"The Walk" von Robert Zemeckis

Ein Mann spaziert durch den Himmel

Der französische Hochseilartist Philippe Petit jongliert auf einem Drahtseil in Lille.
Der französische Hochseilartist Philippe Petit jongliert 1974 auf einem Drahtseil in Lille. Im gleichen Jahr balancierte er zwischen den beiden Türmen des World Trade Centers in New York. © AFP
Von Bernd Sobolla  · 17.10.2015
In mehr als 400 Meter Höhe spannte der Artist Philippe Petit im Jahr 1974 ein Seil zwischen den Türmen der New Yorker Twin Towers - und überquerte es. Die Filmbiografie des Seiltänzers - "The Walk" - kommt nun in 3D in die Kinos. Sie ist großartig.
Die Geschichte ist so phantastisch, dass sie fast irreal klingt: Am 7. August 1974 spannte der französische Hochseilartist Philippe Petit mit Helfern ein Drahtseil zwischen die beiden Türme des World Trade Centers in New York, dem damals höchsten Gebäude der Welt, und balancierte anschließend 44 Minuten ohne Absicherung darüber. Das Ganze in 417 Metern Höhe. 2007 drehte der Engländer James Marsh den Dokumentarfilm "Man on Wire" über dieses Ereignis, der ein Jahr später mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Mit vielen Fotos, aber fast ohne Originalfilmaufnahmen, weil es davon kaum Material gibt.
Zu dieser Zeit arbeitete US-Regisseur Robert Zemeckis bereits an einem Spielfilm über das Ereignis. Zemeckis gilt als Tüftler, der gern alles einsetzt, was die Filmtechnik zu bieten hat. Aber mehr noch interessieren ihn ungewöhnliche Stoffe. So begeisterte er das Publikum mit "Zurück in die Zukunft 1,2,3", gewann den Oscar für "Forrest Gump" und erfreute nicht nur Kinderherzen mit "Disney – Eine Weihnachtsgeschichte". "The Walk" heißt sein Film über den Hochseilakt, den er mit Joseph Gordon-Lewitt ("The Dark Knight Rises", "Lincoln") in der Hauptrolle gedreht hat.
Das Werk kommt am 21. Oktober in 3D-Fassung in die Kinos.

