Theaterkolumne "Samstag mit Mondtag"

Die Krise der Information

Kellyanne Conway mt ihrem Boss Donald Trump
Die Beraterin des US-Präsidenten Kellyanne Conway mit ihrem Boss Donald Trump © picture alliance / dpa / Chris Kleponis
Von Ersan Mondtag · 18.02.2017
Wir sind süchtig nach Dingen, die wir kritisieren können. Wir kritisieren, wie wir online einkaufen, aber wir erschaffen durch unsere Kritik nichts mehr, meint der Theaterregisseur Ersan Mondtag in seiner Kolumne über Politik, Medien und Gesellschaft.
Angeblich tut ja keiner etwas, von dem er weiß, dass es böse ist. Jeder denkt, was er tut sei richtig. Allerdings weiß auch keiner mehr, was für Folgen das eigene Handeln hat. Die klassische Ethik ist tot. Denn sie verlangte eine Verantwortung für die Konsequenzen deines Handelns. Diese sind aber entweder unkalkulierbar oder man spürt, was auch immer du tust, es spielt keine Rolle mehr. Demokratien erledigt man nicht dadurch, dass man Wahlen abschafft, sondern indem man die Menschen über Dinge abstimmen lässt, die nichts wirklich verändern.
Ach so gut informiert haben wir das Gefühl, wir können eigentlich nichts richtig machen. Wir versuchen alles, nach besten Kräften unserer Informationen gut zu sein, und werden dennoch bestraft. Das ist die griechische Tragödie des Helden, der unterging, bloß weil er etwas nicht sah oder nicht wusste. Das schöne Programm eines Goethes scheint tot: Die Gesellschaft könne sich durch die Kräfte der Vernunft schon verbessern. Heute stehen wir der Welt wieder ratlos gegenüber wie der antike Held, der am Ende der Tragödie erkennt, dass er scheitern musste.
Aber wir ziehen keine guten Schlüsse. Der Held, wenn er fürchtete zu ertrinken, suchte nicht nach Gewissheiten, an die er sich klammern konnte. Solche verspricht der moderne Faschismus. Faschismus - die Oberklassenherrschaft, die sich auf Massenbewegungen stützt. Nur dass die Oberklasse heute aus Millionären besteht und die Massen aus Facebook-Nutzern. Der Faschismus schafft es, alte bleischwere Gewissheiten luftig zu versenden. Absurderweise scheinen die Faschisten die einzigen, die sich als Opposition aufspielen dürfen.

Das Individuum ist wie die Information selber in der Krise

Wir sind zu schlechten Gästen in einem Hotel namens Demokratie geworden. Wir bezahlen Miete, beschweren uns über das Frühstück oder das Zimmermädchen, spielen uns auf, als gehörte uns das Hotel, aber unterwerfen uns brav der Hausordnung. Ja, das Individuum ist wie die Information selber in der Krise. Das unerreichbare Ideal-Ich ist viel repressiver als das gute alte Über-Ich, mit seinem Anspruch, das Richtige zu tun. Und das sein Scheitern jetzt entschuldigt durch die Krise der Informationen. Erst entsetzt über postfaktische, dann die alternativen Fakten – und jetzt lernen wir, dass wir ja schon immer in "frames" gedacht haben, in Bedeutungsrahmen. Aber hilft das weiter?

So viele von uns zeigen alle Züge eines Heuchlers

Gut, es gibt eh keine Wahrheit, aber entbindet uns das von unserer eigenen Wahrhaftigkeit? Wir freuen uns, dass der amerikanische Präsident so ein Monster ist, der unser eigenes Unbehagen über uns selbst übertönt. Wenn seine Tochter aus dem Sortiment diverser Online-Kaufhäuser geworfen wird. Vielleicht hassen wir an ihm das, was wir an uns selbst nicht mögen. Ein Experiment der Sechzigerjahre wies nach, dass wir dazu neigen, Opfern, denen wir nicht helfen können, die Schuld für ihr Unglück zu geben. Und wenn wir uns jetzt selbst als Opfer fühlen? Wir sorgen uns darüber, was für eine Gefahr Trump für Europa bedeutet, aber verachten Europa doch selbst als sinkendes Schiff. Wir sind süchtig nach Dingen, die wir kritisieren können. Wir kritisieren wie wir online einkaufen, aber wir erschaffen durch unsere Kritik nichts mehr. Konstruktive Kritik – warum auch, wenn man insgeheim denkt, es führt zu nichts. Ist Trumps "Muslim Ban" die Gefahr für Europa oder eher Putin, der taktisch mit Bombardements den Flüchtlingsstrom anschwellen lässt, um Europa zu zerreißen? Da müssten wir ja eine Haltung entwickeln, kraft derer Europa nicht an Flüchtlingen scheitert.
So viele von uns zeigen alle Züge eines Heuchlers, der sich sagt, anders als die echten Süchtigen könne er selber jeden Tag von seiner Sucht loskommen. Aber schon die Existentialisten wussten, ein Süchtiger trifft nicht einmal eine große Entscheidung, clean zu sein. Sondern er trifft diese Entscheidung jedes kleine Mal, wenn er auf die Sucht trifft. Das ist die Haltung, die dem griechischen Helden seine Würde gab, auch wenn das Schicksal so übermächtig schien. Die Faschisten müssen nicht gewinnen. Die Dealer müssen nicht auf Kosten unserer Sucht reich werden. Vielleicht ist der griechische Held ein eher deprimierendes Vorbild. Aber er ist ein Vorbild, anders als schlechte Gäste in einem Hotel.
Ersan Mondtag, geboren 1987 in Berlin, ist der Shooting-Star der deutschen Regie-Szene. Die Fachzeitschrift "Theater heute" hat ihn zum Nachwuchsregisseur des Jahres gekürt. Mit dem Stück "Die Vernichtung" (Theater Bern) ist der Regisseur zum diesjährigen Theatertreffen im Mai nach Berlin eingeladen.
Ersan Mondtag
Ersan Mondtag© Foto: privat
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