Theaterskandal in der Alpenrepublik

Von Cornelia Rühle · 04.11.2008
Claus Peymann hat in den 13 Jahren als Direktor des traditionsreichen Wiener Burgtheaters so manchen Skandal entfacht. Doch nie tobte ein solch erbitterter Kampf wie vor der Uraufführung von Thomas Bernhards Drama "Heldenplatz". Eine ganze Nation fühlte sich verunglimpft, als die Presse einige Zitate des Stücks vorab veröffentlichte: Die Österreicher - ein Volk von sechseinhalb Millionen Debilen? Die Alpenrepublik stand Kopf. Vor 20 Jahren wurde "Heldenplatz" uraufgeführt.
"Die ganze Jahrzehnte war eine Ruhe nach dem Krieg, das ist alles nur aufgeschaukelt, es soll doch mal ein Frieden sei, doch nicht immer eine Wühlerei."

"Beleidigungen, das ist keine Kunst. Da kann ich ein Künstler werden, das ist Arschlecken, bin ich ein Künstler."

"Vor dem Burgtheater versammeln sich die Demonstranten. Flugblätter werden verteilt und Transparente geschwungen. Im Kassenfoyer herrscht dichtes Gedränge und noch größeres Gerangel um Karten. Heute will jeder dabei sein. Vor der Burg wird ein Misthaufen abgeladen ."

Chefdramaturg Hermann Beil hat an der Seite des skandalumwitterten Theatermanns Claus Peymann schon so manchen Kampf bestanden. Doch an jenem 4. November 1988 herrscht regelrechter Aufruhr: Thomas Bernhards Drama "Heldenplatz" soll unter Peymanns Regie am Wiener Burgtheater uraufgeführt werden. Den Text hielten Autor und Ensemble strengstens unter Verschluss. Doch die Presse veröffentlichte einige markante Zitate bereits vorab und beschwor einen erbitterten Meinungsstreit herauf.

Das Boulevard- Blatt "Neue Kronen Zeitung" erregte sich heftig über die Verschwendung von Steuergeldern, der gerade wegen seiner ungeklärten Kriegsvergangenheit ins Visier geratene Bundespräsident Kurt Waldheim hielt das Stück "für eine grobe Beleidigung des österreichischen Volkes" und Rechtspopulist Jörg Haider wollte Burgdirektor Peymann sofort verjagen.

"Hinaus mit diesem Schuft aus Wien. Die Burg wird zu einem Narrenturm und einer Spielwiese für Egozentriker."

Man schrie nach Zensur, Boykott-Aufrufe wurden lanciert, Peymann und Bernhard mit Schmäh- und Drohbriefen nur so überhäuft. Hermann Beil:

"Da man ja in Wien gerne Blut sieht, metaphorisch gesprochen natürlich, ist es ja ein beliebtes Spiel, die Burgtheaterdirektion zu schlachten. Die Tatsache, dass die Aufführung durchgesetzt wurde und nicht verhindert, nicht verboten wurde, die ÖVP hat es verhindern wollen, die FPÖ hat es verhindern wollen, also der Kampf um Heldenplatz war natürlich eine Art prinzipielle Auseinandersetzung."

Das Stück - geschrieben zur Hundertjahrfeier des Burgtheaterdomizils am Ring - ist eine scharfe Abrechnung mit den zutiefst reaktionären Tendenzen der österreichischen Gesellschaft und ein bitterböser Kommentar zum 50. Jahrestag des sogenannten "Anschlusses" an das Deutsche Reich.

"Die Kirche und die Industrie sind schon immer
am österreichischen Unglück Schuld gewesen
die Parteien hängen ja vollkommen
von Industrie und Kirche ab
das ist immer so gewesen
und in Österreich ist immer alles am schlimmsten gewesen
dem Stumpfsinn sind immer alle nachgelaufen
der Geist ist immer mit Füßen getreten worden
Die Industrie und der Klerus sind die Drahtzieher
des österreichischen Übels."

Schauplatz der Handlung ist eine Wohnung in der Nähe des Heldenplatzes - jenem Ort bei der Hofburg, an dem Hitler im März 1938 Österreich unter Jubelrufen "Heim ins Reich" holte. Der jüdische Intellektuelle Professor Schuster hat sich - genau 50 Jahre später - aus dem Fenster in den Tod gestürzt. Die Hinterbliebenen versammeln sich nun zum Begräbnis und lassen sein Leben Revue passieren: Von den Nazis verjagt, ist er nach Oxford emigriert und später nach Wien zurückgekehrt. Doch das gegenwärtige Österreich erschien ihm unerträglich. Seine Frau glaubt noch immer, das Geschrei der Massen vom Heldenplatz zu hören und sein Bruder, gespielt von Wolfgang Gasser, klagt den sich ungeniert manifestierenden Antisemitismus an:

"In Österreich Jude zu sein bedeutet immer
zum Tode verurteilt zu sein
die Leute mögen schreiben und reden was sie wollen
der Judenhass ist die reinste, absolut unverfälschte Natur
des Österreichers"

"Der große Krawall, den es vor dem Stück gegeben hat, der hat ja auf das Herrlichste bewiesen, dass selbst die gewaltigsten Überspitzungen, Übertreibungen und groteskesten Übertreibungen des Stückes, dass die wohl doch einen gewaltigen Kern von Wahrheit haben. Ich glaube, dass diese Figuren, die Thomas Bernhard beschreibt in ihrer subjektiven Situation zutiefst wahr sind."

Am Ende hat Burgdirektor Claus Peymann mit seiner Inszenierung einen beispiellosen Erfolg verbuchen können. Eine dreiviertel Stunde währt der Applaus und begräbt das gegnerische Pfeifkonzert bald unter sich. Thomas Bernhard zeigt sich - bereits todkrank - ein letztes Mal auf der Bühne. Einhundertzwanzig Mal wird sein Stück noch gespielt werden. Der größte Theaterskandal in der Geschichte der Zweiten Republik - eine "Weltkomödie", in der Österreich sich selbst inszenierte. Im besten Bernhard'schen Sinn.