Theater-Performance in Berlin

Im Taxi dem Leben hinterhergefahren

Eine nächtliche Restlichtaufnahme eines Taxischildes in Berlin, Deutschland 2009. Im Hintergrund sind ist der Fernsehturm zu erkennen.
Das Taxi: Bei Jim Jarmusch eine faszinierenden Bühne intimer Begegnungen auf Zeit. © imago / Seeliger
Von Gerd Brendel · 14.05.2015
In der Theaterperformance "Hellelfenbein" erzählen sechs Taxifahrer aus aller Welt über ihr Leben vor und seit dem Taxi-Job in Deutschland. Das hätte eigentlich spannend werden können.
"Mein Vater hat mir letztens gesagt, wenn man anfängt Taxi zu fahren, dann fängt man an die Leute als Geldscheine zu sehen."
Bevor die Fahrgäste in die wartenden Taxis steigen, werden sie taxiert. Wir erwarten Taxitheater und werden erst einmal selbst in Augenschein genommen.
"Also Sie zum Beispiel: Sie sind so ne gute 20-Euro-Fahrt."
"Und an ihrem Mantel erkenn ich sofort: 50-Euro-Fahrt."
"Sie sind eher so ne Kurzstrecke.
"Sie haben wichtige Unterlagen fürs Büro vergessen: 20 Euro."
"Sie wollen in den nächsten Puff: 100 Euro."
Je nach geschätztem Budget bekommen wir von der jungen Frau, die sich uns als Tochter eines türkischen Taxifahrers vorstellt, bunte Kärtchen zugeteilt.
"Gelb bei mir!"
"Also Gelb und orange."
Je nach Farbe verteilen sich die Gäste auf die elfenbeinfarbenen Taxen. "Hellelfenbein", so haben die beiden Theatermacherinnen Jessica Glause und Olivia Wenzel ihre Taxi-Performance genannt. Die Geschichten ihrer Fahrer stehen im Mittelpunkt.
Ein ganzes Leben zwischen Anatolien und Berlin-Neukölln
"Seit 40 Jahre bin ich hier",
begrüßt Abdullah seine Fahrgäste.

"hab in den Ford-Werken als Maschinist geschuftet, dann habe ich LKW-Führerschein gemacht, dann wurde ich Truck-Driver."
Draußen zieht das nächtliche Berlin-Kreuzberg vorbei, im Großraumtaxi ein ganzes Leben zwischen Anatolien und Berlin-Neukölln. Vom Truck-Driver zum Buchhändler und schließlich zum Taxi-Fahrer. Kurz vor der ersten Station zieht Abdullah ein paar Bücher aus dem Handschuhfach. "Hab ich selbst geschrieben", sagt er zum Abschied. Dann steigen die Gäste um ins nächste Taxi.
Seit 14 Jahren die selben Fragen
"Ich heiße Maki mit Vornamen, komme aus dem Irak. Habe in meiner Heimat Theaterwissenschaften studiert. Als ich nach Deutschland gekommen bin, die haben meinen Abschluss nicht anerkannt. Später konnte ich nicht weiterstudieren, wegen finanzieller Gründe. Am Ende bin ich zum Taxi gekommen. Ich fahre Taxi jetzt seit 14 Jahren."
Und seit 14 Jahren stellen Makis Fahrgäste die immer gleichen Fragen:
"Woher kommen Sie? Wie lange sind Sie hier? Dann sage ich, ja seit 1993. Eine Frage beantworte ich nie, weil ich kann sie nicht richtig antworten: Warum sind Sie in Deutschland? Es ist eine sehr traurige Geschichte, warum ich hergekommen bin."
Die bekommt das Publikum später zu hören, über das Autoradio. Sie spielt im kurdischen Nordirak nach dem zweiten Golfkrieg.
Liebesgeschichte ohne Happy End
"Damals hab ich mit einer NGO gearbeitet, und ich habe eine Deutsche Journalistin kennen gelernt."
Eine Liebesgeschichte ohne Happy End: Anschläge sind an der Tagesordnung. Nach einem Bombenattentat entschließt sich Maki zur Flucht nach Deutschland. Seine Freundin bleibt und wird zwei Jahre später von Saddam Husseins Schergen erschossen.
"Zwei Jahre habe gesagt, ich werde aufzuhören. Aber konnte ich nicht. Es ist eine Sucht",
hatte Maki kurz vorher in seinem Taxi erzählt. Man ahnt warum: Das Taxi als letzter Rückzugsort um mit den eigenen Erinnerungen nicht alleine zu sein. Die Erinnerungen und die Geschichten der Fahrgäste kommen an diesem Abend kaum zur Sprache. Dass was das Taxi in Jim Jarmuschs Film "Night on Earth" oder zuletzt in Jafar Panahis "Taxi" zur faszinierenden Bühne intimer Begegnungen auf Zeit macht, fehlt.
Die Taxis fahren kreuz und quer durch die Nacht immer dem realen Leben hinterher und kommen nie da an, wo Theater wirklich spannend wird, da wo die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmt.
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