Theaterpreis

"Nur wenn es um alles geht, fängt es an zu scheinen"

Nackt und mit dem Rücken zum Publikum spielt der Schauspieler Steven Scharf in den Müchner Kammerspielen in München (Bayern) den "Judas"
Nackt und mit dem Rücken zum Publikum: Steven Scharf in München als "Judas" © Judith Buss, Münchener Kammerspiele
Von Christoph Leibold · 20.03.2014
Constanze Becker hat ihn, Ulrich Matthes und Sepp Bierbichler: Den mit 10.000 Euro dotierten Gertrud-Eysoldt-Ring. Dieses Jahr erhält Steven Scharf von den Münchner Kammerspielen den renommierten Theaterpreis.
"Es gab keine bildenden Künstler oder Schauspieler in meinem Umfeld oder in meiner Familie, das war sehr fremd."
Vom Osten in den Westen. Vom thüringischen Provinznest Vacha, wo er 1975 geboren wurde, in die bayerische Landehauptstadt. Von der Schauspielschule Rostock über immer größere Engagements an die Münchner Kammerspiele. Steven Scharf hat in seinem Leben schon ein paar Sprünge gemacht. Die Auszeichnung mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring ist ein vorläufiger Höhepunkt seiner Laufbahn. Jetzt soll er in einem Münchner Café bei einer Tasse Cappuccino über die anstehende Ehrung reden. Ganz wohl ist ihm dabei nicht.
"Ich versuch' das als Preis zu sehen für Sachen, die ich schon gemacht hab und nicht als Auftrag für Künftiges."
Von seiner jüngsten Arbeit erzählt Steven Scharf viel lieber, seine Augen funkeln dabei begeistert – was sie oft tun. Da brennt einer für seine Arbeit. Seit Anfang des Monats steht er in der Titelrolle von Ferenc Molnárs "Liliom" auf der Bühne, Regie führt Stephan Kimmig. Der Liliom ist ein Rummelplatzausrufer, auf den vor allem die weibliche Karussell-Kundschaft abfährt. Liliom bedient die Rolle des Hallodris, den alle in ihm sehen widerwillig - und Steven Scharf, selbst ein Kraftkerl und Zweimetermann, macht das in kleinen Gesten schön spürbar.
"Das ist ein Stück, wie ich sie liebe, wo es um alles geht. Nur wenn es um alles geht, um alle Sehnsüchte und die großen Fragen, warum man überhaupt auf der Welt ist, für was lohnt es sich, seine Freiheit aufzugeben, was bedeutet das überhaupt – und das über ein ganzes Leben gespannt, dann fängt so was an zu scheinen: dieser Kern, um den wir uns alle drehen."
Der Liliom: harte Schale, weicher Kern – das ist natürlich nah am Klischee. Aber Steven Scharf ist keiner, der sich voll drauf setzt auf solche Stereotypen.
"Ich bin nicht so ein Fan davon, dass man eine Rolle so anzieht und ein anderes Leben führt. Das glaube ich nicht. Die Rolle ist immer noch so etwas wie ein Instrument, aber man ist nicht dieses Instrument. Man führt auch nicht ein anderes Leben. Aber es ist auf alle Fälle so, dass im Dialog mit einer Rolle etwas drittes herauskommt, was mich stark beeinflusst."
Regisseur Stephan Kimmig schaut auf einen Sprung beim Interview vorbei. Er habe schon mit vielen Schauspielerinnen gearbeitet, die ihn inspiriert haben. Steven Scharf sei seine erste männliche Muse:
"Ich freu' mich, wenn ich nach München komme – und der erste Tag ist da, die erste Probe. Das ist als ob die ganze Welt 80 Mal umgedreht würde und plötzlich stillsteht. Alles ist möglich, die Wände verschwinden, das ist der Wahnsinn. Und danach gehen wir immer Tischtennisspielen. Da reden wir erst nach einer Stunde das erste Wort. Das ist auch toll. Ja, das ist ein Wunder."
Sieben Jahre in München
Wie beim Pingpong spielen sich Scharf und Kimmig offenbar auch auf der Probe die Bälle zu. Ein eingespieltes Team – es ist bereits die vierte gemeinsame Arbeit der beiden. Und das siebte Jahre für Scharf in München, so lange ist er noch an keinem anderen Theater geblieben. er fühlt sich wohl in München, sagt er, ist neugierig und offen – so wie im Gespräch, wo er auch Mal dem Interviewer Gegenfragen stellt. Fragt man wiederum ihn, wie viel Osten heute noch in ihm steckt, antwortet er prompt: "Immer mehr!" In fast jede Theaterarbeit würden das hineinspielen. Bestes Beispiel: der Judas. Jene Rolle also, für die Steven Scharf mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring ausgezeichnet wird.
Die Niederländische Dramatikerin Lot Vekemans zeigt Judas als enttäuschten Freiheitskämpfer, der sich von Jesus vergeblich den Sieg über die römischen Besatzer erhofft hat. Politische Desillusionierung – das ist ein Thema, mit dem Steven Scharf, der die DDR immerhin noch bis ins Teenageralter erlebt hat, viel anfangen kann:
"Ich bin mit diesem Land aufgewachsen, wo die Leute so komisch geredet haben und anders gesagt haben als sie dachten, aber eigentlich viele das auch genau so meinten, das es mal anfing als eine wirklich gute Idee, und dann schon fast lächerlich gescheitert ist, was diese Land für ein witzloses Konstrukt war zum Schluss. Das steckt für mich genauso drin"
"Judas" hat übrigens Johan Simons inszeniert, Intendant der Münchner Kammerspiele. Auch in dessen Eröffnungsinszenierung 2010 war Steven Scharf zu sehen, in der Hauptrolle, als Kriegsheimkehrer Gabriel Dan in einer Bühnenversion von Joseph Roths Roman "Hotel Savoy". Rein äußerlich ein fescher Kerl, aber mit der Seele eines Kindes, das verloren in der Welt steht. Nur einmal keimt Hoffnung in Gabriel Dan auf, als er nämlich die Varieté-Tänzerin Stasia kennenlernt. Die erste Begegnung dieser beiden Figuren – ein unvergesslicher Theatermoment, bekennt Johan Simons beim Besuch in seinem Intendantenbüro.
"Da öffnet sich für mich eine Welt der Verliebtheit, aber BATZ! ist das mit einem mal da. Das ganze Leben, ist auf einem Mal, eine split second da, wenn er dieses Mädel zum ersten Mal sieht. Und das hat er eigentlich auch jedes Mal gespielt."
Längst wird Scharf auch vom Münchner Publikum geliebt, das weiß, was es an ihm hat. Und Scharf wiederum weiß, was er an diesem Theater hat, wie er eine Interviewstunde, zwei Tassen Cappuccino und eine Kugel Eis später erklärt:
"Klar, dass das ein großes Geschenk ist, solche Rollen zu spielen, an denen man so arbeiten kann und auch noch dafür gesehen wird. Natürlich spiele ich lieber große als kleine Rollen. Und ich muss auch sagen, die Verantwortung und die Aufregung, so einen Abend zu tragen, das liegt mir, da fängt’s an, richtig Spaß zu machen."
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