Jahren, und die Serviettenknödel, die sie ihm serviert, hat er ihr vorher verkauft. Vor 20 Jahren dabei war auch schon Bernd Strohmeyer, ebenfalls Handelsvertreter, aber für Sicherheitstechnik. Dieses Jahr repariert er der Wirtin Gudrun die Heizung und das Fenster und ist mit den Gedanken aber eigentlich ganz woanders. An einem Ort, an den sein Freund und Feind Hambacher niemals gelangen wird: Strohmeyer hat eine Krise.
Die große Not des Sicherheitstechnikers
Er ist von Umstrukturierungsprozessen in seiner Firma betroffen. Somit kann er seine Tochter, die gerade eine 75-Quadratmeter-Wohnung in Frankreich als Studentenbude angemietet hat, eigentlich gar nicht unterstützen. Strohmeyer ist einerseits mächtig stolz auf die hoch intelligente Lotte, die nun bald auf eine Uni geht, deren Namen er nicht mal aussprechen kann. Andererseits hadert er mit der Ahnung, dass bei solcherart gesteigerter Intelligenz er, Strohmeyer, unmöglich der Vater sein kann.
Das klingt, so verkürzt, sehr lustig. Das ist es nicht. Strohmeyer hat höchste Not, und er kann sie nicht zeigen. Er kann sich ausheulen. Aber nicht damit umgehen.
Guddis "Pension Börning" liegt im Münsterland in Selgentrup. Das findet nicht mal Google. Zu Guddi, Hambacher und Strohmeyer kommt Dr. Julia Faßbender. Sie hat sich gerade von der Autobahn in die Pension retten können, da bricht draußen das Schneechaos endgültig aus. Der launige Lokalsender verkündet, dass die Einwohner nur im Notfall das Haus verlassen sollten. Die vier müssen in der Pension miteinander klar kommen.
Liebevolle Mitstreiter
Die beiden Handelsvertreter Hambacher und Strohmeyer sind bereits Saufkumpanen in Fritz Eckengas Kabarettprogrammen, und auch hier trinken die beiden sehr, sehr viel. Hambacher schwingt sich in Höhen auf, Strohmeyer sinkt in tiefste Tiefen, die die Herren intellektuell gar nicht erfassen können – emotional aber schöpfen sie beides voll aus.
Vesna Buljevic hat unter der Regie von Ralf Ebeling als "Guddi" auf der Studiobühne des Landestheaters Castrop-Rauxel dazu eine Haltung gefunden, die dem auch melancholischen Grundton von Eckengas "vorübergehender Komödie" – so der Untertitel – entspricht: Sie ist liebevoll. Auch die junge, dynamische Unternehmensberaterin aus Wiesbaden, Julia Faßbender, ist keine böse Figur. Ihre Firma hat die Umstrukturierungen zu verantworten, unter denen Strohmeyer leidet. Sie gibt sich kühl und abweisend, kann aber durchaus zuhören. Und ihrer eigenen Probleme ist sie sich auch bewusst.
Bernd Strohmeyer bekommt von den drei anderen mehr Hilfe, als er begreifen und tragen kann. So endet alles – wie es sich für ein Stück gehört, das kurz vor Weihnachten spielt – so friedlich, dass man es auch kurz vor Weihnachten auf die Bühne bringen kann. Die letzte Szene ist hintergründige Besinnlichkeit voller Witz im alten Sinne und sehr, sehr offen interpretierbar im Hinblick auf diverse Vaterschaften (wird hier nicht verraten).
Keine einfach zu spielende Komödie
Es ist ein wunderschönes Stück, das Eckenga hier geschrieben hat, wobei manche Repliken oder Satzenden etwas in der Luft hängen – aber Eckenga ist ja auch nicht Yasmina Reza (Autorin von "Der Gott des Gemetzels"). Das Uraufführungsensemble hat bei der Premiere noch hier und da ein bisschen "gesetzt" aufgetragen und noch nicht ganz den runden Rhythmus gefunden. Aber das wird sich einschleifen. Der ein oder anderen Text bietet auch in sich noch etwas mehr Raum für differenziertere Gestaltung.
Der Kabarettist hat den Darstellern für jede stumme Szene, für alle möglichen Reaktionen Subtext ins Skript geschrieben, einen Satz oder eine innere Haltung.
Aber die Komödie ist sicher nicht so einfach zu spielen, wie es auf den ersten Blick aussieht. Wenn Fritz Eckenga sich entschlösse, das Stück später auch für andere Bühnen freizugeben, wäre es mit seinen Schlagabtauschen, Stimmungswechseln und Figuren sicher für viele Teams eine schöne Herausforderung.
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