Theaterstück über Günter Wallraff

Platter Versuch, einen Mythos zu demaskieren

Der Schauspieler Günther Harder bei Proben zum Theaterstück "Wir sind Günter Wallraff" in der Cumberlandschen Galerie des Schauspielhaus Hannover in Hannover
Szene aus dem Stück "Wir sind Günter Wallraff" am Schauspiel Hannover © picture alliance / dpa / Susann Prautsch
Von Alexander Kohlmann · 17.05.2015
Mit "Wir sind Günter Wallraff" bringt das Schauspiel Hannover einen Abend über einen Klassiker des investigativen Journalismus auf die Bühne. Doch dem Team um Regisseur Alexander Eisenach geht es nicht um ein Biopic, sondern um die Entzauberung einer Ikone.
Günter Wallraff gilt als die Ikone des investigativen Journalismus. Immer wieder hat er in der Bundesrepublik in wechselnden Verkleidungen Missstände aufgedeckt. Mal heuerte Wallraff als Hans Esser im Hannoveraner Büro der "Bild"-Zeitung an, mal erfuhr er eine weit verbreitete Ausländerfeindlichkeit im Kostüm des Türken Ali. Für Wallraff gehörten das Sich-Verkleiden und das Spielen von Rollen zum Kern der investigativen Arbeit.
Am Schauspiel Hannover ist jetzt ein Abend zur Uraufführung gekommen, der sich "Wir sind Günter Wallraff" nennt - und den Mythos Wallraff ins Zentrum einer Performance stellt. Doch es geht dem Regisseur Alexander Eisenach nicht darum, sich wie in einem Biopic der Lebensgeschichte des Mannes zu nähern. Im Gegenteil: Ziel des Abends ist es ganz offensichtlich, in einer extrem suggestiven Inszenierung den Mythos zu demaskieren.
Die Misstände, die Wallraff aufdeckte, seien keine Auswüchse, sondern systemimmanent. Wallraff selber trage nicht zu einer Aufdeckung, sondern zu einer Stärkung der kapitalistischen Weltordnung bei, indem er seine Rolle als Aufklärer spiele - und sich selbst als unverwechselbares Produkt zur Ware mache. Soweit, so schlicht ist die Grundthese der rund zweistündigen Aufführung.
Bereits ganz zu Beginn krabbelt Beatrice Frey mit Grubenlampe durch die verschachtelte Barrikaden-Burg, die für den Zuschauer kaum einsehbar ist. Was drinnen passiert wird im besten Castorf-Epigonentum von einem Kamerateam auf die Außenwände übertragen. Da sehen wir dann verwackelte Bilder von Wolf List als "Bild"-Chefredakteur mit Cowboyhut, denn natürlich ist die Zeitung nichts anderes als ein Auswuchs des Kapitalismus US-Amerikanischer Prägung.
Wie ein langer Diskussionsabend in der linken Studenten-WG
Und natürlich will Günther Harder als Wallraff nichts anderes, als Teil dieses Wirtschaftswunders werden. Ihm geht es mehr darum, den richtigen Schauspieldreh für seine Figuren zu finden, denn wirklich etwas zu verändern.
Zum Schluss wird dann parabelhaft ein alter Ibsen-Text bemüht, in dem sich die fünf Schauspieler wie Wallraff in die unterschiedlichen Rollen "eingeschlichen" haben. Zu sehen ist ein Konsul, der seine Segelschiffe auf die Fahrt nach New York schickt - und aus Profit-Gründen die hohe Unfallgefahr der Seelenverkäufer ignoriert. Obwohl alle Schauspieler vom Arbeiter bis zum Besitzer verschiedene Rollen übernehmen, können sie dadurch das alte Prinzip nicht verändern.
Alles eins, ob "Bild" oder Ausbeuter des vorletzten Jahrhunderts. Da helfe nur der Umsturz des kapitalistischen Herrschaftssystems. Mit derlei platter Revolutionsromantik verweigert das Regie-Team die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit - und wird der historischen Figur Wallraff nicht gerecht.
Indem die Autoren von den Missständen bei "Bild" bis zur Ausbeutung der Arbeiter im 19. Jahrhundert alles über einem Kamm scheren, bagatellisieren sie in Wahrheit die Auswüchse, denen Wallraff mit Schauspiel begegnete. Es ist gerade diese Form der Verweigerung jeglicher Differenzierung, die wesentlich restaurativer daherkommt, als die angeprangerte Mitarbeit Wallraff innerhalb der marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung.
So gerät der Abend wie eine langer Diskussionsabend in der linken Studenten-WG - mit Marx-Zitaten und billigem Rotwein. Man geht durchaus beschwingt nach Hause, aber der intellektuelle Ertrag bleibt gering.
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