Theater Basel

Aufwendig illustriertes Abenteuerbuch

Mary Shelleys bekannteste Romanfigur: Frankenstein.
Schon als Kind war Stölzl von Frankenstein fasziniert. © dpa / picture alliance
Von Bernhard Doppler · 19.09.2014
Eine zwei Meter große, furchteinflössende Puppe: Das ist Philipp Stölzls Frankenstein. Er bringt Shelleys Roman in Basel auf die Bühne, bildgewaltig und eindrucksvoll. Besonderen Tiefgang darf man aber nicht erwarten.
Man könnte den Roman der 19-jährigen Mary Shelley über das Monster, das der junge Wissenschaftler Veit Frankenstein konstruiert, und von dem er fürchtet, dass es die Menschheit schließlich bedrohen und verdrängen könnte, als eine durch die Gentechnologie immer aktueller werdende Zukunftsvision sehen, "Frankenstein" als eine frühe Form von Science Fiction. Doch das ist nur ein wenig interessanter Nebenaspekt!
Frankenstein ist vor allem ein - trivialer - Unterhaltungsroman, durchsetzt von zahlreichen Motiven der am Anfang des 19. Jahrhunderts in Mode kommenden Schauserromantik. So hat auch Philipp Stölzl den Roman verstanden und dafür in seiner ersten Schauspielinszenierung (zuvor war er als Videokünstler für "Rammstein", Opern- und Filmregisseur erfolgreich) eine eigene theatralische Form gefunden.
Erschreckend in seiner Hässlichkeit, bemitleidenswert in seiner Trauigkeit
Die Bühne in der Mitte des Zuschauerraums, ein welliger Boden, ist rundum eingezäunt von Maschendraht: Um die Zuschauer vor dem Monster zu schützen? In Stölzls Bearbeitung ist es eine über zwei Meter große, - wenn es aufgerichtet wird -, alle Mitspieler überragende Puppe aus Sehnen, wenig Haut und verschiedenen Prothesen, die von drei Puppenspielern geführt wird: erschreckend in seiner Hässlichkeit, aber gleichzeitig - vor allem wenn seine Augen funkeln - bemitleidenswert in seiner Trauigkeit. Das mordende Monster würde so gerne geliebt werden?
Stölzl lässt zuerst das Monster, dann auch immer wieder Frankenstein ihre Geschichte und ihre Reisen erzählen und erfindet dazu auf dem welligen Boden immer wieder neue eindrucksvolle Bilder, die an alte kostbare Abenteuerbuch-Illustrationen oder Bilder aus alten Kolportageheften erinnern. Die Handlung erstarrt dabei zwar nicht völlig zu "Tableaux vivantes", den im 19. Jahrhundert im Theater so beliebten Bildern, aber die Bewegungen werden oft durch Zeitlupe verlangsamt.
Der Text - ohnehin selten Dialog, meist Erzählung - wirkt so wie eine Bildunterschrift oder Bilderklärung. Drei Cellisten untermalen fast unentwegt melodramatisch die Szene. Und Catrin Strömer leiht ihre Stimme nicht nur dem Monster, sondern lädt die Szene immer wieder mit unheimlichen Geräuschen - Gurren, Vögelgezwitscher, Wind - mit Thrill auf. Kerzen und Petroleumlampen scheinen die Szenen auszuleuchten, Gehröcke und Zylinder trägt man, und in den Bärten der Matrosen hat sich der Frost festgesetzt. Denn die Reise Frankensteins führt nicht nur nach Ingolstadt und an den Comer-See, sondern auch auf die Gletscher der Alpen, die Orkney-Insel, ja sogar ins Eismeer fast bis zum Nordpol. Immer wieder neue zentrale Bild-Motive der Romantik tauchen dabei auf: das Eismeer, der nächtliche Friedhof, die gespenstische Hochzeitsnacht, ein Laborversuch wie in E.T.A. Hoffmanns "Sandmann"...
Vorstellung fast bis zur Geisterstunde
Manchmal kippt das Unheimliche ins Komische: Etwa wenn ein Matrose unvermutet im Reisegepäck des Wissenschaftlers Frankenstein eine riesige Hand entdeckt. Aber die romantische Schauergeschichte zeigt gleichzeitig auch tiefenpsychologische Abgründe. Ist das Monster, das Frankenstein geschaffen und das er wieder vernichten will, und das ihn gerade heimsucht, wenn er die Hochzeitsnacht begehen will, nicht vor allem eine Abspaltung seines Ichs? Frankenstein schizophren wie zum Beispiel Nathanael im "Sandmann"?
Philipp Stölzl erzählte, dass er Mary Shelleys Roman als Jugendlicher sehr gerne gelesen habe, obwohl - oder vielleicht gerade weil - es ihm sein Vater verboten habe. Auch in der Premiere waren einige Kinder und Jugendliche, obwohl die Vorstellung fast bis zur Geisterstunde dauerte. Wenn man sich - vielleicht nach anfänglichen Widerständen - auf den Sog der vielen Bilder einlässt, kann man es durchaus genießen, sich im Theater mit naiven Augen einmal lediglich nur ein Abenteuer- und Reisebuch illustrieren zu lassen.