Theater

Porno, Nimmerland, Terror

Stück "33 RPM and a few Seconds" beim F.I.N.D.-Festival 2014
Stück "33 RPM and a few Seconds" beim F.I.N.D.-Festival 2014 © Berliner Schaubühne, Foto: Rabih Mroué
Von Gerd Brendel · 08.04.2014
Halbzeit für das Festival internationaler Dramatik, kurz F.I.N.D. genannt. Gar nicht gespielt wird in dem libanesischen Null-Personenstück "33 Umdrehungen und ein paar Sekunden". Man sieht auf einer Leinwand die Kommentare auf einem Facebook-Profil. Allmählich begreift man, dass sich der Adressat der Nachrichten umgebracht hat.
Die längste Inszenierung des FIND-Festivals namens "Meat" - Fleisch dauert laut Programm geschlagene 10 Tage und Nächte, Einlass rund um die Uhr alle vier Stunden und ist eine Welt für sich.
Der Spätkauf ist die erste Station einer Installation, die auf engem Raum eine Harz-IV-Shopping-Mall mit Amüsierbetrieb und zugemüllten Ein-Zimmer-Apartments präsentiert. Nagelstudio, Internet-Café, Boutique mit Billig-Reizwäsche, alles da und natürlich eine Kneipe mit schillernden Stammkunden, die auch gern mal zum Mikrofon greifen.
"Indem man diese Installation betritt, wird man selber zum Agierenden, wird dadurch zum Performer, ohne dass man das explizit möchte, durch alles, was man dort macht und sagt, schreibt man seinen eigenen Theatertext selbst."
So hatte Florian Borchmeyer, einer der Festival-Kuratoren "Meat" beschrieben
Aber die Lust auf eigenen Aktionen erlahmt rasch. Ziellos stolpern die Besucher durch Läden, Hinterzimmer und Bars auf der Suche, ja nach was?
Anzügliche Tätscheleien der Nachtclub-Belegschaft
Laut Programm soll es um die wahre Geschichte eines kanadischen Pornostars gehen, der angeblich seinen Liebhaber erst ermordet und dann verspeist haben soll. Vor zwei Jahren wurde er am anderen Ende der Stadt in einem Neuköllner Internet-Café verhaftet. Aber die Asiatinnen im Nagelstudio rekeln sich nur gelangweilt. Und die Go-Go-Tänzer im "Lucky Star" nebenan verschwinden schnell wieder, als ich keine Lust habe, noch eine Lage Wodka auszugeben. Der Barkeeper hat kein Eis und in der Kneipe herrscht Rauchverbot.
Der Mann hinter dem Unterschichten-Zirkus Thomas Bo Nilson war früher Teil des dänischen Performance-Kollektivs Signa. Im letzten Jahr hat die Gruppe nach einem ähnlichen Muster Dantes Inferno als wüsten Nachtclub inszeniert. Was damals funktionierte, echte mitunter hemmungslose Interaktion zwischen Höllenbewohner und Besuchern, geht hier gewaltig in die Hose. Daran ändern auch die anzüglichen Tätscheleien der Nachtclub-Belegschaft nichts. Es fehlt die alle verbindende Geschichte.
Statt Dante auf Höllenfahrt bleibt den Besuchern nichts weiter übrig, als sich selbst zu spielen. Welche Rollen, die zwar lasziven aber mundfaulen Performer spielen, bleibt unklar. Vom Pornostar-Kanibalen fehlt jede Spur, oder sollte Joel, der Junge mit dem Schlafzimmerblick, mehr als Flirten im Schilde führen, als er sich auf einer Chat-Seite einloggt und mir eine Nachricht an mein Profil schickt?
"Viele Produktionen, die hier zu sehen sind, sind nicht mehr eine Form von Theater, wie man sich das klassisch vorstellt, Dialog basiert, mit vierter Wand sowieso nicht, mit klassischen Spannungsbogen."
Wettern gegen Suchmaschinen
Das gilt zum Beispiel für "Daisy" des Argentiniers und Wahl-Spaniers Rodrigo Garcia einer knapp zweistündigen Generalabrechnung mit unser aller entfremdeten Alltag. Die beiden Darsteller wettern abwechselnd und mäßig erheiternd gegen dutzende Suchmaschinen, Wasser-Ski-Fahren und Schamhaarfrisur. In den 90er-Jahren nannte man solche Art Verkünstelung alltäglicher Phänomene "Popliteratur".
Wenig Neues bietet auch das vor einem Jahr in Wien uraufgeführte Stück der serbischen Autorin Biljana Srblijanovic: "Diese Grab ist mir zu klein". Es erzählt die Vor- und Nachgeschichte des Attentats von Sarajewo als Lachnummer.
Libanesisches Null-Personenstück
Gar nicht gespielt, weil die Bühne während der ganzen Zeit menschenleer bleibt, gar nicht gespielt wird in dem libanesischen Null-Personenstück "33 RPM" ("33 Umdrehungen und ein paar Sekunden") von Rabih Mroue und Lina Saneh. Man sieht, wie sich eine Schallplatte dreht, man hört das Telefon auf der Bühne klingeln, man hört die Nachrichten auf der Mailbox und man sieht auf einer Leinwand die Einträge und Kommentare auf einem Facebook-Profil, und allmählich begreift man, dass sich der Adressat all der Nachrichten umgebracht hat. Ein verzweifelter Protest im arabischen Frühling oder private Lebenskrise? Spannend bis zur letzten Minute erzählt die Installation eine private und sehr politische Geschichte, die berührt, ganz im Gegensatz zu den anderen Aufführungen im Programm, bis jetzt.
Das Festival ist noch nicht zu Ende und das Gastspiel des Moskauer Gogol-Centres mit seiner Interpration des Lars von Trier Films "Idioten" verspricht ein Höhepunkt zu werden. Ach und dann warten natürlich auch noch die Go-Go aus dem Lucky Star in der Meat.Installation bis zum Festivalende auf Besucher. Wobei – die Nachricht, die Joel mir geschickt hat, markiere ich mit einem "F" , fake-" dieser User ist nicht echt – richtiges echtes Theater geht anders.