Thea Dorns USA-Kolumne

Mit der Hyperbel ins Amt

New York Citys "Naked Cowboy" auf dem Times Square
New York Citys "Naked Cowboy" auf dem Times Square © dpa / Alexandra Schuler
Von Thea Dorn · 10.02.2017
Sie ist nun in den USA ein ganz offizielles Regierungsinstrument: die Übertreibung, perfektioniert durch den "wirklich großartigen Führer" Donald Trump. Die Schriftstellerin Thea Dorn allerdings warnt: Vielleicht sollte man es mit der Übertreibung nicht übertreiben.
Früher, wenn ich hier in Amerika einen Highway entlangfuhr und mich alle paar Meilen eine andere Werbetafel davon überzeugen wollte, dass die dazugehörige Frittier-Klitsche "World’s best Coffee" serviere, konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Jetzt machen mich solche Tafeln zunehmend wütend.
Seit ich mir im Fernsehen nahezu täglich einen Mann mit rhetorischer Dauererektion – "biggest!" "greatest!" "extreeeeem!" – anschauen bzw. anhören muss, überkommt mich Lust, die Verwendung jeglichen Superlativs mit einem sehr strikten Bann zu belegen.

Der escalator aus dem escalator

Tony Schwartz, der Journalist, den Donald Trump Mitte der 80er Jahre für viel Geld angeheuert hatte, damit er ihm seine Autobiographie "The Art of the Deal" schreibe, bereut heute bitterlich, dass er seinen damaligen Auftraggeber gewitzter, charmanter, nachdenklicher gezeichnet hatte, als er diesen in Wirklichkeit je erleben durfte. Der unverblümte amerikanische Ausdruck für solche Schönfärberei lautet: "Putting lipstick on a pig."
Als der escalator Trump im Juni 2015 den escalator – also der Eskalierer die Rolltreppe – in seinem Goldturm hinabfuhr, um der im Foyer wartenden Menge zu verkünden, dass er sich um die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten bewerbe, weil dieses Land einen "truly great leader" brauche, begründete er seine Qualifikation zum "wirklich großartigen Führer" an erster Stelle damit, dass er der Autor von "The Art of the Deal" sei.
Auch wenn Trump vergessen hat, wer dieses Buch eigentlich geschrieben hat – wieviel er diesem Bestseller verdankt, der ihm zum ersten Mal die Aufmerksamkeit eines Millionen-Publikums bescherte, scheint er sehr wohl zu wissen.

Der Erfinder der wahrheitsgemäßen Übertreibung

Den echten Autor, Tony Schwartz, grämt heute besonders, dass er seinem Protagonisten die Formel von der "truthful hyperbole", von der "wahrheitsgemäßen Übertreibung" in den Mund gelegt hat, die dieser seinem – sonst ja eher spartanischen – Wortschatz freudig einverleibte.
Auch wenn der unglückselige Schwartz den veredelten Trump gleich im ersten Absatz von "The Art of the Deal" sagen lässt, dass dieser den "deal" als seine Kunstform betrachte, so wie andere Leute eben malten oder dichteten, gehe ich nicht davon aus, dass der wirkliche Trump jemals darüber nachgedacht hat, dass die Hyperbel ursprünglich der Sphäre der Literatur, der Dichtung, der Poesie angehört.
"Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus
Ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte ..."
"Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden,
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein ...."
"Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
Und hinter tausend Stäben keine Welt."

Das Marketing des Präsidenten

Ganz gleich, ob Homer, Gryphius oder Rilke – sie alle greifen zum Stilmittel der Übertreibung, um einer Empfindung so wahrhaftig wie möglich Ausdruck zu verleihen. Ihre literarischen Übertreibungen besitzen in der Tat jene Unschuld, die Trump von den seinen lediglich behauptet. Keiner der drei Dichter würde mit einem Augenzwinkern hinzufügen: "Und eine sehr wirksame Form der Werbung sind diese Übertreibungen außerdem."
Natürlich ist die Übertreibung schon lange vor Trump zu einem der Grundprinzipien von Marketing geworden, auch wenn wir uns in Deutschland mit Slogans à la "der beste Kaffee der Welt" seit einer Weile zurückhalten. Jeder einigermaßen abgebrühte Konsument weiß, dass Werbeversprechen nicht wörtlich zu nehmen sind. Und also seien auch dem "Deal-Artist" Trump seine plumpen Übertreibungen nachgesehen, so lange sie einzig dem Zweck dienten, sein Image und/oder sein Konto aufzubessern. Doch wohin es führt, wenn eine ebenso PR-begabte wie skrupellose Clique – deren Spitzenpersonal im früheren Leben tatsächlich gemalt und gedichtet hat – die Hyperbel zum Grundprinzip der politischen Rhetorik macht, haben gerade wir in Deutschland hinreichend brutal erlebt. Deshalb sollten wir uns angesichts eines abermals grobschlächtiger werdenden Populismus gegen Übertreibungen im Stile von "das gesamte politische Establishment ist ein totales Desaster" im selben Maße immunisieren, wie wir es gegen den Werbe-Bullshit klugerweise tun.
Und wir sollten uns fragen, ob wir dem Superlativ nicht insgesamt eine Weile freigeben möchten. Ob wir wirklich ständig Lippenstift auftragen müssen, selbst wenn wir lediglich Teilzeit-Schweine sind.

Die Schriftstellerin und Publizistin Thea Dorn ist seit dem 22. Januar 2017 für mehrere Monate "Writer in Residence" am Dickinson College in Carlisle, Pennsylvania. In dieser Zeit wird sie für Deutschlandradio Kultur in ihrer Kolumne Eindrücke aus den USA schildern, wo mit dem 45. US-Präsidenten Donald Trump gerade eine Zeit des Umbruchs stattfindet.

Thea Dorn
© picture alliance/dpa/Foto: Erwin Elsner

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