Hier das Skript des Beitrags:
Voila, mein Traum. / Und das bist Du? / Ja, das wird der glorreichste Hochseilakt in der Geschichte. / Und wie hoch wird das Drahtseil sein, um so viel Ruhm zu ernten? / Über 100 Stockwerke hoch. / Wo wachsen denn so hohe Bäume?
Paris 1968: Noch trainiert Philippe unter den Augen seiner Freundin Annie auf den Straßen von Paris, indem er sein Seil zwischen Bäumen spannt. Doch in einer Zeitung hat er vom Bau des World Trade Centers gelesen. Und fortan kennt er nur noch ein Ziel – er muss nach New York, muss zwischen den höchsten Gebäuden der Welt balancieren. Eine grandiose Story. Und warum sie bisher nicht verfilmt wurde, weiß auch Regisseur Robert Zemeckis nicht.
"I don´t have an answer."
Zehn Jahre hat er an dem Projekt gearbeitet.
"Ich fand Joseph, der Philippe spielt, und die digitale Filmtechnik hat sich deutlich verbessert. Ich hätte den Film zwar auch vor zehn Jahren machen können, dann aber wäre er viel teurer geworden und viel arbeitsintensiver. Für mich war es genau der richtige Zeitpunkt."
Auch Philippe Petit brauchte ein lange, sechsjährige Vorbereitung: In dieser Zeit trainierte er in seinem Garten, auf der Hafenbrücke in Sydney und auf den Türmen von Notre Dame in Paris. "The Walk" zeigt den Balanceakt von Notre Dame, aber ebenso schildert er Philippes mentale Vorbereitung. Wobei sein technischer Berater und Mentor Papa Rudy, gespielt von Sir Ben Kingsley, eine besondere Stellung einnimmt. Die war zwar in der Realität nicht so intensiv, aber das erhöht die dramaturgische Spannung.
"Die meisten Seiltänzer, sie sterben beim Ankommen. Die denken, sie sind angekommen, aber sie sind noch auf dem Seil. Wenn Du noch drei Schritte gehen musst und diese Schritte arrogant gehst, wirst du sterben."
Für Philippe Petit ist jeder Hochseilakt zwar auch eine körperliche Herausforderung, aber mehr noch der Ausdruck von Schönheit und Poesie.
Ich komme bis aufs Dach. Niemand hält mich auf. Ich finde mich wieder auf einer Insel, die in der Luft schwebt. Am Rande des Abgrunds.
Joseph Gordon-Lewitt wurde von Philippe Petit vorbereitet
Sympathieträger Joseph Gordon-Lewitt spielt Philippe Petit voll berstender Energie und leicht überdreht. Wobei der Schauspieler persönlich vom inzwischen 66-jährigen Hochseilartisten auf die Rolle vorbereitet wurde.
Joseph Gordon-Lewitt: "Philippe brachte mir das Balancieren auf dem Seil bei, das wollte er auch tun. Am Ende unseres Trainings ging ich über ein zwei Meter hohes Seil, und als wir dann drehten, war das Seil sogar vier Meter hoch. Vergleichen mit den 400 Metern der Zwillingstürme ist das natürlich nichts. Aber in vier Meter Höhe kriegt man schon ein Gefühl von Angst und einen Adrenalinstoß. Und das hat wirklich geholfen."
Zwar gewinnt der Film richtig an Fahrt - und Höhe - wenn Philipp in New York ankommt. Aber Robert Zemeckis hat "The Walk" nicht streng chronologisch gedreht, sondern zeigt immer wieder auch Szenen, wie das Projekt vorbereitet wird.
Also, wie hast du vor, den Draht zum anderen Dach zu kriegen? / Genauso wie in Notre Dame. Wir nehmen eine Angelleine an einem Seil, an einem Drahtseil. / Und wie kriegen wir die Angelleine von einem Turm zum anderen?
Die einzige Schwäche des Films sind die Szenen, wenn der Protagonist auf der Freiheitsstatue stehend sein Vorgehen erläutert. Denn dabei wirkt er wie ein Clown. Zudem sind diese Szenen überflüssig, da die reale Story ohnehin skurrile, fast surreale Momente hat: Wenn Philipp seine Crew nach dem Zufallsprinzip zusammen trommelt, wenn er stundenlang auf einem Eisenträger über dem 400 Meter tiefen Fahrstuhlschacht ausharren muss, um nicht vom Wächter entdeckt zu werden, oder nackt über den Südturm hüpft, damit ihn seine Freund auf dem Nordturm besser in der Dunkelheit erkennen kann. Schließlich folgt in den frühen Morgenstunden der Schritt aufs Drahtseil. Für Joseph Gordon-Lewitt mehr als ein artistischer Akt.
Joseph Gordon-Lewitt: "Als er schließlich aufs Seil tritt, vollzieht sich eine Transformation. Vorher ist er manisch, versucht obsessiv die Sache voranzutreiben. Aber als er auf dem Seil ist, verschwindet das alles und er kommt in einen anderen mentalen Zustand, der anmutig und mühelos ist. Und das liebe ich an ihm und an dem Film."
Ein großartiger Film, bei dem niemand seine Herztabletten vergessen sollte. Denn die 3D-Fassung gibt dem Film – im wörtlichen Sinne - eine magische Tiefe. Doch darüber hinaus schwingen für Robert Zemeckis auch die Ereignisse vom 11. September 2001 mit.
Robert Zemecki: "Wir wussten natürlich, dass es auch um einen tragischen Moment in der Geschichte ging. Und weil Philippe so einen großartigen künstlerischen und poetischen Schritt unternahm, er die Türme quasi vereinigte, etwas Humanes tat, sollte der Film auch ein unterschwelliger Liebesbrief an die Türme und an New York werden."
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