Theaterskandal

Karikatur einer geheuchelten Frömmigkeit

Undatierte Radierung von Ludwig XIV., dem König von Frankreich (1643 bis 1715).
Der Sonnenkönig von Frankreich Ludwig XIV. war der Gönner von Molière, allerdings darin nicht zuverlässig. © picture-alliance / dpa
Von Eberhard Spreng · 12.05.2014
Mit dem Bühnenstück "Tartuffe" versuchte der französische Komödiendichter Molière, auf ein Unwesen seiner Zeit aufmerksam zu machen: Ein Frömmler erschleicht sich das Vertrauen eines bürgerlichen Familienvaters und bringt ihn um seinen Besitz. Nach der Premiere vor 350 Jahren untersagte König Ludwig XIV. zunächst jede weitere Aufführung.
"Man sprach an jenem Tag viel davon, das Verbot der boshaften Komödie des Tartuffe zu erwirken. Ein jeder nahm sich vor, mit Freunden darüber zu sprechen, die bei Hofe Ansehen genießen, um die Aufführung zu verhindern."
Gut drei Wochen vor der Uraufführung der ersten Version von Molières Tartuffe bei einem großen Versailler Hoffest am 12. Mai 1664 hatten Anhänger der katholischen Gesellschaft "La Compagnie du Saint Sacrement" von dem Stück erfahren. In vorausgegangenen Skandalen um Molières "Die lächerlichen Preziösen" und vor allem "Die Schule der Frauen" hatten sie bereits gesellschaftspolitische und ideologische Kämpfe mit dem Komödiendichter ausgefochten. Nun aber nahm sich dieser Libertin und Freidenker sogar einen religiösen Menschen vor und diffamierte ihn als Heuchler und Betrüger. Die einflussreiche Partei der devoten Katholiken hatte mit ihrer Lobbypolitik Erfolg. Womöglich unterstützt von der Königinmutter Anna von Österreich, untersagt Ludwig XIV. wie die regierungsnahe "Gazette de France" am 17. Mai 1664 meldet, nach der einzigen Aufführung des Stücks bei Hofe jede weitere öffentliche Aufführung.
"Der große Monarch ist bedacht, jede Saat zu unterdrücken, aus der die Spaltung der Kirche folgen könnte. Er tat dies gerade erst wieder, indem er ein Theaterstück mit dem Titel 'Der Heuchler' verbot, das seine Majestät, gänzlich als die Religion diffamierend einschätzte und als geeignet, sehr gefährliche Folgen heraufzubeschwören."
Interessanterweise offenbarte der erste Teil des Artikels in der 59. Ausgabe der Wochenzeitung auch einen Hinweis auf die Hintergründe für die Entscheidung des Königs. Denn da ist von Maßnahmen gegen die jansenistische Bewegung zu lesen. Diese war mit ihrer religiösen Erneuerungslehre geeignet, das absolutistische Gottesgnadentum des Königs und damit die gerade erst errungene zentrale europäische Herrschaftsposition zu unterminieren. Molières Tartuffe fiel also in die heiße Phase einer innerkatholischen Auseinandersetzung zwischen Jesuiten und Jansenisten, die gewaltige politische Auswirkungen haben könnte. Wahrscheinlich war Molière diese Tragweite nicht ganz bewusst, als er in drei Akten schilderte, wie sich ein Frömmler das Vertrauen eines bürgerlichen Familienoberhauptes erschleicht und ihn, unter dem Vorwand für dessen Seelenheil zu sorgen, um Haus und Besitz bringt.
"Wer mich gut kennt, kann nicht auf den Gedanken kommen,
Ich hätt die Schenkung nur aus Habsucht angenommen.
Die Sorge war es, dass das viele Geld
Am Ende noch in falsche Hände fällt."
Sohn verbannt, die Familie ruiniert
Außerdem bringt Tartuffe, wie hier in der Inszenierung von Michael Thalheimer an der Berliner Schaubühne, Orgon dazu, ihm seine Tochter zur Frau zu geben, und besitzt die Frechheit, gleichzeitig dessen Frau zu bedrängen. Nach drei Akten, ungewöhnlich genug für Molière, ist sein Ziel erreicht, der Sohn verbannt, die Familie ruiniert. Tartuffe, eine Komödie? Zudem ist der Bösewicht mit seiner Tonsur, Sutane und kleinem Kragen eindeutig, wenn nicht als Priester, so doch als einer der zahllosen devoten Frömmler der damaligen Zeit gekennzeichnet. Vergeblich versucht Molière, den König in einer ersten Bittschrift zur Genehmigung der Aufführung zu bewegen.
"Da es die Aufgabe der Komödie ist, die Menschen auf unterhaltsame Weise zu bessern, glaube ich nichts besseres tun zu können, als durch lächerliche Darstellung die Laster meines Jahrhunderts anzugreifen."
Ludwigs Lebenswandel entsprach mit seinen außerehelichen Liebschaften dem eines den Geistlichen verhassten Libertin, aber seine Staatsraison zwang ihn dazu, sich mit den Katholiken zu arrangieren. Molières mächtigster Gegenspieler ist der Pariser Erzbischof Hardouin de Péréfixe, der einstige Hauslehrer des Königs. In Zeiten der Gegenreformation, von Gesinnungsschnüffelei und Denunziationen geht es ihm darum, die Machtposition des Klerus im Reich des Sonnenkönigs zu befestigen. Die ideologische Richtlinienkompetenz will er nicht einem Theatermann überlassen. Auch Molières entschärfte, zweite Version wird nicht genehmigt. Erfolglos kehren die Schauspieler mit einer zweiten Bittschrift aus dem Norden zurück, wo Ludwig XIV. in seinem Krieg gegen die spanischen Niederlande die Belagerung von Lille befehligt. Erst nach dessen Rückkehr konnte eine dritte, auf fünf Akte erweiterte Version aufgeführt werden. Dem König wurde hier eine die Verwicklungen glücklich auflösende Rolle zugewiesen. Wie ein Deus ex Machina wandelt er das Drama ins Happy End und lässt den frömmelnden Heuchler verhaften. Damit hatte Molière seinem Herrscher eine goldene Brücke gebaut. Ab 1669 spielte das Théâtre du Palais Royal "Le Tartuffe ou l'Imposteur" mit gewaltigem Erfolg.
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