Theaterstück "Draußen rollt die Welt vorbei"

Ernstes Thema, skurriler Ansatz

Die Regisseurin Mina Salehpour vor dem Ballhof-Theater in Hannover.
Mina Salehpour hat bei der Uraufführung von "Draußen rollt die Welt vorbei" in Bonn Regie geführt. © Holger Hollemann, dpa/ picture alliance
Von Ulrike Gondorf  · 14.04.2016
Ein Mann liegt zwei Jahre lang tot in seiner Wohnung und niemand vermisst ihn. Dieser Fall hat sich tatsächlich zugetragen und ist Vorlage für Lukas Linders Theaterstück "Draußen rollt die Welt vorbei". Das Werk hatte nun am Schauspiel Bonn seine Uraufführung.
Da sitzen sie alle in ihren Einzelzellen, verbringen Tage und Nächte vor dem Fernseher, essen Pizza aus dem Pappkarton und "draußen rollt die Welt vorbei".
Aber plötzlich geschehen seltsame Dinge. Der Pizzakarton von Nelly beginnt zu reden und behauptet, ihr Zwillingsbruder Franz zu sein. Nelly wischt das weg, aber am nächsten Tag steht sie doch in dem Haus, in dem ihr Bruder wohnt.
Und dort geht auch nicht alles mit rechten Dingen zu: die Bewohner sind abweisend zu ihr, pedantisch und unfreundlich miteinander. Und doch eint sie ein Geheimnis. Franz ist tot, sitzt immer noch in seiner Wohnung vor dem Fernseher. Man besorgt Duftbäumchen gegen den Geruch und bestellt den Kammerjäger wegen der Käfer, die plötzlich das ganze Haus erobern. Aber der tote Franz, den im Leben niemand kannte, ist jetzt für alle der beste Freund geworden. Die exzentrische Schriftstellerin, ihre freudlose Tochter, der tyrannische Hausmeister, der einsame Clown in Rente: jeder hütet eifersüchtig sein angeblich trautes Zusammenleben mit Franz vor den anderen.

Pointenreiches Stück über Tod und Einsamkeit

Lukas Linder hat sein Thema in einem der tatsächlichen Fälle gefunden, von denen man von Zeit zu Zeit hört und die ein starkes Anzeichen für die Selbstbezogenheit und Kommunikationsunfähigkeit unserer Gesellschaft sind: Ein Mann lag über zwei Jahre tot in seiner Wohnung, ohne dass ihn irgendjemand vermisst hätte. Tod und Einsamkeit sind das Thema des Stücks. Die Mittel, die Lukas Linder wählt, laufen dem Erwartbaren zuwider. Der Dialog ist schnell und pointiert, die Situationen sind farcenhaft, die Figuren skurril und überzeichnet. Dennoch wagt Linder hin und wieder leise Momente, in denen er mit einfühlsamer Fantasie bewegende, kleine Zeichen findet für die Träume dieser verlorenen Gestalten. Bernd Braun als alter Clown hat da das reichste Material und nutzt es.
Lukas Linder hat im vergangenen Jahr den Kleist-Preis gewonnen und hat sich in mehreren Wettbewerben und Schreibwerkstätten profiliert. Er weiß, wie man das Stück auf Touren hält, obwohl die Geschichte doch wenige Überraschungen bietet. Was dem Autor nicht recht gelingt, ist ein Bogen, der das Ganze zu einem überzeugenden Ende bringt. Irgendwann kullert ein Sack voller Knochen über die Bühne, aber das ist doch kein zwingender Haltepunkt für diesen Reigen der Trostlosigkeiten.

Zum großen Wurf fehlt die zwingende Form

Die Inszenierung von Mina Salehpour lässt die Farce nicht in den Klamauk abrutschen und lauscht dem Stück auch immer wieder berührende, authentische Töne ab. Das Ensemble agiert reaktionsschnell und punktgenau. "Draußen rollt die Welt vorbei" ist ein witziger, kurzweiliger Abend, der hin und wieder auch in Abgründe blicken lässt. Zum großen Wurf fehlt ihm die zwingende Form.
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