Theater des Jahres

Lebendig und aufmüpfig

Shermin Langhoff
Shermin Langhoff leitet zusammen mit Jens Hillje das Maxim Gorki Theater in Berlin. © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Von Susanne Burkhardt · 28.08.2014
Erst in diesem Jahr ging im Berliner Maxim Gorki Theater eine neue Leitung ans Werk: die Doppelspitze Shermin Langhoff und Jens Hillje. Auch wenn das Haus nicht beim Theatertreffen eingeladen war, den Titel "Theater des Jahres" hat es verdient.
Allen Rankingsbetrugsversuchen im deutschen Fernsehen zum Trotz: Dieses Ergebnis musste nicht erschummelt werden. Hier war man sich ziemlich einig. Eine echte Überraschung war die Ernennung heute ohnehin nicht. Hatten doch schon die Autoren des Branchenblattes "Deutsche Bühne" vor kurzem das Maxim-Gorki-Theater zum besten Theater der Saison gewählt. Und jetzt die Bestätigung durch die Umfrage in "Theater heute":
15 von 44 Kritikern haben für das kleinste Berliner Stadttheater gestimmt. Das sind viele, wenn man davon ausgeht, dass ein Wiener, Münchner oder Stuttgarter Kritiker eher selten in der Hauptstadt vorbeischaut. Ein wunderbares Kompliment für das Leitungsteam Shermin Langhoff und Jens Hillje, die mit einem beinahe ganz neuen Ensemble beginnen mussten: Ruth Reinicke war die einzig verbliebene Schauspielerin nach dem Abzug von Armin Petras und Gefolge gen Stuttgart.
Das Ensemble will etwas
Kein Ensemble. Kein Repertoire. Das neue Team: unterschiedlichster Herkunft. Beinahe alle in den 80er-Jahren geboren. Frisch zusammengefunden. Und so mussten die schnell zusammengeschusterten Eröffnungspremieren noch irgendwie unfertig wirken.
"Der Kirschgarten", in der Regie von Nurkan Erpulat, der mit "Verrücktes Blut" das Ballhaus Naunynstrasse in Berlin Kreuzberg zum Hit machte und damit Shermin Langhoffs Karriere anschob, die einen Posten bei den Wiener Festwochen zu- und wieder absagte, um das Maxim Gorki-Theater zu übernehmen.
Dieser "Kirschgarten" also wurde hier auf alle multikulturellen Verbindungen hin abgeklopft. Das wirkte zum Teil oberflächlich, zum Teil grob plakativ. Aber ein Eindruck blieb hängen: Dieses Ensemble will etwas. Ein Gefühl, dass viele sonst voreilig draufhauende Kritiker zurückhielt. "Man muss ihnen Zeit geben" raunten die Profi-Betrachter. Wie wichtig es war, dem engagierten, brennenden und mit voller Energie durchstartenden Team genau diese Zeit zu geben, bewies sich dann, als nach und nach weniger die Frage der Herkunft auf und vor der Bühne verhandelt wurde, als die israelische Hausregisseurin Yael Ronen mit "Common Ground" – einem Stück über die Balkankriege – einen Hit landete, ebenso wie Falk Richter mit "Small Town Boy" neue Zuschauer zog.
Ein Spiegel der Heterogenität unserer Gesellschaft
Nach und nach ging es eben mehr um Kunst und um selbstverständlich alles, was uns so beschäftigt – von Genderthemen, Rollenzuweisungen oder den Krisen der Hipster, auf der Flucht vor dem "Grau" des Lebens“. Sibylle Bergs Stück "Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen", mit vier großartigen Schauspielerinnen von Hausregisseur Sebastian Nübling kongenial am Maxim-Gorki-Theater uraufgeführt, wurde zu Recht "Stück des Jahres". Demnächst kommt ein Klassiker auf die Bühne: Sebastian Nübling inszeniert die "Nibelungen" nach Hebbel.
Mit dem Maxim Gorki Theater Berlin wird eine Bühne geehrt, die uns zeigt, wie das Stadttheater der Zukunft aussehen könnte: Lebendig, aufmüpfig und ein Spiegel der Heterogenität unserer heutigen Gesellschaft.
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