Theater

Preise für eine "flüchtige Kunst"

Theaterregisseur Robert Wilson am 1. Dezember 2013 im Berliner Ensemble
Ausgezeichnet: der amerikanische Theaterregisseur Robert Wilson © dpa / picture alliance / Paul Zinken
Von Henry Bernhard · 28.08.2014
Robert Willson, Krystyna Meissner, Gerard Mortier: Bei der 60. Verleihung der Goethe-Medaille wurden in diesem Jahr drei prägende Theatermacher geehrt. Bei den Laudationen waren wehmütige und kämpferische Töne zu hören.
60 Jahre Goethe-Medaille gab es zu feiern, und der Präsident der Goethe-Gesellschaft, Klaus-Dieter Lehmann, pries sich glücklich, die Preise seit der Wiedervereinigung am, Zitat, "symbolischen und realen Weltort für Bildung und Kultur" übergeben zu dürfen – in Weimar. Die Preisträger dieses Jahres entstammen alle dem Theater, das sich, so Lehmann, noch immer der Globalisierung widersetzt und gerade deshalb so ergiebig sei für den internationalen Kulturaustausch.
Lehmann: "Das Theater ist – zumindest derzeit – als flüchtige Kunst noch nicht handelbar und somit nicht den Regeln eines internationalen Markts unterlegen. Theater ist ein Spiegel des Umgangs einer Gesellschaft mit sich selbst. Das ist die eine Seite. Immer mehr aber prägen auch Theatermacher das internationale Gegenwartstheater, die sich in erster Linie für künstlerische Exzellenz jenseits jeglicher Tradition interessieren und auf internationalen Festivals vertreten sind."
Verschiedene Theaterkulturen prallen aufeinander
Die polnische Intendantin und Festivalleiterin Krystyna Meissner, der amerikanische Regisseur und bildende Künstler Robert Wilson und der im März verstorbene belgische Opernintendant Gerard Mortier stehen jeweils an verschiedenen Punkten in diesem Spannungsfeld. Krystyna Meissner, die den Spitznamen "Iron Lady of Polish Theatre" trägt, wurde dafür gewürdigt, dass sie Theaterinszenierungen von Westeuropa bis Russland zusammenbringt und die verschiedenen Theaterkulturen aufeinanderprallen lässt.
Meissner: "Und ich kann mit allem Nachdruck sagen, dass es nicht zu dieser Kooperation des europäischen Theaters gekommen wäre ohne den Reichtum und die Eigenartigkeit der einzelnen Theaterszenen, den Mut und die Kraft des deutschen Theaters, die unkonventionelle Interpretation der europäischen Literatur durch das niederländische oder belgische Theater, die Liebe des französischen Theaters zum gesprochenen Wort, die Brutalität des ungarischen Theaters, den spezifischen Humor der Tschechen, die Wucht des Gefühls bei den Russen und so weiter, und so fort."
Aber Krystyna Meissner bringt nicht nur europäische Inszenierungen nach Polen, sondern sorgt auch dafür, dass diese Inszenierungen auf fruchtbaren Boden fallen, wie ihre Laudatorin, die Theaterkritikerin Renate Klett, betonte.
Klett: "Es war und ist das beste Festivalpublikum Europas. Und Krystyna Meissner hat es zu dem gemacht, indem sie es gefordert hat und gepflegt. Und, liebe Krystyna, eine persönliche Bitte: Komm doch mal nach Berlin und erziehe unser Publikum, dass so anspruchslos geworden ist, Qualität und Quatsch nicht mehr unterscheidet und immer nur jubelt, jubelt, jubelt, weil es sich dann voll, weltoffen und hauptstadtcool vorkommt. Bitte komm!"
Ein Monolith, der ein Theateruniversum geschaffen hat
Der zweite Preisträger dieses Jahres, Robert Wilson, steht nicht für den Austausch nationaler Theatertraditionen, sondern eigentlich nur für sich selbst. Ein Monolith, der ein Theateruniversum geschaffen hat, faszinierende Kombinationen aus Sprache, Bildern, Bewegung, Licht und Musik. Ein Weltbürger, der sich doch besonders in Deutschland zu Hause fühlte, wo er mehr inszeniert hat als in seiner Heimat, wie Wilson bitter anmerkte. Dem oft geäußerten Vorwurf, Wilson interessiere sich nicht für die Texte der Stücke, die er inszeniert, sondern mehr für Bilder und Räume, widersprach sein Laudator, Thomas Oberender:
"Wilson achtet die Form und er nimmt sie als das Konkrete, als das Reale. Und er nimmt sie dann, genau diese Struktur, als einen Ausgangspunkt, um nicht eine illustrierende Welt dieser Form zu entwickeln, sondern um sie in einer Art von ästhetischer Zeremonie zu erlösen."
Robert Wilson sprach über sein nächstes Projekt:
"I'm thinking about directing Goethe's Faust, part I and II."
Wilson preist deutsche Kulturlandschaft
Tief bewegt pries er die deutsche Kulturlandschaft, die ihm seine eigene Weltkarriere erst ermöglicht habe, die Vielseitigkeit von zeitgenössischer bis traditioneller Kunst.
"If we loose our culture, we loose our memory."
Der Opernintendant Gerard Mortier konnte nur noch postum mit der Goethe-Medaille geehrt werden. Nike Wagner pries ihn als unerschrockenen Kämpfer für die Kunst, gegen den Würgegriff des Marktes und die "mafiosen Gewohnheiten des Musikbetriebs".
Katharsis? Ja, im Fußball!
Ob das Theater jedoch heute noch eine Katharsis, eine Läuterung, oder auch nur eine Erschütterung der Zuschauer auslösen könne, darüber zeigten sich die Geehrten in einer Diskussion sehr skeptisch. Man könne kaum noch jemanden schockieren, meinte Krystyna Meissner, schon gar nicht ein ganzes, heterogenes Publikum. Robert Wilson beklagte, dass das an kurzatmiger Fernsehdramaturgie geschulte Publikum gar nicht mehr in der Lage sei, sich in einem und an einen Text zu verlieren. Wirkliche emotionale Gemeinschaftserlebnisse, so bekannten sie bitter, gäbe es nur noch sehr selten. Gerard Mortiers Lebensgefährte Sylvain Camberling fand immerhin ein Beispiel:
"Überhaupt nicht im Theater! Aber im Fußball zum Beispiel. Die Weltmeister. Es gibt doch eine Katharsis da. Publikum zusammen, und sie vibrieren zusammen. Können wir das mit Sprache heute? Ich bin nicht sicher."
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