Theater

Superman und Taliban

Das am 1.4.2002 von der Verteidigung des amerikanischen Taliban John Walker Lindh herausgegebene Foto zeigt Walker Lind nackt gefesselt in einem Container bei Kandahar in Afghanistan zwischen dem 7. und 8.12.2001.
Der amerikanische Taliban John Walker Lindh 2001 nackt und gefesselt in einem Container bei Kandahar in Afghanistan. © picture alliance / dpa / epa afp Walker DT
Von Stefan Keim · 04.01.2014
Seit zwölf Jahren sitzt John Walker Lindh im Gefängnis. Der Amerikaner kämpfte auf Seiten der Taliban gegen die US-Armee. Seine Geschichte bringt Regisseur Roger Vontobel nun zusammen mit dem Einakter "Philotas“ von Gotthold Ephraim Lessing auf die Bühne.
John Walker Lindh war gerade 20 Jahre alt, als er nach Afghanistan reiste, um mit den Taliban zu kämpfen. Er wurde gefangen genommen und von der US-Armee gefoltert. Ein Foto, auf dem er nackt und gefesselt auf einer Bahre liegt, ging damals – vor zwölf Jahren- um die Welt. Täter oder Opfer? Auf jeden Fall ein junger Mann, der glaubte etwas gefunden zu haben, für das es sich zu sterben lohnt.
So einer ist auch Philotas, der junge Prinz im gleichnamigen Einakter von Gotthold Ephraim Lessing. Philotas wurde in einer Schlacht von den Feinden gefangen genommen. Damit sein Vater nicht erpresst werden kann, bringt er sich um. Lessing schrieb das Stück Mitte des 18. Jahrhunderts, während Friedrich II. Preußen zum Militärstaat drillte. Ein politisches Drama über die Sinnlosigkeit des Krieges. Regisseur Roger Vontobel führt nun beide Charaktere zusammen, Lessings "Philotas“ und John Walker Lindh. Die Schauspielerin Jana Schulz spielt sie als eine Figur, einen jungen Mann, verwirrt, verzweifelt, in dessen Kopf christliche und islamische Glaubenssätze, Texte von Lessing und John Walker Lindh durcheinander rasen.
"Du bist ein Auserwählter. Es ist ein trefflicher und großer Anblick, ein Jüngling gestreckt auf den Boden, das Schwert in der Brust. O, gib uns Zuversicht, o Gott in deiner Herrlichkeit und stärke unsere Herzen mit dem wahren Glauben der Mujaheddin! Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. A shadu la ilaha illa Allah!“
Ein Held, der sich aufopfern möchte
Jana Schulz hat schon oft Männerrollen gespielt. Sie ist eine kampfsportgestählte Schauspielerin, explosiv, wild, mit der körperlichen Ausstrahlung eines gefangenen Kriegers. Auf der mit Sand bedeckten Spielfläche steht nur ein Stuhl. Das ist ihr einziges Requisit. Es geht in dieser Aufführung nicht um politische Hintergründe, auch nicht um Grausamkeiten der Taliban und der US-Armee. Sondern um einen jungen Menschen, der ein Held sein möchte, ein Superman. Er sucht nach Werten, für die er sich aufopfern kann. In der bürgerlichen Welt findet er sie nicht, aber in der religiösen Radikalität.
Der Tod ist sein Triumph. Das ist heute so aktuell wie vor zwölf Jahren, als Jana Schulz und Roger Vontobel ihren "filo:tas“ (Philotas in Lautschrift) erstmals auf die Bühne brachten. Die Aufführung war ein Riesenerfolg und auf vielen internationalen Festivals zu sehen. Die Schauspielerin und der Regisseur wurden zu Bühnenstars. Nun haben sie den "filo:tas“ neu einstudiert, er ist immer noch ein heraus ragendes Theaterereignis.
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