Theaterpredigt in Mecklenburg-Vorpommern

Von der Kanzel auf die Bühne

Ein evangelischer Pfarrer steht im Talar und einem Buch in der Hand auf einer Theaterbühne. Auf der in blaues und grünes Licht getauchten Bühne sind vier Schauspieler in Kostümen vor einer Wand mit Bullaugen und Leitern zu sehen.
Eine Theaterpredigt im Staatstheater Mecklenburg © Staatstheater Mecklenburg
Von Silke Hasselmann · 20.12.2015
In Schwerin lädt das Mecklenburgische Staatstheater immer wieder evangelische und katholische Theologen auf seine Bühne - und lässt sie Stücke aus dem aktuellen Spielplan kommentieren. Unter den Gästen ist auch der Landesbischof der Nordkirche, Gerhard Ulrich.
"Ich habe, bevor ich Theologe geworden bin, Theater, Germanistik und Schauspiel studiert. Mein großer Traum ist es immer gewesen, Schauspieler zu sein. Und ich bin es ja auch geworden."
1951 in Hamburg geboren, bekam Gerhard Ulrich in der Hansestadt auch sein erstes Engagement. Das war am Ernst-Deutsch-Theater mit kleinen Rollen und auch nur für kurze Zeit, weil er schon bald das Fach gewechselt, 1974 Theologie studiert und dann Karriere in der evangelischen Kirche gemacht hat. Im Februar 2013 zum ersten Landesbischof der neu formierten Nordkirche gewählt, predigt Gerhard Ulrich nun im Dom zu Lübeck sowie im Dom zu Schwerin. Und neuerdings gelegentlich auch auf Schweriner Theaterbrettern.
"Einen wunderschönen guten Abend, liebe Theatergemeinde. Herzlich grüße ich Sie zur dritten Theaterpredigt. Ich bin dem Mecklenburgischen Staatstheater hier in Schwerin sehr dankbar, dass es uns wieder sein Haus öffnet, damit der Dialog zwischen Kirche und Theater, Theologie und Dramatik weitergehen kann. Theater und Kirche - Räume, in denen die Welt ins Spiel gebracht wird..."
So stimmte Gerhard Ulrich jüngst rund 250 Theatergänger auf seine Theaterpredigt und die dann folgende Aufführung ein. Schon im Frühjahr hatte das Mecklenburgische Staatstheater den evangelischen Landesbischof für die Premiere dieser losen Reihe gewonnen. Er kommentierte William Shakespeares "Kaufmann von Venedig".
Der Landesbischof der Nordkirche, Gerhard Ulrich
Der Landesbischof der Nordkirche, Gerhard Ulrich© dpa / picture alliance / Christian Charisius
Ende Mai ließ sich der katholische emeritierte Erzbischof Werner Thissen aus Hamburg von Giuseppe Verdis "La Traviata" zu einer Theaterpredigt inspirieren. Von Theaterseite aus ist der Schweriner Chefdramaturg Ralph Reichert dafür verantwortlich. Die Schweriner Theaterpredigt ist seines Wissens in dieser Form einmalig in Deutschland.
"Es gibt zwei Vorbilder, das sind Bremen und Wittenberg, die das letztlich erfunden haben mit dem starken Unterschied, dass es dort große Texte, komplizierte Texte wirklich in der Kirche sind."
In Schwerin läuft das umgekehrt. Hier kommen die Theologen ans Theater. Eingerahmt von Musik wird zunächst ein ausgekoppelter Akt eines Stückes gespielt, das ohnehin auf dem Spielplan steht.
Diesmal haben Ralph Reichert und der Landesbischof der evangelischen Nordkirche den 4. Akt von Henrik Ibsens "Ein Volksfeind" gewählt. Der Bischof steht zunächst wie ein Zuschauer neben der sich ständig drehenden Bühne. Doch dann geht Gerhard Ulrich in die Szene hinein, in der niemand dem anderen zuhört, sondern wo jeder Protagonist seine kleine Wahrheit als die absolut gültige für alle anderen betrachtet.
Gerhard Ulrich kommentiert Ibsens "Volksfeind"
"Ibsens 'Volksfeind' ist mir aufgefallen mit diesem zentralen Thema die Macht der Wahrheit, aber auch die Behauptung der Wahrheit. Und die Majorität. Da wird an einer Stelle gesagt, der größte Feind der Wahrheit ist die Majorität. Und das war dieser vierte Akt auch deswegen, weil mir das in der Inszenierung von Ralph Reichert so gefällt, dass diese Bühne rotiert und damit ja auch schon eine Aussage schafft: Wir kreisen um die Welt wie Gestirne und wir sind nur mit uns selbst beschäftigt. Es kommt uns wie Bewegung vor, ist es aber nicht. Und genau das hat mich gereizt an dieser Szene."
Das Thema "Wahrheit" finde sich auch in der Bergpredigt, sagt Gerhard Ulrich nach der gespielten Szene, als er allein auf der Theaterbühne das Stück theologisch kommentiert. Von der biblischen Wahrheit und dem Wahrheits- und Freiheitsanspruch der "Volksfeind"-Protagonisten schlägt der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands einen Bogen zu den Terroranschlägen in Paris, zur Flüchtlingskrise, zum Umgang mit Pegida und MVgida.
"Wir wissen ja, was wir zum Beispiel gegen Pegida aufbieten müssen, um ihnen nicht das Feld zu überlassen. Und ich finde es wunderbar, wie die Gegenbewegung stärker wird, weil sie natürlich merkt: Das ist nicht die Wahrheit. Die haben die Wahrheit nicht gepachtet! Wahrheit wächst nicht aus der Hierarchie, sondern aus dem Dialog, aus der Kommunikation miteinander. Deswegen bin ich auch ein Gegner davon, dass wir Menschen, die uns nicht passen, links oder rechts liegen lassen. Sondern: auf sie zugehen, sie herausfordern. Mit Argumenten herausfordern und fragen: Wie kommst du zu dem, was du vertrittst? Ich glaube, das könnte ein guter Weg sein zur Versöhnung in dieser Gesellschaft, aber auch in der Welt."
Er wolle Theater und Kirche nicht vermischen, die beiden Kulturräume aber verschränken, sagt der 64-jährige Landesbischof der Nordkirche, der erkennbar gern nicht nur auf der Kanzel, sondern auch auf der Theaterbühne steht:
"Ich habe immer diese Nähe von Theater und Theologie wahrgenommen. Im Theater geht es immer um alles, um Leben und Tod. Es geht immer um die Frage, woher kommen wir, wohin wollen wir und wo führt es uns hin. Und genau das ist die Fragestellung, die wir in der Kirche haben, die meine Verkündigungsaufgabe ist, wie ich sie mir stelle."
Auch Chefdramaturg Ralph Reichert findet, dass die Schweriner Mischung aus Theater und Predigt aufgeht, denn:
"Das ist genau unsere Aufgabe: Themen in der Stadtgesellschaft zu besetzen, zu diskutieren, unterschiedlich zu beleuchten."
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