Theater

Was steckt hinter dem Dostojewski-Boom?

Überlebensgroßen Puppen berühmter russischer Autoren aus dem 19. Jahrhundert: Fjodor Dostojewski, Alexander Sergejewitsch Puschkin, Nikolai Gogol und Anton Tschechow.
Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski hat kein einziges Drama geschrieben - und ist bei Theatermachern trotzdem äußerst beliebt. © picture alliance / dpa / Pyotr Kovalev
Von Bernhard Doppler · 02.01.2016
Werke von Fjodor Dostojewski haben am Theater derzeit Konjunktur. Ob "Schuld und Sühne" in München und Frankfurt oder "Der Idiot" in Dresden - Theaterkritiker Bernhard Doppler hat sich angeschaut, was hinter dem Boom steckt.
Es ist wie eine Abschiedsliturgie: "Die Brüder Karamsow", die letzte von sieben Dostojewski-Inszenierungen, die Frank Castorf vor 16 Jahren mit Dostojewskis "Dämonen" begonnen hatte. Auch hier werden fast die Hälfte des Abends einzelne Szenen mit Livekameras für den Zuschauer übertragen. Nach der Pause, nach den ersten drei Stunden, predigt fast eine halbe Stunde erregt Alexander Scherr vom Dach neben der Neonleuchtschrift "Ost". Die Zuschauer müssen sich am Asphaltboden auf Sitzsäcken einrichten, wegen Renovierung sind die Stuhlreihen entfernt. Ein anstrengender Abend? Sebastian Kaiser, Volksbühnendramaturg:
"Ein Motto dieser Spielzeit ist ja: 'service/ no service', also im Zweifelsfall für 'no service' für die Kunst und das Sperrige, aber 'Brüder Karamsow' ist im Bereich von 'service'."
2015 ist Dostojewski – so eine Statistik des Portals "nachtkritik.de" – bereits an die fünfte Stelle der Klassiker gerückt und hat sogar Tschechow überholt. Im Münchner Volkstheater, wo in einer Inszenierung von Christian Stückl "Schuld und Sühne" vor Weihnachten herauskam, erinnerte die Aufführung dabei fast an einen anderen Weihnachtsklassiker, an Puccinis "La Boheme": Vorgeführt wird eine Wohngemeinschaft – studentisches Prekariat, das Lebenseinstellungen und Lebensphilosophien durchdiskutiert.
"Also für mich ist das aktuell, weil ich sehr viel verbinden kann mit dieser Rolle, dieser junge Mensch, der in seinen Gedanken gefangen ist, auch den Sinn sucht, und auf die Idee kommt, einen Mord zu begehen, um sich wieder zu spüren und dieses In-Gedanken-Gefangen sein, das kenne ich."
Spielen bei Dostojewski ist nicht nur Spielen um Geld
Paul Behren spielt und identifiziert sich mit Raskolnikow. Er ist gerade erst 24 Jahre alt ist, und es ist gleich die erste große Rolle. Auch in der zweiten Münchner Dostojewski-Vorweihnachtspremiere "Der Spieler" (Regie Christopher Rüping) in den Münchner Kammerspielen steht der Schauspieler Thomas Schmauser im Mittelpunkt. Schmauser spielt nicht nur den Hauslehrer Aleksej, sondern auch die durchgeknallte Erbtante, auf die alle vergeblich in Roulettenburg ihre Hoffnungen gesetzt haben. Spielen bei Dostojewski ist nicht nur Spielen um Geld, sondern auch ein Spielen gegen Berührungsängste untereinander – gleichzeitig auch Kinderspiel, denn die Figuren werden von vier spielenden Kindern umgeben und verdoppelt.
Szenenwechsel nach Dresden:
"… in der Fassung alles Zielorientierte aufgegeben und gemeinsam den Roman gelesen, wir haben es nicht geschafft, alles in einer Stimme zu lesen, das ging nicht und deshalb haben wir es uns darauf verlassen, dass jeder seine Lieblingsstellen vorlesen darf – das bedeutet, dass Schauspieler auch die Anwälte ihrer eigenen Geschichte werden."
Mathias Hartmann, der frühere Wiener Burgtheaterdirektor inszeniert wieder und zwar im Staatsschauspiel Dresden, Dostojewskis "Idiot" und knüpft dabei an den großen Erfolg, den er im Burgtheater dort mit Tolstojs "Krieg und Frieden" und einer fast ein Jahr dauernden Probe hatte, die immer öffentlich war. Auch in Frankfurt wird über den Jahreswechsel geprobt, "Schuld und Sühne", der dritte Teil des Frankfurter Dostojewski-Zyklus mit unterschiedlichen Regisseuren. Bei "Schuld und Sühne" ist es nun Bastian Kraft. Theatralisch sind für Bastian Kraft die inneren Konflikte des Helden.
"Das ist der Ausgangspunkt unserer Gesamtüberlegungen gewesen, wie man es schaffen könnte in einem großen Theater wie dem Schauspiel Frankfurt, das eine sehr große Bühne ist, dass man da sehr intim in einen Gedankenraum einsteigen kann, als würde man an der Bettkante von Raskolnikow sitzen und in seinen Kopf einsteigen können. Der Abend fängt an mit Raskolnikow allein wie er ein Selbstgespräch führt und dann kommen noch einer oder zwei und dann sind es fünf, die wie alter Egos diese Geste wieder aufleben lassen."
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