Theater

"Fremdsein gehört zu meinem Beruf"

George Tabori während einer Gala anlässlich seines 90. Geburtstags
George Tabori während einer Gala anlässlich seines 90. Geburtstags © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Hildegard Wenner · 24.05.2014
"'Mensch' ist mein liebstes Wort in der deutschen Sprache", hat George Tabori einmal gesagt. Die deutschen Verbrechen gegen die Menschheit überlebte der vor 100 Jahren geborene Autor, Regisseur und Schauspieler in Großbritannien. Seit den späten Sechzigern brachte er den Holocaust auf seine ganz eigene Art ins deutschsprachige Theater: brutal komisch, politisch völlig unkorrekt und mit "jüdischer Witz" nur notdürftig umschrieben.
1968, als - meist junge - Menschen auf die Straße gingen, um von ihren Vätern das Geständnis über die Verbrechen im Nationalsozialismus einzuklagen, kam ein ungarischer Jude, dessen Vater und große Teile der Familie in Auschwitz ermordet worden waren, aus Amerika nach Berlin. Bald darauf zeigte er im Schillertheater ein Stück, in dem KZ-Häftlinge einen Leidensgenossen umbringen und verspeisen wollen, gespielt von "Nachgeborenen", die sich über die Not der Lagerinsassen ziemlich zotig amüsieren:
"Es gehört zur jüdischen Tradition, sehr ernste, sogar tragische Situationen mit Humor zu bewältigen. Es gehört zum Stück."
George Tabori, der Erfinder des Stücks "Die Kannibalen" erklärte außerdem, er habe Anfang der 30er-Jahre Hitler einmal einsam am Fenster stehen sehen und großes Mitleid empfunden, übrigens auch für Eichmann, als der vor seinen Jerusalemer Richtern im Glaskasten saß.
Es dauerte länger als eine Schrecksekunde, bis das deutsche Publikum mit Taboris schwarzen Scherzen warm wurde, zumal er in einer Hochzeit des "Regietheaters" auch noch ein "menschlicheres Theater" schaffen wollte, das die Arbeit des Schauspielers ins Recht setzt. "Regisseur" mochte er nicht sein, das erinnere ihn an Regieren, "Spielmacher" träfe die Sache eher.
"Es hat gewisse Vorteile, wenn man zu der Sprache eine Distanz hat. Ich nehme Wörter wörtlich und dadurch bleibt immer diese Neugierde da."
Tabori hat in Budapest, wo er am 24. Mai 1914 geboren wurde, ungarisch und ein bisschen deutsch gesprochen; mit 22 nach London emigriert, schrieb er - dann auf Englisch - erste Romane, Kriegsberichte für die BBC, Dossiers aus dem Nahen Osten für den britischen Geheimdienst; in den 40er-Jahren Drehbücher in Hollywood zum Beispiel für Alfred Hitchcock, Übersetzungen für Bertolt Brecht, Anfang der 50er ein erstes eigenes Stück, das Elia Kazan am Broadway inszenierte. Die mehr als zwei Dutzend Werke für Bühnen in Bremen, Bochum, München, Wien und wieder Berlin übersetzte hauptsächlich Taboris frühere Frau Ursula Grützmacher ins Deutsche. Auch die Farce "Mein Kampf", 1987 vom Autor selbst am Wiener Akademietheater uraufgeführt. Taboris Alter Ego, der Menschenfreund und Bibelverkäufer Schlomo Herzl, drückt den eben gescheiterten Kunstmaler Adolf Hitler an sein großes Herz, rät ihm, in die Politik zu gehen, am besten mit dem Neuen Testament unterm Arm.
Auszug aus "Mein Kampf":
"'Meinst du das im Ernst?'
'Ja, ich meine das im Ernst. Natürlich müsstest du deine Grammatik verbessern und dazu das Markus-Evangelium studieren: 'Und er kam nach Galiläa und sein Name verbreitete sich in der Fremde und er lehrte im Tempel.' Markus verbesserte die Grammatik, indem er hinzufügte: 'In ihrem Tempel.' Und so erfand er das Ghetto. So einfach ist es.'"
Sarkasmus war George Taboris Strategie, die eigene Lebenstragödie auszuhalten: die Schoah - und der Segen, ihr entkommen zu sein:
"80 Prozent der Familie sind umgekommen, auch mein Vater. Aber ich persönlich, in Sofia und in Istanbul besonders, hab ich eine sehr schöne Zeit gehabt. Das habe ich mir nie ganz verziehen."
In den "Kannibalen" hat Tabori seinem Vater Cornelius, "einem bescheidenen Esser", in "My Mother's Courage" der "haarscharf davongekommenen" Mutter Elsa und in "Jubiläum" dem großen Rest der Familie Denkmäler gesetzt.
"Ich habe kein Zuhause"
Tabori inszenierte am liebsten die immerwährende Probe, das Theater auf dem Theater - und ließ sich dabei nicht mal von Gott oder Samuel Beckett aufhalten. In den "Goldberg Variationen" muss der Weltenschöpfer sein Projekt "Genesis" wohl noch perfektionieren; und dem großen Beckett ist offensichtlich entgangen, dass ein "Endspiel" auch ein Vorspiel mit kaffeeschlürfenden schlecht gelaunten Schauspielern hat.
Wo immer der "Spielmacher" auftrat: Jeder war hingerissen von diesem schnoddrig-eleganten, "Ich versteh' nix deutsch"-Kosmopoliten, der seine Anekdoten verstreute: Über das Emigranten-Amerika, wo Thomas Mann keinen Witz hinkriegte und deshalb die viel amüsantere Greta Garbo hasste, oder - das Publikum lachte dann erleichtert - wie er als Etagenkellner im Berlin von 1933 einmal Hermann Göring im lila Pyjama sah.
"Ich habe kein Zuhause, und ich sage das ohne Pathos, weil ich finde, dieses Fremdsein gehört zu meinem Beruf."
1992 erhielt Tabori als erster nichtdeutschsprachiger Autor den Georg-Büchner-Preis. In seinem Werk, las man, führe "jeder Witz in die Katastrophe". Als sei der Holocaust ein Unglück, nicht ein Verbrechen gewesen. Der Fremdling George Tabori, am 23. Juli 2007 in Berlin gestorben, hat das nie korrigiert - als zutiefst liebenswürdiger Mensch half er noch jedem aus der Klemme.
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